Donnerstag, 11. März 2021

Caritas-Präsident Neher: Bemühen um Schadensbegrenzung - Mitarbeitergremien "Glaubwürdigkeit der Kirche beschädigt"

Katholisch.de berichtet:
Mitarbeitervertreter enttäuscht von "mangelnder Solidarität"
Pflege-Flächentarif: Caritas-Präsident Neher gegen neue Abstimmung
Die Diskussion um das Aus für den Flächentarif in der Pflege geht weiter: Während Caritas-Präsident Peter Neher die Ablehnung nicht noch einmal ändern will, klagen die Mitarbeitervertreter über verlorenes Vertrauen und mangelnde Solidarität.


...Kein Verständnis habe der Caritas-Präsident angesichts der Proteste von Gewerkschaften gegen den Sozialverband. Er frage sich, "weshalb die Gewerkschaft bei uns protestiert und nicht dort, wo Dumpinglöhne gezahlt werden", so Neher ...
...
Die in der IG-MiCK zusammengeschlossenen Gremien der Mitarbeiterseiten der arbeitsrechlichen Kommissionen in verfasster Kirche (Zentral-KODA) und Caritas (ak.mas) und der Bundesarbeitsgemeinschaft der Mitarbeitervertretungen (BAG-MAV) sieht durch die Entscheidung der Arbeitsrechtlichen Kommission die Glaubwürdigkeit der Kirche beschädigt. "Dass wir jenen, die ohne Tarif beschäftigt sind, durch unsere Zustimmung bessere Arbeitsbedingungen ermöglichen, ist zuvor von Vielen in der Gesellschaft, der Politik aber auch aus der Caritas und der Kirche erwartet worden", so die Erklärung. "Die Dienstgeberseite in der AK hat diese Zustimmung verweigert – eine große Chance ist verpasst, Erwartungen sind enttäuscht worden, der Ruf der Caritas und der Kirche hat in ohnehin schwierigen Zeiten zusätzlich gelitten", so die Mitarbeitendenvertreter weiter.
...
Im Interview mit der ZEIT bemüht sich Caritas-Präsident Neher den Fokus der Medien von der nicht zu rechtfertigenden Entscheidung der Caritas-Arbeitgeber abzulenken:
"Es hilft uns nicht weiter, wenn wir dem Tarifvertrag nachtrauern"
Die Caritas hat den ersten bundesweiten Tarifvertrag für die Altenpflege verhindert. Caritaspräsident Peter Neher will das nicht rückgängig machen – trotz Protest.
...
Nun äußert sich der Caritaspräsident erstmals zur umstrittenen Entscheidung und erklärt, weshalb er nicht fordert, sie rückgängig zu machen. ...
Neher hebt dabei die zur Hälfte von berufenen Arbeitgebervertretern besetzte Arbeitsrechtliche Kommission des Caritasvereines auf das Niveau des demokratisch gewählten "Gesetzgebungsorganes Bundestag" und verweist nun auf die Pflegemindestlohnkommission:
Sie ist dafür da, höhere Löhne in der Branche auszuhandeln. Sie ist jetzt gefragt. Ich finde, das muss noch in der laufenden Legislaturperiode geschehen. In dieser Kommission sitzen übrigens Vertreterinnen und Vertreter der Caritas, aber auch von den privaten Betreibern und der Gewerkschaften. Mein Appell an alle wäre: Lassen Sie uns dort konstruktiv zusammenarbeiten.
Dass diese Kommission in den letzten Jahren daran gescheitert ist, Löhne zu vereinbaren, die im Alter mehr erlauben als Altersarmut, verschweigt Neher. Aber nach 18 Jahren im Amt als Caritaspräsident kann man ja nicht alles wissen. Und dass die katholische Soziallehre das Primat der Tarifverträge betont (Mater et magistra) übergeht Neher ebenso.
Zentral ist aus meiner Sicht eine grundlegende Pflegereform, die nicht nur bessere Arbeitsbedingungen festlegt, sondern auch klärt, wer die Kosten trägt. Das hätte ein allgemeinverbindlicher Tarifvertrag übrigens nicht geleistet.
...
Gerade vor dem Hintergrund klammer Kassen der Versicherungen und Kommunen bestand die Sorge, dass es künftig heißt: Wir finanzieren nur noch den allgemeinverbindlichen Tarif. ....


Wir lesen dazu gemeinsam aus dem Sozialgesetzbuch (SGB) - Elftes Buch (XI) - Soziale Pflegeversicherung (Artikel 1 des Gesetzes vom 26. Mai 1994, BGBl. I S. 1014), § 82 Finanzierung der Pflegeeinrichtungen
(1) .... Die Pflegevergütung ist von den Pflegebedürftigen oder deren Kostenträgern zu tragen. Sie umfasst auch ...
und weiter aus Sozialgesetzbuch (SGB) - Elftes Buch (XI) - Soziale Pflegeversicherung (Artikel 1 des Gesetzes vom 26. Mai 1994, BGBl. I S. 1014) - § 84 Bemessungsgrundsätze
...
(2) Die Pflegesätze müssen leistungsgerecht sein. Sie sind nach dem Versorgungsaufwand, den der Pflegebedürftige nach Art und Schwere seiner Pflegebedürftigkeit benötigt, entsprechend den fünf Pflegegraden einzuteilen. Davon ausgehend sind bei vollstationärer Pflege nach § 43 für die Pflegegrade 2 bis 5 einrichtungseinheitliche Eigenanteile zu ermitteln; dies gilt auch bei Änderungen der Leistungsbeträge. Die Pflegesätze müssen einem Pflegeheim bei wirtschaftlicher Betriebsführung ermöglichen, seine Aufwendungen zu finanzieren und seinen Versorgungsauftrag zu erfüllen unter Berücksichtigung einer angemessenen Vergütung ihres Unternehmerrisikos. Die Bezahlung von Gehältern bis zur Höhe tarifvertraglich vereinbarter Vergütungen sowie entsprechender Vergütungen nach kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen kann dabei nicht als unwirtschaftlich abgelehnt werden. Für eine darüber hinausgehende Bezahlung bedarf es eines sachlichen Grundes. ...

Die Bischöfe haben die Sozialverantwortung der Kirche in die Hände der Arbeitsrechtlichen Kommission der Caritas gegeben und damit der Unternehmens-Caritas anvertraut. Es wäre Aufgabe des Caritas-Präsidenten, einen Missbrauch dieser Ermächtigung zu verhinden. Neher "wäscht seine Hände in Unschuld" - so, wie er angeblich bereits in seinen früheren Arbeitsstationen im Allgäu nichts mit dem "Allgäu-Stift" und dem dort betriebenen Mißbrauch des kirchlichen Arbeitsrechts zu tun hatte.
Wenn Neher seine Tätigkeit im Sinne des päpstlichen Lehramtes ernst nehmen würde, dann müsste der fordern, dass nur noch diejenigen Träger eine Förderung erhalten, die tatsächlich Tarifverträge mit Gewerkschaften abgeschlossen haben - nicht aber Einrichtungen, die lediglich "Allgemeine Geschäftsbedingungen" zugrunde legen. Denn dort lassen sich auch Arbeitsbedingungen zu Lasten der Arbeitnehmer vereinbaren (§ 305 b BGB). Der Einschub "sowie entsprechender Vergütungen nach kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen" ist zu streichen. Er bevorzugt ohne Grund die kircheneigenen Anbieter gegenüber anderen, die ebenfalls keine Tarifverträge mit Gewerkschaften abgeschlossen haben. Jedem - auch kircheneigenen - Anbieter kann zugemutet werden, die finanzielle und rechtliche Situation der Pflegekräfte durch Tarifverträge mit einer starken Gewerkschaft ausreichend zu sichern.
Für die Caritas, die ja fürchtet:
Wenn die Pflegekassen nur noch Löhne nach dem allgemeingültigen Tarifvertrag erstatten würden, könnten wir das allein nicht aufstocken, so die Befürchtung. Auch deshalb hat sich die Kommission gegen einen einheitlichen Tarif gestellt.
wäre es ein leichtes, anstatt der regelmäßig zeitverzögerten Kopie des einschlägigen TVöD einen "Anwendungstarifvertrag" mit ver.di zu vereinbaren. Der hätte dann die Chance, zum allgemein verbindlichen Standard der Branche zu werden - so wie das früher der BAT war. Dazu müssten die Ideologen aber bereit sein, eigene Machtpositionen zu räumen.
Es wäre für die Bischöfe im Übrigen jederzeit möglich, anstelle der Regelung von Artikel 7 *) der Grundordnung des kirchlichen Dienstes den Abschluss von Tarifvertrgäen vorzuschreiben. Damit würde zugleich während der Laufzeit dieser Tarifverträge die "tarifvertragliche Friedenspflicht" gelten.


Anmerkung
Artikel 7 der Grundordnung lautet:
Beteiligung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an der Gestaltung ihrer Arbeitsbedingungen
(1) 1 Das Verhandlungsgleichgewicht ihrer abhängig beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei Abschluss und Gestaltung der Arbeitsverträge sichert die katholische Kirche durch das ihr verfassungsmäßig gewährleistete Recht, ein eigenes ArbeitsrechtsRegelungsverfahren zu schaffen. 2 Rechtsnormen für den Inhalt der Arbeitsverhältnisse kommen zustande durch Beschlüsse von arbeitsrechtlichen Kommissionen, die mit Vertretern der Dienstgeber und Vertretern der Mitarbeiter paritätisch besetzt sind. 3 Die Beschlüsse dieser arbeitsrechtlichen Kommissionen bedürfen der bischöflichen Inkraftsetzung für die jeweilige (Erz-)Diözese. 4 Das Nähere, insbesondere die jeweiligen Zuständigkeiten, regeln die einschlägigen Ordnungen. 5 Die arbeitsrechtlichen Kommissionen sind an diese Grundordnung gebunden.
(2) 1 Wegen der Einheit des kirchlichen Dienstes und der Dienstgemeinschaft als Strukturprinzip des kirchlichen Arbeitsrechts schließen kirchliche Dienstgeber keine Tarifverträge mit Gewerkschaften ab. 2 Streik und Aussperrung scheiden ebenfalls aus.
Die Grundordnung ist Kirchengesetz. Sie verpflichtet die den jeweiligen Diözesanbischöfen unterstehenen kirchlichen Einrichtungen und soll über die arbeitsvertragliche Inbezugnahme auch für die kirchlichen MitarbeiterInnen gelten, auch wenn diese nicht der katholischen Kirche angehören.
Dadurch wird sowohl kirchlichen Einrichtungen wie auch den eigenen MitarbeiterInnen die Ausübung der Koalitionsfreiheit untersagt. Denn diese dient letztendlich dazu, über Tarifverträge die eigenen Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu wahren und zu fördern.
Mit der Bildung von Kommissionen nach Art. 7 Abs. 1 der Grundordnung sowie dem Verbot von Arbeitskampfmaßnahmen nach Art. 7 Abs. 2 S. 2 der Grundordnung ist stattdessen im "Dritten Weg der Kirchen" der "Unternehmens-Caritas" eine absolute Sperrminorität eingeräumt. Die Arbeitgeber können - wie zuletzt beim Beschluss zum Tarifvertrag "Altenpflege" - jede Entwicklung zugunsten der Beschäftigten blockieren.
Ob Artikel 7 Absatz 2 der Grundordnung vor dem Hintergrund von Art. 9 Absatz 3 Grundgesetz rechts- und verfassungswidrig ist, kann mit sehr guten Gründen bezweifelt werden. Das Grundgesetz lautet:
Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig. Maßnahmen nach den Artikeln 12a, 35 Abs. 2 und 3, Artikel 87a Abs. 4 und Artikel 91 dürfen sich nicht gegen Arbeitskämpfe richten, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen im Sinne des Satzes 1 geführt werden.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen




Ihr könnt Eure Kommentare vollständig anonym abgeben. Wählt dazu bei "Kommentar schreiben als..." die Option "anonym". Wenn Ihr unter einem Pseudonym schreiben wollt, wählt die Option "Name/URL". Die Eingabe einer URL (Internet-Adresse) ist dabei nicht nötig.

Wir freuen uns, wenn Ihr statt "Anonym" die Möglichkeit des Kommentierens unter Pseudonym wählt. Das Kommentieren und Diskutieren unter Pseudonym erleichtert das Austauschen der Argumente unter den einzelnen Benutzern.