Montag, 21. Februar 2022

Jetzt besteht eine realistische Chance, das kirchliche Arbeitsrecht abzuschaffen. Nutzen wir sie! - Gastbeitrag von Klaus Barthel, Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (AfA) in der SPD

Jetzt besteht eine realistische Chance, das kirchliche Arbeitsrecht abzuschaffen. Nutzen wir sie!

Die Sonderrechte der beiden deutschen Kirchen haben jahrhundertelang alle Umwälzungen, Kriege und Katastrophen überdauert. Im Sozialstaat des 21. Jahrhunderts wächst, entsprechend dem gesellschaftlichen Bedarf, der Dienstleistungssektor gerade in der Pflege, Betreuung und Erziehung dynamisch. Leider findet dieses Wachstum in den letzten Jahrzehnten immer mehr unter kommerziellen und wettbewerblichen Rahmenbedingungen statt. Wir drehen uns immer schneller in einem Teufelskreis von Kräftemangel und sich verschlechternden Arbeitsbedingungen.
Das kirchliche Arbeitsrecht prägt diesen Sektor aus historisch längst überholten Gründen mental, materiell und juristisch immer noch. Interessanterweise hat die Rechtsprechung schon vor Jahrzehnten klargestellt, dass es in kircheneigenen Produktionsbetrieben wie Molkereien, Brauereien und Druckereien nichts zu suchen hat. Dort gibt es längst Tarifverträge und Betriebsräte. Die Dienstleistenden davon auszuschließen, erfüllt den Tatbestand einer unhaltbaren Diskriminierung.

Auf Antrag ihrer Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (AfA) hat der Bundesparteitag der SPD 2013 den Handlungsbedarf beim kirchlichen Arbeitsrecht klar benannt und begründet. 2021 fanden diese Forderungen endlich Eingang in das „Zukunftsprogramm“ für die Bundestagswahl, und schließlich auch in den Koalitionsvertrag. Letzteres war deshalb möglich, weil erstmals seit langem wieder eine Regierung ohne C-Parteien, die sich in weiten Teilen leider immer noch als Sachwalterinnen amtskirchlicher Auffassungen verstehen, zustande kam. Die Ampel stößt jetzt ein neues Zeitfenster auf. Das muss jetzt genutzt werden.

2021 haben die Kirchen und ihre Wohlfahrtsverbände dem Rest der Republik ihre Machtposition und ihre unveränderte Haltung zum „Dritten Weg“ unmissverständlich vorgeführt: Sie ließen einen unter Führung des Bundesarbeitsministeriums mühsam ausgehandelten Flächentarifvertrag für die Altenpflege platzen. Dieser konnte deshalb nicht für allgemeinverbindlich erklärt werden. Im Ergebnis führt das dazu, dass in diesem Bereich immer noch mit staatlich verordneten Mindestlöhnen operiert werden muss, damit dem Lohn- und Sozialdumping der privaten Betreiber von Einrichtungen und Diensten wenigstens eine absolute Untergrenze gesetzt werden kann. Mit ihrer ablehnenden Haltung zum Flächentarif haben die christlichen Verbände nicht zuletzt ihren eigenen wirtschaftlichen Interessen zugunsten der Ideologie des „Dritten Weges“ geschadet. Mit Recht weisen sie ja darauf hin, dass sie sich selbst oft an tariflichen Regelungen orientieren oder sogar bessere Bedingungen bieten. Sie können eigentlich kein Interesse an den tariffreien Zonen der privaten Konkurrenz haben. Es ging also ums Prinzip.

Diese Prinzipienreiterei schadet nicht „nur“ den Beschäftigten und ihren Arbeitsbedingungen bei den kirchlichen und privaten Anbietern. Immer mehr wird deutlich, dass hier eine der Hauptursachen für den Pflegenotstand und den Arbeitskräftemangel auch im Sozial- und Erziehungswesen liegt: die Rechte der betrieblichen Interessenvertretungen sind massiv eingeschränkt, und vor allem liegt der gewerkschaftliche Organisationsgrad sehr niedrig. Das ist aber nicht hauptsächlich als „Schwäche der Gewerkschaften“ zu verdrehen, sondern ergibt sich logisch daraus, dass Gewerkschaften ohne starke Betriebsräte sowie ohne Tarif- und Streikrecht für die Beschäftigten nur einen beschränkten Gebrauchswert besitzen. Rund 1,8 Millionen Pflegende, Erziehende, Hilfskräfte, Rettungsdienstleistende, Hausmeister, Verwaltungs- und Reinigungspersonal usw. bei kirchlichen Trägern, und damit mehr als ein Drittel der „systemrelevant“ Arbeitenden in den betreffenden Segmenten, sind ArbeitnehmerInnen der Sonderklasse, manche sagen „zweiter Klasse“. Dass dies nicht ohne Folgen für alle bleibt, liegt auf der Hand. Wer hier nicht Handeln will, sollte vom Pflege- und Erziehungsnotstand ganz schweigen.

Es liegt also im unmittelbaren Interesse der Allgemeinheit, außerhalb des unmittelbaren Bereichs der Verkündung das allgemeine Arbeitsrecht anzuwenden. Auch sind der Paragraph 118 Absatz 2 (der im übrigen nicht den allgemeinen Tendenzschutz betrifft) im Betriebsverfassungsgesetz sowie die entsprechenden Regelungen in den Personalvertretungsgesetzen ersatzlos zu streichen. Diese schließen bisher die rechtlich abgesicherte und einklagbare Anwendung der betrieblichen Mitbestimmung bei Religionsgemeinschaften explizit aus.

Bleiben die verfassungsrechtlichen Fragen und die Haltung der Kirchen. „Gemeinsam mit den Kirchen prüfen wir...“ heißt es im Koalitionsvertrag. Das Beste wäre es also, die Kirchen würden von sich aus diesen Weg mitgehen. Es gibt genug Kirchenmitglieder, auch Gruppen und relevante Teilbereiche, selbst Führungskräfte, die das nicht nur akzeptieren, sondern unterstützen. Die Zeiten, in denen ein paar Hände voll Bischöfe und Caritas-Direktoren „die Kirchen“ gegenüber einer demokratisch verfassten Gesellschaft und ihrem Staat vertreten, müssen vorbei sein. Auch die Mitarbeiter-Vertretungen und die tarifmächtigen Gewerkschaften, also auf jeden Fall verdi, müssen mit am Tisch sitzen.

Die Missbrauchsdebatte (die ja auch arbeitsrechtliche Aspekte aufweist), die massenhaften Austritte und Proteste zeigen die Vertrauenskrise drastisch auf. Die Kirchen sollten die Zeichen der Zeit erkennen und die Überdehnung ihres Machtbereichs begradigen. Dem echten Glauben würde das sicher nicht schaden. Anderenfalls wird der politische Druck für ein verfassungskonformes Handeln durch den Gesetzgeber wachsen. Hier sind die Spielräume längst nicht ausgeschöpft. Gemeinsam ginge es aber schneller und besser.

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