Es gibt überhaupt keinen Grund, von der Passage zum Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung enttäuscht zu sein. Zwar gibt es derzeit nur einen Prüfauftrag zur Angleichung des kirchlichen an das weltliche Arbeitsrecht. Dieser Prüfauftrag ist jedoch nur ein erster Schritt, der in den kommenden Monaten von uns mit Leben gefüllt wird.der ehemalige ver.di Vorsitzende ist zum arbeits- und sozialpolitischen Sprecher seiner Fraktion gewählt worden und hat den Koalitionsvertrag zum Thema Arbeit mitverhandelt
Der Auftrag aus dem Koalitionsvertrag unterstreicht, dass es in der Ampel-Koalition den klaren Willen gibt, Veränderungen herbeizuführen und das kirchliche Arbeitsrecht einzuschränken. Mir wäre es am liebsten, wenn wir es zu einem Relikt der Vergangenheit machen und komplett abschaffen würden. Dass das kirchliche Arbeitsrecht so lange Bestand hatte, hängt damit zusammen, dass den Glaubensgemeinschaften verfassungsrechtlich zugestanden wurde, ihre Angelegenheiten selbst zu ordnen. Dabei wurde der Begriff der eigenen Angelegenheiten ziemlich überdehnt. Für mich enden die eigenen Angelegenheiten dort, wo die Angelegenheiten anderer beginnen bzw. sich überschneiden. Von daher sind es nicht mehr die eigenen Angelegenheiten kirchlicher Wohlfahrtsorganisationen, sondern die gemeinsamen Angelegenheiten von kirchlichen Arbeitgebern und den dort Beschäftigten. Ich finde, außerhalb des verkündungsnahen Bereichs muss daher das allgemeine Arbeitsrecht uneingeschränkt gelten.
Es wird Zeit, dass die über eine Millionen Menschen, die bei Caritas und Diakonie beschäftigt sind, nicht mehr als Arbeitnehmer*innen zweiter Klasse behandelt werden. Auch sie müssen das Recht haben, Betriebsräte zu gründen, Tarifverträge in einem ordentlichen Verfahren abzuschließen und für ihre Belange streiken zu dürfen.
Am dringlichsten ist es, die derzeit geltenden Diskriminierungen im individuellen Arbeitsrecht zu beseitigen. Diese Einschränkungen betreffen in erster Linie die Caritas, die sich noch immer damit schwer tut, Wiederverheiratete und nicht-heterosexuelle Menschen zu beschäftigen. Das ist absolut hinterwäldlerisch und hängt mit der verstaubten katholischen Sexualmoral aus dem vorletzten Jahrhundert zusammen.
Mir wäre es lieber, wenn die katholische Kirche von sich aus Veränderungen umsetzen würde. Dazu gehören die uneingeschränkte Gültigkeit des kollektiven und des individuellen Arbeitsrechts. Wiederverheiratete und queere Menschen müssen endlich auch bei der Caritas diskriminierungsfrei arbeiten könnten. Wenn die katholische Wohlfahrtsorganisation nicht von sich aus handelt, muss der Staat tätig werden.
Infoblog für Verdi-Betriebsgruppen in Caritas-Einrichtungen & Interessierte. In Bayern und anderswo.
Montag, 14. Februar 2022
Das kirchliche Arbeitsrecht muss abgeschafft werden - Gastbeitrag von MdB Frank Bsirske, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
4 Kommentare:
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Dass Mitarbeitende der Diakonie "als Arbeitnehmer*innen zweiter Klasse behandelt werden" ist eine böswillige Unterstellung. Zum Beispiel liegt die Bezahlung der kirchlichen Mitarbeitenden in der Regel immer deutlich über den durch Verdi ausgehandelten Tarifverträgen. Komisch, oder?
AntwortenLöschenLieber Herr Lunkenheimer, die Caritas übernimmt in ihren AVR die Vertragsabschlüsse von ver.di mit den kommunalen Arbeitgebern - immer später, mit immer größeren Schwierigkeiten und immer weniger vollständig. Wieso dann die Bezahlung besser sein soll erschließt sich mir nicht.
LöschenWir beschränken uns auch nicht auf pauschale Behauptungen sondern haben immer wieder konkrete Gehaltsvergleiche angestellt und dabei mehrfach und ständig belegt, dass vor allem die Diakonie schlechter zahlt. Mehr können Sie über die Suchfunktion unter dem Stichwort "Wohlfahrt intern" nachlesen. Komisch, oder?
Erich Sczepanski
Sehr geehrter Herr Bsirske, liebe Interessierte,
AntwortenLöschenich arbeite seit vielen Jahren im kirchlichen Bereich. 5 Jahre in der Diakonie und ca. seit 20 Jahren im Bereich der Caritas. Seit vielen Jahren engagiere ich mich auch in unterschiedlichen arbeitsrechtlichen Gremien, u. a. seit über 13 Jahren in der Mitarbeitervertretung ( bin zudem auch Verdi Mitglied ). Sie schreiben, dass Mitarbeitende das Recht haben müssen, Betriebsräte wählen zu können. Das haben wir in gewisser Weise ja auch. Es heißt nur Mitarbeitervertretung und nicht Betriebsrat. Es gibt zwar Unterschiede, dennoch ist das Mitarbeitervertretungsrecht gut strukturiert und organisiert. Es gibt unterschiedliche arbeitsrechtliche Gremien auf Bundes- und Regionalebene, die sich aus engagierten Menschen mit hoher Fachkompetenz zusammensetzen. Streikrecht ausüben zu können oder nicht ist sicher eine Einschränkung der Grundrechte, macht aber aktiv Mitwirkende im kirchlichen Arbeitsrecht ja nicht zu willenlosen Ja-Sagern und degradiert uns auch nicht zu Mitarbeitenden 2. Klasse. Die arbeitsrechtlichen Gremien bestehen aus gewählten Vertreter*innen aus der Basis, also Menschen, die ganz dicht an den Kolleg*innen dran sind, die sie vertreten. Und sie stehen den Entscheidern aus den Einrichtungen direkt gegenüber und müssen sich auseinandersetzen, ohne die Möglichkeit zu haben sich hinter einer Gewerkschaft zu verstecken. Schon dazu gehört eine hohe persönliche Kompetenz.
Ich bin mir sicher, dass Sie das auch genauso sehen, aber die Äußerungen in Ihrer Stellungnahme vermitteln leider einen völlig anderen Eindruck.
Was die immer noch geltenden Loyalitätsobliegenheiten betrifft, bin ich ganz Ihrer Meinung - das muss ohne Frage gänzlich abgeschafft werden. Alle Mitarbeitenden müssen angstfrei ihr individuelles Leben und Arbeiten gestalten dürfen !!!
Viele Grüße
Lieber Herr oder Frau Beb, dass der "Wohlfahrtskonzern Caritas" eine durchgehend bis auf Bundesebene greifende Struktur von Mitarbeitervertretungen hat, bestreitet niemand. Leider sind aber deren Rechte - im Vergleich etwa zum Betriebsverfassungsgesetz - massiv gestutzt. Darüber hinaus darf ich beispielhaft auf folgende Beiträge verweisen:
Löschen- 23.09.2013: Wen vertritt IGMiCK?
- 16.10.2021: Wieviel MitarbeiterInnen ....
- 21.11.2023: Trägerwechsel und Fusionen
Diese bilden ein Schlaglicht auf Behauptungen und Realitäten im (katholischen) Mitarbeitervertretungsrecht.
Viele Grüße
Erich Sczepanski