Sonntag, 9. Oktober 2016

Sonntagsnotizen: "Der Dritte Weg der Päpste - die Wirtschaftsideen des Vatikan"

Unter diesem Titel haben Prof. Dr. Frambach (Professor für Volkswirtschaftslehr an der Universität Wuppertal) und Dr. Daniel Eissrich (Bundesbankdirektor der Deutschen Bundesbank, Frankfurt am Main) das "Spannungsfeld" von Ökonomie und Kirche, genauer die Wirtschaftsideen des Vatikans anhand der päpstlichen Sozialenzykliken und im Kontext der historischen Situation von der Entstehung von "Rerum novarum" (19. Jhdt.) bis zu "Laudato si'" von Papst Franziskus analysiert
UVK-Verlag,ISBN 978-86764-600-0 (Print)

Wenn sich zwei Wirtschaftswissenschaftler mit der katholischen Soziallehre befassen, dann könnte man eingedenk des Verhaltens mancher kirchlicher Arbeitgeber durchaus heftige Kritik erwarten. Schließlich stehen sich Ökonomie und Soziales vielfach (scheinbar) konträr gegenüber. Umso mehr überrascht der positive Grundtenor, der sich durch das gesamte Werk zieht. Die beiden Ökonomen analysieren die päpstlichen Vorgaben - und kommen zum Ergebnis, dass die Sozialenzykliken einen Wegweiser geben, wenn das freie Spiel der Marktkräfte zu sozialen Problemen führt. "So skizzieren sie einen dritten Weg der Päpste - ein alternatives Wirtschaftskonzept zwischen Kapitalismus und Sozialismus" - oder, um es mit dem Grundgesetz zu sagen: "Eigentum verpflichtet".

Es ist nicht zuletzt eine Frage der Glaubwürdigkeit, wie die Kirche in ihren eigenen Wirtschaftsunternehmen - und erst recht in ihren caritativen Einrichtungen - diese Vorgaben umsetzt.

Wir möchten anhand einiger Passagen Fragen aufwerfen, ohne freilich auch Antworten geben zu können.

Kirche und Gewerkschaft - Gewerkschaftsstreit:
Auf S. 44 ff gehen die Autoren auf den deutschen Gewerkschaftsstreit ein, der 1912 mit der Enzyklika "Singulari quadam" von Papst Pius X. eigentlich beigelegt sein sollte.
"Endgültig beendet wird der Streit aber erst, als 1931 Papst Pius XI. in seiner Enzyklika "Quadragesimo anno" die mögliche Duldung der Gewerkschaften aus der Enzyklika Singularo quadam (tolerari posse) in eine ausdrücklich Billigung (probare) umwandelt."
Die Autoren zeigen die zunehmende Akzeptanz der Gewerkschaften und ihre Förderung durch die Sozialenzykliken auf. So wird (S. 134) auf die maßgeblichen Aussagen in "Mater et Magistra" (Johannes XXIII., 1961) hin. Tatsächlich hat ja auch der deutsche Papst Benedikt, der seine deutsche Kirche kennt wie kaum ein anderer, seiner deutschen Heimat die Sozialenzyklika "Laborem exercens" mit derem ausdrücklichen Bekenntnis zum Gewerkschaftsprinzip eindringlich "an's Herz gelegt" (vgl. auch Paul VI., 22.05.1966 in der Ansprache bei der 75-Jahrfeier von "Rerum novarum"
(5) Die Kirche hat das Recht auf gewerkschaftlichen Zusammenschluß anerkannt, verteidigt und gefördert und dabei eine gewisse theoretische und historische Vorliebe für korporative und bipolare Formen überwunden.

Wir fragen:
Wo setzt sich diese Vorgabe in der realen Arbeitswelt der Caritas oder beim Arbeitgeberverband der "Arbeitsgemeinschaft caritativer Unternehmen" (AcU) real um?

Streik zur Durchsetzung der Arbeitnehmerinteressen:
Die Autoren verweisen darauf, dass Streik bereits "zur Jahrhundertwende nach gängiger wissenschaftlicher Auffassung gemeinhin als akzeptiertes Mittel des Arbeitskampfs ... weitestgehend akzeptiert" war (S. 47). Die Autoren zeigen die zunehmende Akzeptanz dieses gewerkschaftlich-solidarischen Rechts *) in der Kirche auf:
"Sicherlich ist es auch kein Zufall, dass sich die aus der polnischen Streikbewegung entstandene, von Papst Johanns Paul II. stark unterstützte und am politischn Umbruch 1989 entscheidend beteiligte polnische Gewerkschaft den Namen Solidarno´s´c gab."
(S. 82)
Auch hier stellen sich Fragen:
Wo wird im spezifisch "katholischen Arbeitsrecht" diese (gewerkschaftliche) Selbstorganisationsfähigkeit gefördert?
Ist es nicht vielmehr so, dass der "Dritte Weg" zur Entsolidarisierung auf der Arbeitnehmerseite und zur Kompetenzanmaßung von wenigen "Entscheidern" über die Interessen der Beschäftigten führt?

Parallelen von Rerum novarum und der Gründungsurkunde der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO):
Dass Paul VI. am 10. Juni 1969 bei der Hauptversammlung der Internationalen Arbeitsorganisation die IAO aufforderte, weiterhin im Dienst der arbeitenden Menschen (der Vorrang des Menschen wurde ausdrücklich artikuliert) erfolgreich zu arbeiten, ist bekannt. Die Autoren weisen darauf hin, dass die in der ILO-Gründungsurkunde genannten Ziele und einzelne Aspekte "alle tatsächlich in Rerum novarum zu finden sind" (S. 83 - S. 86).

Mensch vor Kapital::
Anhand der Enzyklika "Centesimus annus" von Papst Johannes Paul II (1991) wird im Kontext der "Wirtschaftssysteme in der Krise" letztlich analysiert, woran unser (globales) Wirtschaftssystem leidet:
"Die Wirtschaft ist nur ein Aspekt des menschlichen Handelns und damit ist die wirtschaftliche Freiheit nur ein Element der menschlichen Freiheit. Wenn sich die Wirtschaft für autonom erklärt, "dann verliert sie ihre notwendige Beziehung um Menschen, den sie schließlich entfremdet und unterdrückt". Wenn sich also der Mensch nur noch als Konsument oder als Produzent von Gütern befreit, so wird er sich über die Güter definieren und sich dabei immer weniger als Subjekt wahrnehmen, das konsumiert und produziert, um zu leben."
S. 193

Von diesem Gedanken des Vorrangs des Menschen vor der Wirtschaft führt ein direkter Weg zu Papst Franziskus:
Diese Wirtschaft tötet
Die Zerstörung der Umwelt wird mit der rein wirtschaftlich und gewinnorientierten Denkweise der Ökonomen als eine einzige und komplexe sozio-ökologische Krise verstanden.

Es ist konsequent, wenn mit der Neufassung der Grundordnung im letzten Jahr die gewinnorientierten Einrichtungen von den Bischöfen ausdrücklich aus dem Geltungsbereich der Grundordnung ausgenommen wurden.
Es wäre auch konsequent, das "Gewerkschaftsprinzip" in allen kirchlichen Einrichtungen zur Geltung zu bringen. Es läge danach nur an den kirchlichen Arbeitgebern, durch sozialpartnerschaftliche Vereinbarungen mit den Gewerkschaften dafür zu sorgen, dass das scharfe "Streik-Schwert" dann auch an der Wand hängen bleiben kann.
Aber wenn zwei namhafte Volkswirtschaftler die päpstliche Wirtschaftsethik reüssieren, dann heißt das leider noch lange nicht, dass die Betriebswirtschaftler dieser Erkenntnis freiwillig folgen. Es wäre also Sache der Gesetzgeber, der besseren Erkenntnis zum Durchbruch zu verhelfen - wenn sie nicht den Zusammenbruch des Systems in Kauf nehmen wollen.

Aus der Renzension von Hermann-Josef Große Kracht
... Dem katholischen Sozialethiker bleibt allerdings die Hoffnung, im Verbund von christlich-moralischen ›Hoffnungen und Visionen‹ und nüchterner Kapitalismuskritik gangbare Wege zu einer gerechteren Welt zu finden; und der leise Zweifel, ob ihm die herrschende Ökonomie dabei wirklich behilflich sein kann und will.

vgl.Sonntagsnotizen: "Caritas am Scheideweg"
Sonntagsnotizen: "Gerecht geht anders - Diakonie im Rückwärtsgang"

*)
Der Begriff der "Solidarität" wird dabei im streng katholischen Sinn gebraucht. Er fordert

von den ›übergeordneten Gemeinschaften‹ (vgl. QA 79) eine permanent mitlaufende Gleichzeitigkeit von Hilfestellungsgebot und Kompetenzanmaßungsverbot. Zudem fokussiert sie nicht primär auf die isolierten Einzelnen, sondern vor allem auf die gesellschaftlichen Selbstorganisationsfähigkeiten von Gruppen und Vereinigungen, von Korporationen, Verbänden und Initiativen – also auf eine postliberale und postindividualistische Verantwortungskonzeption, die Oswald von Nell-Breuning der spätere ›Nestor der katholischen Sozialllehre‹, schon 1931 auf die treffende Formel einer »Subsidiarität der Kollektivitäten« (NellBreuning 1931/1932, 122) gebracht hatte.
(aus der Rezension von Hermann-Josef Große Kracht, s.u.)

1 Kommentar:

  1. Lukas 18, 18-27; eigentlich wäre der Spagat gut gelöst; danach müssten die Ökonomen das weltliche Arbeitsrecht gemäß den von der Kirche entwickelten Grundsätzen der katholischen Soziallehre anwenden - nur hält sich die deutsche Kirche nicht daran

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