...Wir haben bereits am letzten Samstag die zum 01.01.2016 neu gefassten Texte verlinkt.
Eine Änderung der AK-O aufgrund der Entscheidungen des Bundesarbeitesgerichts zum Streikrecht in kirchlichen Einrichtungen war dringend notwendig geworden. Nur wenn die Gewerkschaften an der Gestaltung der Tarifpolitik im Dritten Weg beteiligt werden, ist ein Streikrecht ausgeschlossen. Also mussten Regeln und Quoten her, wie die Gewerkschaften in die Bundes- und Regionalkommission der AK eingebunden werden können.
Tatsächlich muss nach einer ersten Überprüfung der neuen Regelungen eher von einem "Schuß in den Ofen" gesprochen werden. Wir können dies kurz und prägnant begründen
1. Beschränkung der Koalitionsfreiheit:
Schon ein erster Blick in die "Entsendeordnung", die Teil der neuen AK-Ordnung ist, bestätigt, dass den Gewerkschaften und ihren Vertretern einseitig Beschränkungen und Verpflichtungen auferlegt werden. Ob dies zulässig ist, kann vor dem Hintergrund von Art. 9 Abs. 2 S. 3 GG zumindest hinterfragt werden.
2. Fehlende Rechtsetzungsbefugnis:
Welche Befugnisse die Kirchen haben, ist - u.a. - maßgeblich im sogenannten "Reichskonkordat" geregelt, das nach Art. 123 Abs. 2 GG und can. 3 des CIC immer noch geltendes Recht ist. In Artikel 1 des Konkordats ist geregelt:
Das Deutsche Reich (in Rechtsnachfolge: Die Bundesrepublik Deutschland) gewährleistet die Freiheit des Bekenntnisses und der öffentlichen Ausübung der katholischen Religion. Es anerkennt das Recht der katholischen Kirche, innerhalb der Grenzen des für alle geltenden Gesetzes, ihre Angelegenheiten selbständig und zu ordnen und zu verwalten und im Rahmen ihrer Zuständigkeit für ihre Mitglieder bindende Gesetze und Anordnungen zu erlassen.Mir wäre nicht bekannt, dass ver.di - oder auch eine andere Gewerkschaft in Deutschland - Mitglied der katholischen Kirche wäre. Eine Rechtsetzungsbefugnis der Kirche, für eine Gewerkschaft bindende (kirchenrechtliche) Vorschriften zu erlassen, fehlt also.
Eine solche Rechtsetzungsbefugnis kann auch nach dem Grundgesetz nicht eingeräumt werden, denn:
Das Grundgesetz verbietet dem Staat einer Religionsgesellschaft hoheitliche Befugnisse gegenüber Personen zu verleihen, die keiner Religionsgesellschaft angehören(Leitsatz 3 im Urteil des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Dezember 1965 auf die mündliche Verhandlung vom 13. und 14. Juli 1965, Az. 1 BvR 413/60).
3. Fehlende Bindungswirkung:
Dementsprechend werden die Regelungen des kirchlichen Arbeitsvertragsrechts auch nur durch die einzelvertragliche Inbezugnahme rechtswirksam. Dies ergibt sich nicht nur aus § 305 BGB. Es wird schon im ersten Leitsatz im Beschluß des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Juni 1985 -- 2 BvR 1703, 1718/83 und 856/84 -- im Verweis auf die "Privatautonomie" deutlich, und ist in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss des Zweiten Senats vom 22. Oktober 2014 - 2 BvR 661/12 -) zur Frage, in welchem Umfang die arbeitsvertragliche Festlegung glaubensbezogener Loyalitätserwartungen der eigenständigen Überprüfung und Beurteilung seitens der staatlichen Gerichte zugänglich ist, erneut bestätigt worden.
Was nun schon für individuelle, einzelvertragliche Regelungen mit Beschäftigten gilt, die ggf. selbst der katholischen Kirche angehören, das muss für die Zusammenarbeit mit Gewerkschaften bei der Weiterentwicklung des kirchlichen Arbeitsvertragsrechts erst recht gelten.
4. Das Resümee?
Die neue AK-Ordnung kann gegenüber den Gewerkschaften keinerlei Ansprüche begründen. Sie ist für eine Gewerkschaft nicht verpflichtend. Wer aus dieser AK-Ordnung Ansprüche gegenüber einer Gewerkschaft geltend machen will, muss scheitern. Denn die behauptete Rechtsgrundlage kann einer gerichtlichen Überprüfung nicht standhalten. Sie sind als Verstoß gegen das Grundrecht der Koalitionsfreiheit von Anfang an rechtswidrig und nichtig. Auf die möglichen Folgen einer inzidenten Normenkontrolle für die gesamte AK-Ordnung wird hier nur der Vollständigkeit halber verwiesen.
Der erhoffte Ausschluss des Streikrechts kann so also nicht erreicht werden. Die Regelungen der neuen AK-Ordnung sind zumindest bezüglich der Gewerkschaften nicht "das Papier wert", auf dem diese Regelungen gedruckt werden. Die Bischöfe wären gut beraten, von einer kirchenrechtlichen Inkraftsetzung dieser Regelungen abzusehen.
Wenn die Gewerkschaften an der Weiterentwicklung des kirchlichen Arbeitsvertragsrecht beteiligt werden sollen, dann ist zumindest eine Grundlagenvereinbarung mit den Gewerkschaften über den beabsichtigten materiellen Inhalt dieses Arbeitsvertragsrecht nötig, und eine Vereinbarung über die Frage, wie die Zusammenarbeit formal gestaltet werden soll.
Siehe auch unseren Nachtrag vom 11. November
Lieber Erich,
AntwortenLöschenalle rechtlichen Aspekte können herausgestellt werden. Das hilft nicht viel. Nach meiner Meinung sollten nach mehr Kolleginnen und Kollegen zu einer Mitgliedschaft und Mitarbeit in ver.di zu bewegen. Erst wenn nach außen sichtbar wird das Ver.di auch innerhalb der Kirchen mächtig ist ändert sich etwas. Ohne viele aktive Mitglieder wäre im Evangelischen Bereich nichts bewegt worden.
Bisher gibt es für die meisten Kolleginnen und Kollegen im Kirchlichen Dienst der TV-öd zum Nulltarif.
Selbst eine Sackgasse geht man leichter wenn genug Zucker darauf verteilt sind. Beim Bücken sieht man das Ende der Sachgasse nicht.
Lieber Helmut,
AntwortenLöschenim Grundsatz hast Du ja recht - allerdings haben wir uns auch rechtlich zu lange Verarschen lassen. Ich erinnere an Gerüchte, es sei verboten, sich in kirchlichen Einrichtungen gewerkschaftlich zu engagieren oder die sogar dokumentierbaren Versuche, koalitionsmäßige Betätigungen bis hin zu einem "Streikverbot" kirchengesetzlich zu normieren.
Da gibt es wohl interessierte Kreise und Rechtfertigungsjuristen, von denen kirchliche Gesetzgeber dezidiert falsch bzw. fehlerhaft beraten werden. Dann ist es aber gem. c. 212 § 3 CIC geboten, Irrtümer frühzeitig richtig zu stellen.
Und mancher Schwachfug setzt sich sonst auch in den Hinterköpfen der Beschäftigen fest.
Nur ein Beispiel:
auch in der aktuellen Grundordnung (Fassung des Beschlusses der Vollversammlung des Verbandes der Diözesen Deutschlands vom 27. April 2015) steht in Art. 7 Abs. 2 S. 2:
(Zitat) "Streik und Aussperrung scheiden ... aus" (Zitat Ende)
Das kann als "Streikverbot" missverstanden werden. Das wäre schon nach den Entscheidungen des BAG wie des Bundesverfassungsgerichts zum Streikrecht in kirchlichen Einrichtungen nicht haltbar. W.o.a. kann eine Kirche einer Gewerkschaft auch keine bindenden Vorschriften machen.
Wenn man den Text der Grundordnung also rechtskonform interpretieren will, dann kann er nur eine Aufforderung an die Dienst- respektive Arbeitgeber (nur diese sind der kirchlichen Gesetzgebung unmittelbar unterworfen) sein, dafür zu sorgen, dass ein Streik (der auch im Katechismus ausdrücklich als "ultima ratio" zugestanden ist) gar nicht erst erforderlich wird. So gesehen erhält die Formulierung der Grundordnung eine ganz andere Perspektive.
Dass allerdings - wenn die kirchlichen Arbeitgeber dieser Vorgabe nicht folgen - letztendlich nur eine an Mitgliedern starke Gewerkschaft dann auch den notwendigen Nachdruck erzeugen kann, stimmt auch wieder.
Widersprechen möchte ich Dir allerdings in einem Punkt: den TVöD gibt's nicht zu "Nulltarif":
1.
Wie lange dauert es, bis das TVöD Ergebnis übernommen wird? Selbst bei einer 1:1 Übernahme erfolgt die Auszahlung aufgrund der gestaffelten Beschlussfassung im Caritas-System i.d.R. mit mehrmonatiger Verzögerung und entsprechenden Nachzahlungen.
Wie viele Überziehungszinsen haben die Beschäftigten bis dahin ggf. bei der eigenen Bank bezahlt? Wie viel "Zinsgewinn" erwirtschaften sich die Arbeitgeber in dieser "Verzögerungsphase"?
Wird das wirklich durch spätere höhere Nachzahlungen berücksichtigt?
2.
Gerade bei den kirchlichen Wohlfahrtsverbänden erfolgt die Übernahme des TVöD nur, solange diese Übernahme nötig ist, um qualifiziertes Personal zu gewinnen und zu halten.
Daher klappt auch die Übernahme von TVöD - Abschlüssen durch das mehrstufige "Nachverhandeln" bei Beschäftigten, die sonst gar nicht erst anfangen oder abwandern (z.B. bei Ärztinnen und Ärzten) relativ zügig. Andererseits wird bei Beschäftigten in den "unteren Vergütungsgruppen" (ungelernte Kräfte, Anlernkräfte) das TVöD Niveau immer weniger gehalten. Da gibt es ja auch genug "Arbeitssuchende am Markt". Daher besteht für die Arbeitgeber nicht die Notwendigkeit, hier "mehr" zu bezahlen. Dass die Absenkungen der unteren Vergütungsgruppen (ich denke z.B. an die Region Ba.-Wü. der Caritas) nicht gerade besonders "ethisch anspruchsvoll" sind, spielt offenbar keine Rolle.
Also - zum "Nulltarif" gibt es den TVöD auch und gerade bei der Caritas nicht. Die Beschäftigten haben Zinsverluste, und gerade die unteren Vergütungsgruppen, die auf eine zügige Übernahme besonders angewiesen wären, finanzieren das System des "Dritten Weges" besonders mit.