Dennoch gilt auch im Vatikan ein umfassender Datenschutz 1).
2008 erließ nämlich Papst Benedikt XVI. das Gesetz Nr. LXXI, »Legge sulle fonti del diritto« (LFD, »Gesetz über die Rechtsquellen«). Nach Art. 12 LFD gilt auf neun benannten Gebieten das am 1. Januar 2009 (dem Datum des Inkrafttretens des LFD) in Kraft gewesene italienische Recht automatisch, inklusive völkerrechtlicher Verträge. Zu den benannten Rechtsgebieten gehört auch „Telekommunikation und damit zusammenhängende Dienste, sowohl für Festnetz als auch mobile Netze, mit allen Komponenten“. Diese Inkorporation ist nicht ungewöhnlich. So verweist das universelle Recht der lateinisch-katholischen Kirche (CIC) unter can. 1290 auf die uneingeschränkte Geltung des weltlichen Vertragsrechts. Es handelt sich um einen "dynamischen Verweis", der auch Änderungen des weltlichen Rechs einschließt. Dies steht freilich in der Regel unter dem Vorbehalt, dass das so inkludierte Recht mit dem Kirchenrecht nicht in Konflikt steht. Schon die Pastoralkonstitution "Gaudium et spes" benennt aber ein "Recht auf guten Ruf, Ehre und auf geziemende Information" sowie "auf Schutz der privaten Sphäre" (GS 26).
Und mit CIC gilt nun auch can. 220 CIC 2)
Niemand darf den guten Ruf, den jemand hat, rechtswidrig schädigen und das persönliche Recht eines jeden auf den Schutz der eigenen Intimsphäre verletzen.Mit c. 220 wird kurz und prägnant zusammen gefasst, was auch der wesentliche Zweck des weltlichen Datenschutzrechts ist. Der c. 220 schützt die Rechte aller Menschen, nicht nur der Gläubigen - er stellt nach kirchlicher Meinung somit eine naturrechtliche Norm dar, verpflichtet aber nach c.1 CIC/1983 nur die Gläubigen.
Nun mag man einwenden, für die nichtkatholischen Mitarbeiter der Kurie und Kirchenverwaltungen - für die can. 220 ja eben nicht verpflichtend ist - sei eine adäquate Verpflichtungsnorm erforderlich. Dafür genügt aber - wie im Vatikan auch - das "geltende staatliche Recht". Und selbst wenn es den can. 220 nicht gäbe - es bestünde auch ohne diese Kirchennorm kein Widerspruch zum weltlichen Recht. Somit wird selbst im Vatikan durch die Anwendung des staatlichen Rechts Italiens ein umfassender Datenschutz gewährleistet, ohne dass es eigener datenschutzrechtlicher Bestimmungen bedarf.
Wieso dann die Deutsche Katholische Kirche eigene Regelungen für erforderlich hält, die weit in den Persönlichkeitsschutz auch von Nichtkatholiken eingreifen, konnte uns noch niemand erklären.
1) vgl. Dario Morelli 2012, Aufsatz in „Stato, Chiese e pluralismo confessionale“
2) vgl. Tollkühn, Martina, Das Recht auf Information und den Schutz der Privatsphäre. Eine kanonistische Studie zur Geltung von c. 220 CIC/1983 in kirchlichen Beschäftigungsverhältnissen (= KRR31), Münster 2020
Die Aussage, dass »auch im Vatikan ein umfassender Datenschutz« gelte, trifft nicht zu und lässt sich insbesondere nicht mit der angeführten Quelle belegen. Dort wird ja gerade ausgeführt, dass das damals geltende italienische Datenschutzrecht wenn überhaupt lediglich auf dem Gebiet der Telekommunikation automatisch übernommen wurde. Selbst das wird mit vielen Vorbehalten formuliert. In jedem Fall ist die Übernahme lediglich der Bestimmungen für Telekommunikation gerade nicht umfassend; wichtige Felder wie speziell Beschäftigtendatenschutz und allgemein alles außerhalb von Telekommunikation sind nicht geregelt. Die Argumentation, dass über die Telekommunikationsbestimmungen hinaus auch der Rest des italienischen Datenschutzrechts inkorporiert wird, hält Morelli nicht für stichhaltig (S. 11). Dazu kommt, dass Morellis Aufsatz von 2012 ist, also zu einem Zeitpunkt entstand, als die legislative Arbeit an einer EU-Verordnung zum Datenschutz erst begann. Die Problematik der Weitergeltung eines inkorporierten, aber in Italien außer Kraft getretenen Gesetzes wird daher in den Aufsatz gar nicht geprüft. Im Zuge meiner Recherche für eine Darstellung der Rechtslage im Vatikan wollte mir der Päpstliche Rat für die Gesetzestexte auch nicht bestätigen, dass das alte italienische Telekommunikationsdatenschutzrecht im Vatikan anwendbar wäre und verwies nur darauf, dass es dort kein Datenschutzrecht gebe.
AntwortenLöschenIm Kontext einer Argumentation, dass die Kirche ein eigenes Datenschutzrecht weder brauche noch haben dürfe, entbehrt ein Bezug auf Tollkühn auch nicht einer gewissen Komik; das dritte Kapitel im angeführten Werk macht gerade die Möglichkeit eigenen Datenschutzrechts als Teil des kirchlichen Selbstverwaltungsrechts stark, eine Position, die Tollkühn auch in aktuellen Veröffentlichungen weiterhin vertritt (etwa im vergangenen Jahr in der Würzburger Reihe Kanon des Monats oder gerade diese Woche in Nomok@non).