Thematisiert wird auch die Frage, welche Rolle die kirchlichen Wohlfahrtsverbände, ihre Beschäftigten und ihre Kommissionen in diesem Zusammenhang spielen. (Schließlich suggerieren sie, man könnte auch ohne gewerkschaftliches Engagement vernünftige Tarife gestalten. Indem man die Tarife des öffentlichen Dienstes zur Vorlage nimmt und dort, wo es der Markt zu gebieten scheint, diese Tarife dann regional nach unten anpasst?)
Böckler-Impuls 1/2018:
Gemeinsam für bessere Arbeitsbedigungen
Ausgerechnet in einer der Branchen mit dem stärksten Beschäftigungswachstum ist es um den kollektiven Zusammenhalt der Beschäftigten schlecht bestellt: in der Pflege.
In den Werkshallen zogen die Beschäftigten schon vor 100 Jahren an einem Strang: harte Arbeit, gutes Geld! Ohne Betriebsrat und Tarifvertrag geht nichts – bis heute sind die Interessenvertretungen in der Industrie stärker und die Löhne höher als im Durchschnitt. Auf eine ganz andere Tradition blickt die immer wichtiger werdende Altenpflege zurück. Sich um pflegebedürftige Menschen zu kümmern, galt bis vor nicht allzu langer Zeit im Wesentlichen als mildtätiger „Liebesdienst“ – fast immer von Frauen geleistet. Noch heute steht dieses Denkmuster im Weg, wenn es darum geht, aus Pflegejobs ganz „normale Arbeitsverhältnisse“ zu machen, in denen die Beschäftigten sich nicht nur aufopfern, sondern auch gemeinsam ihre Rechte einfordern. Darauf macht der Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder von der Universität Kassel in einer von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Studie aufmerksam.
Doch dies ist nicht die einzige Besonderheit der Branche, die eine wirksame Interessenvertretung erschwert. Es handelt sich um einen „zerklüfteten, wettbewerblich gemischt finanzierten Sektor, dessen Beschäftigungsbedingungen von Kostendruck, Flexibilisierung und Ökonomisierung gekennzeichnet“ sind, so Schroeder. Gegenüber den Arbeitgebern bestehe ein „starkes Machtgefälle mit ausgeprägten Repräsentationslücken“.
Allein zwischen 1999 und 2015 ist die Zahl der Beschäftigten in der Altenpflege um 460 000 auf knapp 1,1 Millionen gestiegen. 65 Prozent der Stellen sind Teilzeitjobs, so viel wie in kaum einem anderen Wirtschaftszweig. 85 Prozent der Beschäftigten sind auch heute noch Frauen. Umfragen zeigen: Es fehlt vielfach an guten Arbeitsbedingungen, worunter die Attraktivität des Berufs leidet. 2012 erwarteten drei Viertel der Beschäftigten in der Altenpflege, ihren Beruf nicht bis zum gesetzlichen Rentenalter aus- üben zu können. Das Spektrum der Qualifikationen ist breit, für eine gute Pflege benötigt man gut qualifiziertes Personal in ausreichender Anzahl. Auch das Arbeitgeberlager ist alles andere als einheitlich: Von privaten Firmen über den öffentlichen Dienst, freie Wohlfahrtsverbände und kirchliche Träger ist alles dabei.
Inwieweit es trotz dieser schwierigen Ausgangssituation gelingen kann, „ein belastbares System kollektiver Arbeitsbeziehungen“ aufzubauen, hat Schroeder auf Basis einer Befragung von 750 Beschäftigten und einzelner Interviews analysiert. Bei der Auswertung wird deutlich, dass rund ein Drittel der Beschäftigten insgesamt unzufrieden mit ihren Arbeitsbedingungen ist. Klar ist, wo die Probleme liegen: Deutliche Unzufriedenheit tritt zutage, wenn es um Arbeitszeiten, Bezahlung und vor allem den Zeitdruck bei der Arbeit geht. Hier sehen rund 8 Prozent, 24 Prozent beziehungsweise 68 Prozent dene wichtigsten Handlungsbedarf.
Allerdings scheitert eine wirksame Durchsetzung von Interessen nicht nur daran, dass es auf Arbeitnehmer- wie Arbeitgeberseite weniger homogene Gruppen gibt als in der Industrie. Auffällig ist, dass fast neun von zehn Pflegekräften in erster Linie nicht den Arbeitgeber für die Verbesserung ihrer Arbeitssituation in der Verantwortung sehen, sondern den Staat. Keine ganz falsche Einschätzung, urteilt Schroeder: Schließlich übernimmt die Pflegeversicherung einen Teil der Finanzierung. Daher müssten auch „entscheidende Anstöße und Anreize von Politik und Staat ausgehen, um eine handlungsfähige Institutionenordnung der Arbeitnehmer-Arbeitgeberbeziehungen in der Altenpflege zu schaffen“.
Dennoch sei es wichtig, die gewerkschaftliche Interessenvertretung in den Betrieben zu stärken und Arbeitnehmervertretungen auf- und auszubauen. Bisher haben gerade einmal rund zehn Prozent der Beschäftigten bei privaten Pflegediensten und -einrichtungen einen Betriebsrat gewählt. Bei Kirchen und Wohlfahrtsverbänden wird ein gutes Drittel vertreten, allerdings auf Basis des speziellen kirchlichen Dienstrechts, das den Mitarbeitervertretungen deutlich weniger Rechte einräumt als Betriebsräten. Bei öffentlichen Trägern sind es 30 Prozent, die einen Personalrat an ihrer Seite haben. Noch dünner gesät sind Gewerkschaftsmitgliedschaften: Nur 11 Prozent der Befragten sind in einer Gewerkschaft. Über die Hälfte hat noch nie über eine Mitgliedschaft in der Gewerkschaft nachgedacht. Selbst von den Betriebs- oder Personalratsmitgliedern sind in Pflegeeinrichtungen nur 42 beziehungsweise 20 Prozent organisiert. In kirchlichen Mitarbeitervertretungen liegt die Quote sogar nur bei 17 Prozent.
Schroeder zufolge besteht ein „Teufelskreis“: Weil die gewerkschaftlichen Mitbestimmungsmöglichkeiten nicht ausreichend bekannt sind, kommen die Beschäftigten – insbesondere die Angelernten, Teilzeitbeschäftigten und Niedrigqualifizierten – nicht auf die Idee, sich in der Gewerkschaft zu beteiligen. Diese wiederum böte aber den Beschäftigten Chancen und Unterstützung, ihre Interessen gemeinschaftlich im Betrieb zu vertreten. Um den „Teufelskreis“ zu durchbrechen, empfiehlt der Forscher den Gewerkschaften, zunächst vor allem auf die bestehenden Arbeitnehmervertretungen zuzugehen. Wichtig sei zudem „die Thematisierung guter Arbeitsbedingungen im überbetrieblich-gesellschaftlichen Raum“.
Link zur Studie "Beschäftigtenhandeln in der Altenpflege": Wolfgang Schroeder unter Mitarbeit von Oliver D'Antonio, Sascha Futh, Christine Ludig, Katarina Pollner, Benedikt Schreiter, Florian Steinmüller und Wolfgang Voges: Kollektives Beschäftigtenhandeln in der Altenpflege, Study der Hans-Böckler-Stiftung Nr. 373, Januar 2018 - Download: bit.do/impuls1030
[Texte aus: https://www.boeckler.de/impuls_2018_1_4-5.pdf]
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