Sonntag, 15. November 2020

Sonntagsnotizen - Amtsmissbrauch und kein Ende

EIN KOMMENTAR VON UNSEREM REDAKTIONSMITGLIED ERICH SCZEPANSKI


In der letzten Woche hat es mehrere Schlagzeilen gegeben, die ein Schlaglicht auf das Amtsverständnis kirchlicher Würdenträger werfen. Der "Kölner Stadtanzeiger" meint zum "Krisenthema im Vatikan":
Dubiose Finanzströme, wiederkehrende Missbrauchsskandale und ein geschasster Kardinal zeugen von Turbulenzen.

Gestern stellte die Neue Züricher Zeitung (NZZ) einen ausführlichen Bericht über einen "Machtkampf zwischen zwei Kardinälen, in dem es um Korruption und undurchsichtige Geschäfte geht" online.
Am 11.11. berichtete das Domradio
Der McCarrick-Bericht: Analyse vatikanischer Personalpolitik
Aufstieg und Fall eines begnadeten Bischofs und Kardinals
Mit dem "McCarrick-Report" legt der Vatikan eine ungewöhnliche Selbstanalyse der Verfahren seiner Personalpolitik vor. Wie valide diese ist und welche weiteren Lehren zu ziehen sind, muss sich noch zeigen.


Ein persönlicher Brief des damaligen Erzbischofs Theodore McCarrick im August 2000 an den päpstlichen Privatsekretär Stanislaw Dziwisz war eine entscheidende Wende, dass der smarte, engagierte US-Geistliche aus New York auch Kardinal und in der Folge einer der einflussreichsten und gefragtesten US-Kirchenvertreter werden konnte. Dies ist nur eine Erkenntnis aus dem am Dienstag veröffentlichten Untersuchungsbericht. In den 460 Seiten geht es gar nicht um McCarricks Fehlverhalten. Das Urteil über ihn ist schon gefällt: Entlassung aus dem Klerikerstand wegen sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen. Der sogenannte "McCarrick-Report" soll vielmehr das Versagen der Kurie und der Kirche in den USA aufklären.
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Deutlich wird, dass es nicht eine Entscheidung allein, nicht ein einzelner Verantwortlicher war - sondern dass auch das klerikale System Fehleinschätzungen beförderte und Hinweise auf Versagen unterdrückte.
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(Link zum Bericht über den "McCarrick-Report" bei Radio Vatikan; der Bericht stützt sich auf Dokumente mehrerer Vatikanbehörden, vier US-Diözesen, zweier US-Seminare und der US-Botschaft des Vatikan. Er wertet Aussagen von 90 Personen aus, darunter auch von Missbrauchsopfern McCarricks
Link zum Leitartikel bei Radio Vatikan)

Mit dem im Domradio genannten päpstlichen Privatsekretär Stanislaw Dziwisz wird ein weiterer Name genannt, der - ebenfalls am 11.11. - zu einem Bericht der Tagesschau führte:
Missbrauchsskandal
Polens katholische Säulen wanken
Stand: 11.11.2020 11:34 Uhr

In Polen hat die katholische Kirche einen hohen Stellenwert - unantastbar ist sie aber längst nicht mehr. Eine Reportage greift nun den ehemaligen Privatsekretär von Papst Johannes Paul II. wegen mutmaßlicher Vertuschung und Bestechung an.

Von Jan Pallokat, ARD-Studio Warschau

Kardinal Stansilaw Dziwisz, dem jetzt eine Reportage abermals die Vertuschung von Missbrauch in der katholischen Kirche im großen Stil und sogar Bestechlichkeit vorwirft, ist in Polen nicht irgendwer: Er war der langjährige Privatsekretär von Papst Johannes Paul II. und nicht zuletzt deswegen gilt er als lebende Legende. Inzwischen rückt aber sogar das polnische Episkopat von dem 81-Jährigen ab.
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"Wir sehen, wie vor unseren Augen der sogenannte 'Kulturkatholizismus' *) zusammenbricht", sagt der Theologe Jacek Prusak vom Krakauer Jesuiten-Kolleg "Ignatianum". "Johannes Paul II. gibt es nicht mehr, wohl aber die Probleme, die wir nach ihm übernommen haben und die wir mit ihm verdeckt haben, weil wir vor uns selbst flüchteten." Es werde jetzt die "Büchse der Pandora" geöffnet, erklärt Prusak weiter, später als in anderen Kirchen der Welt, aber man müsse sich darauf vorbereiten, dass es wehtun werde.
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Aus Polen stammt auch die Nachricht, dass Kardinal Gulbinowicz Ehrenbürgerschaft und Orden verlieren soll, die dieser für seine Unterstützung der Gewerkschaft und Freiheitsbewegung Solidarnosc in den 80er Jahren erhalten hatte.

Und in Deutschland?

Am Samstag wurde bekannt, dass die Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Tübingen dem Verdacht sexuellen Fehlverhaltens in ihren eigenen Reihen nachgeht.
Wie aus einer Email des Dekanats hervorgeht, soll es "in den vergangenen zehn Jahren zu sexuellem Grenzverletzungen und zu emotionalem Missbrauch gekommen" sein.

Das Bistum Aachen hat am Donnerstag (10:00 Uhr) ein Gutachten über sexuellen Missbrauch Minderjähriger durch Geistliche des Bistums im Rahmen einer öffentlichen Online-Pressekonferenz vorgestellt. Es geht um einen Zeitraum von über 50 Jahren, von 1965 bis 2019. Der Bericht sollte im Anschluss auf der Homepage der untersuchenden Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl veröffentlicht werden. **)

Zunächst einmal:
Ich gratuliere dem Bistum Aachen und seiner Leitung zum Mut der Veröffentlichung. Und ich gratuliere den Gutachtern dafür, auch unbequeme Schlußfolgerungen zu artikulieren. Diese "neue Offenheit" steht ganz auf der Linie von Papst Franziskus, der in seiner neuen Enzyklika "Fratelli tutti" ausführte:
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244. Wenn Konflikte nicht gelöst, sondern in der Vergangenheit verborgen oder begraben werden, kann Schweigen manchmal bedeuten, sich an schweren Fehlern und Sünden mitschuldig zu machen. Wahre Versöhnung aber geht dem Konflikt nicht aus dem Weg, sondern wird im Konflikt erreicht, wenn man ihn durch Dialog und transparente, aufrichtige und geduldige Verhandlungen löst. Der Kampf zwischen verschiedenen Gruppen kann, »wenn Feindseligkeiten und gegenseitiger Hass ferngehalten werden, allmählich zu einer ehrlichen Diskussion, die auf der Suche nach Gerechtigkeit beruht, werden«
Der "Kölner Stadtanzeiger" **) formliert nun:
Bei der Aufarbeitung von sexuellem Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche gebe es ab jetzt einen „Goldstandard“. So urteilt der Kirchenrechtler Thomas Schüller über ein am Donnerstag vorgestelltes Gutachten zum Umgang mit Missbrauchsfällen im Bistum Aachen.
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Es ging den Juristen erkennbar nicht darum, einzelne Verantwortungsträger an den Pranger zu stellen. Vielmehr wollten sie die „systemischen Ursachen“ des Missbrauchs herausarbeiten, die solche Verbrechen an Kindern und Jugendlichen nach ihrer Überzeugung bis heute begünstigen.

Dazu gehört für sie zum einen die quasi unangreifbare Stellung des Priesters als Mittler zwischen Gott und den Menschen. So jemand kann sich nach früher weit verbreitetem Verständnis eigentlich gar nicht schuldig machen.

Wir können und wollen in unserem Blog nicht das strafbare Fehlverhalten von einzelnen kirchlichen Amtsträgern zum Thema machen. Sowohl das staatliche wie auch das universalkirchliche Strafrecht sowie das Schadensersatzrecht bieten Handhabungen, um solche Handlungen und daraus entstehende Schäden zumindest zu begrenzen. Auch das ist nicht Aufgabe und Ziel unseres Blogs.

Ich will auch nicht behaupten, sexueller Missbrauch sei eine kirchenspezifische Straftat. Wenn dem so wäre, würde es solche Fälle weder im familiären Umfeld noch bei Sportvereinen oder in Pflegeheimen geben. Dieser Missbrauch resultiert durchgehend aus einer Machstellung (die den Täter die Möglichkeit eröffnet und diesen zugleich schützt) einerseits und einer fehlgeleiteten Persönlichkeitsentwicklung der Täter andererseits.

"Kirchenspezifisch" - oder besser "Religionsspezifisch" - ist eher der "geistliche Missbrauch", dem die deutschen Bischöfe nun entschlossenen Widerstand angekündigt haben. Dabei wird die geistliche Stellung der Kleriker missbraucht, indem - "ganz stark mit Angst, Abhängigkeit, Bedrängnis gearbeitet wird, unter Preisgabe eigener Autonomie und das alles noch mit dem Horizont Transzendenz, Gott, unter den Mantel des Christlichen gepackt wird" - oft auch in abgeschirmten Gemeinschaften, deren "Offenbarungen" bis in das Sektierertum abdriften. Und dieser "geistliche Missbrauch" öffnet dann auch die Tür für weiteren Amtsmissbrauch.
Radio Vatikan berichtet daher über die richtige Erkenntnis:
Bei der Pressekonferenz zum Abschluss der Tagung betonte Bischof Heinrich Timmerevers (Dresden-Meißen): „Wenn wir den geistigen und spirituellen Missbrauch thematisieren, nehmen wir keinen Deut von der Schwere der Schuld beim sexuellen Missbrauch. Dazu müssen wir stehen, es aufklären und künftig verhindern. Die geistliche Begleitung von Menschen ist zu wichtig für uns als Religionsgemeinschaft, als dass wir auf einen Reflexionsprozess warten können, der uns von außen angetragen wird.“
Es gehe nicht um den Schutz der Institution, denn: „Der Schutz der Würde des Einzelnen ist zu wichtig, als dass wir geistlichen Missbrauch im Raum unserer Kirche unreflektiert lassen könnten.“ Es brauche zuerst den Empathiewechsel als katholische Kirche und den Blick aus Sicht der Betroffenen. „Wenn wir zuerst fragen, welche Konsequenzen wir als Institution bekommen, verhindern wir den angemessenen Umgang mit Betroffenen“, so Bischof Timmerevers.
...

Bischof Felix Genn (Münster), Vorsitzender der Kommission für Geistliche Berufe und Kirchliche Dienste, dankte den Betroffenen für ihren Mut, auch gegen Widerstände, das Erlebte offenzulegen. Er wünsche sich, dass diese Berichte in den Blickpunkt gerückt werden. Denn geistliche Begleitung treffe die Wurzel kirchlichen Handelns. „Geistlicher Missbrauch ist eine Form des Machtmissbrauchs und hat gravierende Auswirkungen auf die emotionale und psychologische Befindlichkeit von Menschen und besitzt neben der individuellen auch eine systemische Komponente.“
sowie (Kirche und Leben)
Konkret nannte Genn die Gefahr, dass ein geistlicher Begleiter sich „die alleinige Kompetenz über Inhalte des Glaubens anmaßt und über die von ihm allein interpretierte Lehre Macht über die anderen ausübt“. Dann nehme er oder sie die Gottesbeziehung der begleiteten Person in seine eigene Verfügung „und erhebt sich selbst in eine göttliche Position“. Das gelte auch für die Leitung ganzer geistlicher Gruppierungen.

Ich muß aber auf das bereits angesprochene Amtsverstädnis hinweisen, das die "scheinbare Unversehrtheit" der Instituion Kirche als wichtiger erachtet, als ethisches oder moralisches, sogar als strafbares Fehlverhalten. "Das eigene Nest wird nicht beschmutzt" lautete ein ständiges Sprichwort der Nachkriegsgeneration wenn es darum ging, persönliches Fehlverhalten zu bezeichnen. Diese Generation hat aber nicht verstanden, dass durch solches Verhalten das "eigene Nest bereits beschmutzt war" - und das "Ausmisten des Stalles" zu den Grundvoraussetzungen gehört, um den Bestand des Hofes und der Familie gesund und sauber zu erhalten.
Was nützt auch die schönste Schaufensterauslage, wenn unter dem Sichtvorhang der Mist hervorquillt?

"Es geht nicht um "Nestbeschmutzung", sondern um Glaubwürdigkeit an der Wurzel kirchlichen Wirkens" - wie Bischof Heinrich Timmerevers aus Dresden am 09.11.2020 in einem Gastbeitrag von "katholisch.de" feststellt.

Daher konzentriere ich mich auf die Aussage im Tagesschaubericht:
"Wir sehen, wie vor unseren Augen der sogenannte 'Kulturkatholizismus' zusammenbricht", sagt der Theologe Jacek Prusak vom Krakauer Jesuiten-Kolleg "Ignatianum". "Johannes Paul II. gibt es nicht mehr, wohl aber die Probleme, die wir nach ihm übernommen haben und die wir mit ihm verdeckt haben, weil wir vor uns selbst flüchteten." Es werde jetzt die "Büchse der Pandora" geöffnet, erklärt Prusak weiter, später als in anderen Kirchen der Welt, aber man müsse sich darauf vorbereiten, dass es wehtun werde.

Die Büchse der Pandora
Finanz- und Missbrauchsskandale, aber auch die Themen der "Frau als Dienerin" und das nur scheinbar idealistische Verständnis einer "Dienstgemeinschaft", die von den einen verlangt, dass sie dienen, sind Auswirkungen dieser Fehlprägung im Verhältnis zur Institution Kirche. Ja, auch der "Mutter Kirche" - aber welches verantwortungsvolle Kind würde seiner Mutter die Genesung und Medizin verweigern, auch wenn diese gar nicht einsehen will, dass sie schwer erkrankt ist?

Menschen, die im Raum der Kirche an anfälligen pastoralen Beziehungen und Strukturen Kritik üben, leisten der Kirche einen wichtigen Dienst.

Zitat: Bischof Heinrich Timmerevers
Die falsch verstandene hierarchische Stellung von Klerikern (vgl. S. 179 bis 183 des Aachener Gutachtens) verführt - und führt zu einem Amtsverständnis, das nicht nur im sexuellen und auch nicht nur im geistlichen Missbrauch endet. Dabei ist auch ein Kleriker ein Mensch. Er legt mit der Weihe nich das "Menschsein" ab. Und niemand, kein Mensch, ist vollkommen. Ich hätte erhebliche Minderwertigkeitsgefühle, wenn ich unter lauter Heiligen der einzige Mensch mit Fehlern wäre.
Das darf aber bei einem "geweihten Menschen", der die Kirche und damit Gott selbst repräsentiert, nicht sein. Und weil das so ist, darf auch kein Staub auf den Glanz der Institution fallen. Daher werden Opfer von geweihten Tätern als Belastung empfunden. Daher werden Priester mit ihren menschlichen Problemen und Schwächen alleine gelassen. Der Ruf der Kirche ist wichtiger als die offensive Auseinandersetzung mit den Ursachen von Fehlverhalten und den Umständen, die solches erst ermöglichen. Daher wird Fehlverhalten vertuscht und unter die Decke gekehrt. Fehlverhalten soll möglichst wenig bekannt werden ("systemische" bzw. "organisierte Verantwortungslosigkeit"). Denn Fehlverhalten könnte einen Fleck auf der möglichst strahlenden Kirche hinterlassen. Und es wäre Sünde, das Antlitz der Kirche zu beschmutzen.

Was aber schädigt die Glaubwürdigkeit der Kirche mehr als der Versuch, selbst schlimmste Missstände zu verheimlichen?
Ist es für die Kirche nicht wichtiger, Probleme ehrlich aufzuzeigen und Ursachen zu benennen?


Auch die Finanzskandale und arbeitsrechtliche Volten (z.B. besondere, bis in die persönliche Lebensführung eingreifende Loyalitätspflichten) mit abhängigen Beschäftigten - denen eigentlich eine besondere Fürsorge gelten müsste - machen seit Jahren immer wieder von sich reden.

Ich muss hier zwangsläufig auf die bereits angesprochene Definition des "geistlichen Missbrauchs" verweisen:
>Dabei wird die geistliche Stellung der Kleriker missbraucht, indem - "ganz stark mit Angst, Abhängigkeit, Bedrängnis gearbeitet wird, unter Preisgabe eigener Autonomie und das alles noch mit dem Horizont Transzendenz, Gott, unter den Mantel des Christlichen gepackt wird">
Bischof Glenn wird dazu wie folgt zitiert:
"Geistlicher Machtmissbrauch im Speziellen bedeutet die Instrumentalisierung des geistlichen Bereichs des Menschen mit geistlichen Mitteln, die Verzweckung der Gottesbeziehung einer Person durch den Täter zur Erfüllung der eigenen Bedürfnisse und Ziele."

Wir haben in unserem Blog schon mehrfach darauf hingewiesen, dass das (mit dem universellen Kirchenrecht, der katholischen Soziallehre und dem päpstlichen Lehramt unvereinbare), spezifisch deutsche kirchliche Arbeitsrecht (Stichwort: Dienstgemeinschaft) nicht theologisch begründbar sondern theologisch weit überhöht ist und einem klerikalen Grundverständnis entspringt - das in Art. 6 Abs. 4 Grundordnung / GrO als "Eigenart des kirchlichen Dienstes" vage umschrieben wird.

Die Skandale, an denen die Institution Kirche so besonders schwer trägt, resultieren aus einer "Überhöhung des Amtsverständnisses", einem nicht nur den sakramentalen, theologischen Bereich deckenden Bewusstsein, etwas ganz Besonderes zu sein. Dieses "Besondere" wird auf alle Lebensbereiche und Tätigkeiten von Klerikern ausgedehnt. Was ein geweihter Theologe, ein Kleriker, sagt und tut, kann und darf nicht falsch sein - egal, welchen Bereich es betrifft. Und wenn diese Handlung dann noch theologisch verbrämt begründet wird, dann knicken die eigenen Gedankenwelten ein. "Der Herr (Diakon/Kaplan/Pfarrer/Bischof) hat aber g'sagt ..." ***)
Jeder Arbeitgeber behauptet gerne, dass in seinem Betrieb nicht gewerkschaftlich betätigt, nicht demonstriert / gestreikt werden darf. Aber wenn das ein Klerikar oder ein bestellter Geschäftsführer für eine kircheneigene Einrichtung behauptet, dann wird daraus eine Glaubenswahrheit.
Die Tätigkeit in kirchlichen Einrichtungen ist nun nicht frei von Interessensgegensätzen. Und es gibt bewährte, auch vom päpstlichen Lehramt ausdrücklich anerkannte Wege, diese Interessensgegensätze zu lösen. Was aber tut die deutsche Kirche? Interessensgegensätze sollen gar nicht erst aufgedeckt werden.

Das kirchliche Tarifrecht des "Dritten Weges" (Art. 7 Abs. 1 GrO) wird hinter verschlossenen Türen verhandelt und erweist sich näher besehen als "kollektives Betteln" (Bundesarbeitsgericht, vgl. Urteil vom 10.06.1980, Az. 1 AZR 168/79, Rd.Nr. 22).Jeder Beschlußfassung zugunsten der Mitarbeiter müssen die Arbeitgebervertreter in den Kommissionen ohne Druck zustimmen. Deren Interesse ist aber ein anderes als das der Beschäftigten. Erfahrungsgemäß stimmen sich auch alle Dienstgeber ab - und einer Forderung nur zu, wenn auch jeder Vertreter der Arbeitgeberbank kein Veto einlegt und zumindest "Enthaltung" signalisiert. Und der zuständige Ortsbischof kann immer noch die Inkraftsetzung eines Beschlusses verweigern (Art. 7 Abs. 1 GrO). Die Letztentscheidung und damit die Macht insbesondere über finanzielle Ressourcen wird nicht abegegeben. Dazu kommt, dass die Zusammensetzung der Mitarbeiterseite durchaus auch von der Arbeitgeberseite manipulativ beeinflusst werden kann. Ist das nicht auch Amtsmissbrauch aus klerikalem Interesse? Damit sind die (in der Regel finanziellen) Interessen der kirchlichen Arbeitgeber mehrfach abgesichert. Wo bleiben aber die finanziellen Nöte der MitarbeiterInnen, wo bleibt eine faire Partnerschaft "auf Augenhöhe"? Nun, anscheinend gehört es zur "Eigenart des kirchlichen Dienstes" (Art. 6 Abs. 4 GrO) dass Interessensgegensätze im Zweifel "unter den Teppich gekehrt" werden, und die Entscheidung der klerikalen Hierarchie akzeptiert wird (Art. 7 Abs. 2 GrO). Passt das etwa zu "Laborem exercens" und gilt der Katechismus (hier Nr. 2435) für MitarbeiterInnen kirchlicher Einrichtungen nicht?

Die gefestigten Entscheidungen der Dienstgeber können auch im Verfahren der "Mitberatung" nach MAVO (oder MVG) allenfalls hinterfragt, kaum aber beeinflußt werden. Und die Mitbestimmungsmöglichkeiten in den kirchlichen Normen sind gegenüber dem der weltlichen Einrichtungen ohnehin "maximal reduziert". Ist das mit den Vorgaben etwa in "Mater et magistra" vereinbar?

Die Akzeptanz dieser Einschnitte durch die Beschäftigten ist vielfach weniger von vertrauensvoller Zusammenarbeit als einer "Kultur der Angst" (oder auch von Karrieredenken und dem Wunsch nach einem "fast klerikalen Status" für Laien) geprägt.

Es fragt sich damit auch, wielange der Staat noch zusehen will, dass die Rechte einer erheblichen Anzahl seiner BürgerInnen (die Kirchen sind nach dem öffentlichen Dienst die zweitgrößten Arbeitgeber der Republik) massiv beschränkt werden. Ein (theologisch überhöhter) Anspruch auf Regelung der "eigenen Angelegenheiten" erweist sich als tönern begründet. Denn hier handelt es sich um Angelegenheiten, die auch und insbesondere die kirchlichen MitarbeiterInnen betreffen - und eben nicht nur die Instituion Kirche selbst. Es sind also keine "eigenen" Angelegenheiten, sondern "gemeinsame" Angelegenheiten der Institution Kirche, ihrer Einrichtungen und der darin tätigen MitarbeiterInnen. Und diese sind vielfach nicht einmal Mitglieder der jeweiligen Kirche, so dass - zumindest für die katholische Kirche nach den Konkordatsvereinbarungen - jegliche kirchliche Rechtsetzungsbefugnis für diese MitarbeiterInnen fehlt.

Menschen, die im Raum der Kirche an anfälligen pastoralen Beziehungen und Strukturen Kritik üben, leisten der Kirche einen wichtigen Dienst.

Zitat: Bischof Heinrich Timmerevers

Wo der Bischof recht hat, hat er recht - meint


Erich Sczepanski



*)
Der Begriff "Kulturkatholizismus" wird in Deutschland vielfach für die Katholiken auf dem Weg in die deutsche Kultur (1900-1933), also die Zeit nach dem "preußischen Kulturkampf" verwendet. Es gibt den Begriff aber auch in Polen. So ist im Vierten Kongress Polenforschung unter dem Titel "Grenzen im Fluss" in Frankfurt (Oder) / Słubice, 23. bis 26. März 2017 von Markus Krzoska (Gießen/Siegen) ein Referat zum Thema "Modernismus und „Kulturkatholizismus“ in der polnischen Philosophie und Theologie der Jahrhundertwende" gehalten worden (Programmheft S. 17).

**)
Das Gutachten können Sie hier herunterladen.
Die Pressekonferenz vom Donnerstagmorgen kann über diesen Link immer noch nachverfolgt werden:
Vorstellung des Gutachtens „Sexueller Missbrauch Minderjähriger durch Kleriker im Bereich des Bistums Aachen” | vimeo.com
Vergleich die Berichterstattungen (in alphabetischer Reihenfolge) z.B. bei
Domradio: Gutachten belastet ... - Lücken in den Akten
Katholisch.de: Gutachten belastet ...
Kölner Stadtanzeiger: Erste unabhängige Studie - Gutachter finden ... Hinweise ...
Kölner Stadtanzeiger: Studie zum kirchlichen Missbrauch ....
Neue Osnarbrücker Zeitung: Gutachten belastet ...
Neue Osnarbrücker Zeitung: Missbrauchsgutachten im Bistum Aachen: Geht doch!
rp online: Gutachter prangern Missstände in katholischer Kirche an
Süddeutsche Zeitung: "Schwere Vorwürfe gegen frühere Amtsträger im Bistum Aachen"
WDR: Gutachten zu sexuellem Missbrauch im Bistum Aachen
ZEIT online: Gutachter prangern Missstände in katholischer Kirche an

***)
Dazu zitieren wir die Neue Osnarbrücker Zeitung zum Aachener Gutachten:
Für die Reaktion der Bistumsführung auf die Missbrauchsfälle sehen die Gutachter „systemische Ursachen“, darunter die quasi unangreifbare Stellung des Priesters im Katholizismus als Mittler zwischen Gott und den Menschen ...

1 Kommentar:

  1. Dazu berichtet aktuell die Süddeutsche Zeitung unter https://www.sueddeutsche.de/kultur/katholische-kirche-kirche-missbrauch-1.5118378?reduced=true (Zitat) Der katholische Klerus lehrte das Fürchten und war streng - dabei wäre er eigentlich für Seelsorge zuständig. Doch davon haben die Kirchen-Hierarchen immer noch nichts verstanden. ....

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