"Obwohl die Nachfrage nach sozialen Dienstleitungen stark steigt, bleiben die Löhne auf niedrigem Niveau. Offenbar funktionieren Mechanismen von Angebot und Nachfrage in diesem Bereich nicht. Um einen Hebel für zukünftige Lohnsteigerungen zu haben, muss für die sozialen Dienstleitungen ein ganz neuer Begriff von „Produktivität“ gelten. Der Wert der Arbeit von Pflegerinnen und Erzieherinnen lässt sich nicht mit dem üblichen Produktivitätsbegriff abbilden."
lautet die Diagnose im aktuellen Bericht der von der Hans-Böckler-Stiftung initiierten Kommission „Arbeit der Zukunft“:
Unsere Gesellschaft ist auf gute Kitas und professionelle Altenpflege angewiesen. Dennoch werden soziale Dienstleistungen, die zum größten Teil von Frauen ausgeübt werden, vergleichsweise schlecht bezahlt. Eine Aufwertung dieser Tätigkeiten ist eine der wichtigsten gesellschaftlichen Aufgaben.
Um die Situation in sozialen Berufen konkret zu verbessern, schlägt die Kommission folgende Ansätze vor:
- Die Tarifbindung erweist sich international als Schlüssel, um höhere Einkommen im sozialen Dienstleistungssektor durchzusetzen. In Deutschland ist durch die Fragmentierung der Tariflandschaft in diesem Bereich, vor allem aber durch die Zunahme – überwiegend nicht tarifgebundener – privater Anbieter der Anschluss an die allgemeine Lohnentwicklung verloren gegangen. Allgemeinverbindlicherklärungen könnten Standards in der Fläche absichern, trägerübergreifend wirken und Lohnkonkurrenz vermeiden. Das für Allgemeinverbindlicherklärungen nötige öffentliche Interesse sollte klar definiert sein. Zum Beispiel: „Ein öffentliches Interesse ist gegeben, wenn eine Branche einen Mindestlohnanteil von mindestens 20 Prozent hat.“
- Noch immer wird gern ausgeblendet, dass in sozialen Berufen Beschäftigte mit Fachqualifikationen tätig sind. Diese angemessen zu honorieren, ist für das professionelle Selbstverständnis der Beschäftigten wichtig. Selbst vollzeitbeschäftigte Erzieherinnen und Krankenpflegerinnen verdienen deutlich weniger als Fachkräfte in der Industrie. In nordischen Ländern zielt die Lohnpolitik auch da- rauf, branchenbedingte Differenzen auszugleichen.
- Emotionale und psychosoziale Anforderungen spielen in sozialen Dienstleistungsberufen eine große Rolle. Diese werden bislang bei der Arbeitsplatzbewertung nicht ausreichend berücksichtigt. Es braucht moderne Arbeitsplatzbewertungsverfahren, die psychosoziale Belastungen und soziale Kompetenzen besser abbilden.
- Die Benachteiligung der sozialen Dienstleitungsberufe beginnt schon bei der Ausbildung – sie dauert oft länger als die duale Ausbildung, wird zumeist nicht bezahlt, teilweise wird sogar Schulgeld erhoben. Auszubildende sollten jenen im dualen System gleichgestellt werden und flächendeckend eine Ausbildungsvergütung erhalten.
- In Deutschland sind Beschäftigte in sozialen Berufen besonders häufig von kurzen Arbeitszeiten betroffen. Ein Teil wünscht sich aber eine Aufstockung. Hier müssen mehr Möglichkeiten geschaffen werden, individuell die Arbeitszeit zu erhöhen. Denkbar wäre beispielsweise eine „Sockelarbeitszeit“ von 20 Stunden, also eine wöchentliche Mindestarbeitszeit.
- Dass zugleich viele Beschäftigte nicht in Vollzeit arbeiten wollen, ist den besonderen Belastungen der Arbeit geschuldet: Schichtarbeit, hohe Arbeitsintensität und eine Ökonomisierung der Pflege (Stichwort: Minutenpflege) widersprechen oft professionellen Standards und bringen Beschäftigte an die Grenze ihrer Belastbarkeit. Dies ist auch eine Folge davon, dass im Gesundheits- und Sozialwesen zu wenige Stellen geschaffen worden sind. In einem ersten Schritt muss künftig mehr Personal eingestellt, anschließend müssen verbindliche Vorgaben zur Personalbemessung geschaffen werden.
Quelle: Kerstin Jürgens, Reiner Hoffmann u.a.: Arbeit transformieren! Denkanstöße der Kommission „Arbeit der Zukunft“, Bielefeld 2017 - Download: bit.do/impuls1031 (ab Seite 65)
[Textquelle: Boeckler-Impuls 1/2018, S. 5]
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