Montag, 22. April 2013

SPD schlägt "Branchentarif Gesundheit und Soziales" vor

"Stein der Weisen" oder "Mogelpackung"?

Gegen Lohndumping und prekäre Arbeitsbedingungen

SPD schlägt "Branchentarif Gesundheit und Soziales" vor


Von Stephan Maas

Die Sozialdemokraten wollen die Arbeitsbedingungen in den Sozialberufen mit einem Branchentarif verbessern. Ein entsprechendes Gutachten stellte die SPD-Bundestagsfraktion jetzt vor. Für einen solchen Tarifvertrag müssten weltliche und kirchliche Träger zusammengeführt werden.
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So könne ein Tarifvertrag im weltlichen Bereich geschlossen werden, der auch vom kirchlichen Bereich übernommen wird. Dann könne der Antrag auf Allgemeinverbindlichkeit gestellt werden. Damit könne für die ganze Branche, auch für die privaten Anbieter, ein allgemein verbindlicher Lohnbereich geschaffen werden.

"Wir verlangen allen Seiten etwas ab, wir erwarten von den Kirchen, dass sie die Gewerkschaften besser beteiligen, dass sie sich auch an ihre Verträge verbindlich halten, wie es auch das Bundesarbeitsgericht vorgeschrieben hat. Wir erhoffen uns auch von den Gewerkschaften, dass sie sich wieder beteiligen an den arbeitsrechtlichen Kommissionen der Kirchen."

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Quelle: Deutschlandfunk vom 18.04.2013

Der Ansatz eines Gutachtens, das heute in der Friedrich-Ebert-Stiftung vorgestellt wurde, klingt erst mal bekannt - ein Tarifvertrag wie etwa der TVöD, der dann von der Diakonie in den wesentlichen Inhalten als eigenen Regelung übernommen wird - um so zur Allgemeinverbindlichkeit mehrerer formal voneinander unabhäniger Regelungen zu kommen. Nichts anderes praktizieren die bayerischen Bistumer mit der Vergütungsautomatik im ABD, und nichts anderes versucht die Mitarbeiterseite der arbeitsrechtlichen Kommission der Caritas (AK-MAS) mit immer schwierigeren Verhandlungen.

Bei näherem Hinsehen kommen aber immer stärkere Zweifel auf.
Das Konzept der Gutachter setzt nämlich offenbar voraus, dass die Arbeitgeber der Diakonie bereit sind, sich an einer solchen Tarifregelung zu beteiligen. Sie sollen die wesentlichen Ergebnisse von Tarifverhandlungen des öffentlichen Dienstes in der eigenen AVR übernehmen. Gerade diese Bereitschaft muss hinterfragt werden. Die Diakonie hat nicht umsonst parallel zur Ablösung des BAT durch den TVöD eigene Regelungen (AVR DW EKD, AVR DW Bayern ...) erfunden, die aufgrund der abweichenden Strukuturen (weniger Entgeltgruppen, weniger Stufen) mit den gewerkschaftlichen Tarifverträgen der Branche (insbesondere dem TVöD) nicht mehr vergleichbar sind. Wer so etwas tut, hat etwas zu verbergen. Und tatsächlich erweist sich bei näherer Analyse, dass die Diakonie allenfalls bei den Anfangsgehältern etwas bessere Vergütungen aufweist als Caritas oder öffentlicher Dienst. Schon nach wenigen Jahren verkehrt sich das ins Gegenteil - und führt zu massivem Lohndumping, das alle tariftreuen Anbieter unter Preisdruck setzt.

Die Diakonie hat alles getan, um sich "abzukoppeln" (Matthäus 7,16). Mit einer Mischung aus Äpfeln und Birnen bekommt man aber keine allgemein verbindliche gemeinsame Regelung - im Gegenteil. Die Beschlüsse für die AVR DW EKD von letzter Woche stützen diese Ansicht zu den Absichten der Diakonie! Solange die Diakonie also nicht bereit ist, in den eigenen AVR (wie die Caritas) die Strukturen der Branche zu übernehmen, und gemeinsame Regelungen zu schaffen, solange muss auch die Bereitschaft zur Beteiligung an einer allgemein verbindlichen Tarifregelung hinterfragt werden. Und eine wie auch immer geartete Beteiligung von ver.di in den Arbeitsrechtlichen Kommissionen würde wohl nach der Meinung des BAG nur dazu führen, dass das Streikrecht nicht genutzt werden könnte - nicht aber, dass die Diakonie auch die Tarifsystematik der Branche für ihre Einrichtungen (wieder) übernimmt. Mit den Versprechungen der Diakonie hat ver.di im Übrigen genug Erfahrungen gemacht. Etwa bei der Diakonie Hessen-Nassau, bei der ver.di mit dem Versprechen, das "Hammer-Modell" umzusetzen, in die Kommission gelockt wurde. Die Umsetzung scheiterte dann an der Blockadehaltung der diakonischen Arbeitgeber. Hier muss also erst einmal die Diakonie zeigen, dass es ihr ernst ist. Und das, was in der Vergangenheit "entkoppelt" wurde, wieder "ankoppeln". Und solange das nicht erfolgt, bringt die SPD Initiative nur eine politische Anerkennung und Aufwertung der diakonischen Lohndrücker, ohne den gegenseitigen Preisdruck zu beenden.
Der Vorschlag der Gutachter, das TVG zu novellieren und Regelungen des dritten Wegs den Tarifverträgen gleichzustellen, erweist sich so gesehen als ein Frontalangriff auf die gewerkschaftliche Tarifautonomie!

Ein Blick ins Literaturverzeichnis bestätigt, was zu erwarten wie zu befürchten war - weder Nell-Breuning noch der SPD-Verfassungsrechtler Kühling sind zu finden. Dafür aber im Wesentlichen die einschlägigen Verfechter des "Dritten Wegs".
Und die Autoren Bernzen und Schlüter sind vielfältig mit Arbeitgebern der Caritas und Diakonie verbandelt.

Mogelpackung?

Freiwillig wird die Diakonie diese Abkoppelung nicht mehr aufgeben. Sie muss offenbar vielmehr durch ihre Beschäftigten dazu gezwungen werden. Dann aber liegt es nahe, gleich - wie etwa bei der Diakonie Himmelsthür - für einen Tarifvertrag zu streiten, und nicht nur für irgendwelche Gnadenakte, die jederzeit einseitig widerrufbar sind.
Oder anders gesagt: wenn schon eine Vergütungsübernahme erfolgen soll, dann kann gleich ein Anwendungstarifvertrag für die wesentlichen Punkte des "in Bezug genommenen" Tarifvertrages abgeschlossen werden.



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