Im Vatikan ist eine aktualisierte Fassung der katholischen Soziallehre in Vorbereitung. Es geht darum, päpstliche Lehrinhalte der vergangenen 20 Jahre einzuarbeiten, also aus den Pontifikaten Benedikt XVI. und Franziskus. Eingebunden ist der deutsche Moraltheologe Peter Schallenberg.Peter Schallenberg hat zuletzt mit ethischen Investitionen unter Nachhaltigkeitsaspekten publiziert. Er ist Berater der Bischöflichen Arbeitsgruppe „Europa“ der Deutschen Bischofskonferenz und Mitglied der Kommission VI der Deutschen Bischofskonferenz. Diese erarbeitete u. a. Papiere zum Verhältnis der katholischen Kirche zur Arbeitswelt. Die Diskrepanz zwischen den eigenen Ansprüchen der katholischen Soziallehre und der Praxis der deutschen katholischen Kirche (Dritter Weg) dürfte ihm nicht unbekannt sein.
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Als Beispiele für neue Themen, die in das Kompendium einfließen werden, nannte er Digitalisierung, Biotechnologie, Ökologie und Entwicklungen der Arbeitswelt, hier etwa die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die Rentenansprüche aus Care-Arbeit, die Frage der Lieferketten oder der Zulässigkeit von Kinderarbeit.
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Das Kompendium der Soziallehre besteht aus drei Teilen. Der erste verortet die katholischen Soziallehre in der Theologie insgesamt, der zweite Teil fasst die Prinzipien und Grundlagen zusammen. Der dritte Teil geht der Frage nach, wie die Soziallehre das Handeln der Gläubigen bestimmen soll. Von der Aktualisierung betroffen ist besonders der zweite Teil, sagte Schallenberg. „Der einführende Teil kann bis auf einige ergänzende Sätze bleiben. Der Schlussteil ist wichtig, aber auch da ist daran gedacht, dass man nicht zu zentralistisch vorgeht. Entscheidend ist, den mittleren Teil, die Materie, fortzuführen und zu ergänzen, was dort an Neuem ist.“
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Während Papst Benedikt XVI. viel für die Begründungszusammenhänge der Soziallehre leistete, hat sein Nachfolger Franziskus die kirchliche Soziallehre in einem mehr praktischen Sinn auf eine neue Ebene gehoben, findet Schallenberg. Franziskus scheue sich nicht, mitunter auch vermintes Feld zu betreten und auf brandaktuelle gesellschaftliche Fragen einzugehen. „Ganz konkret: Ist die zivile Nutzung von Atomkraft unethisch oder nicht? Ja, das kann sein, dass das auf einmal in Zusammenhang der Fragen von Energie-Unabhängigkeit in einem anderen Licht erscheint.“ Die Kirche brauche dann auch den Mut, zuzugeben, dass sie sich geirrt habe oder die Wissenschaft zu neuen Erkenntnissen gelangt sei, was zu anderen Güterabwägungen führen könne. „Möglicherweise sagt man: Wir wollen Menschenrechtsverletzungen auf internationaler Ebene, etwa durch Russland, vermeiden - dafür stellen wir etwas von unseren Klimaforderungen hinten an. Es kann sein, dass die Güterabwägungen sich verändern. Das, würde ich sagen, ist durch das päpstliche Lehramt von Papst Franziskus sehr stark vorangetrieben worden, dieser Mut zur Konkretion und auch der Mut zur Korrektur.“
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Möglicherweise kann er auch einen Beitrag dazu leisten, die Gesprächsverweigerung der deutschen Bischöfe gegenüber der Kirchengewerkschaft im DGB zu beenden.
Zum Stand der gewerkschaftlich-sozialwissenschaftlichen Diskussionen in angesprochenen Fragen verweisen wir auf:
Der lange Hebel. Macht und Machtressourcen von Unternehmen und Arbeitgeberverbänden im Arbeitskampf(Quelle: Heiner Dribbusch, bis zu seinem Ruhestand im Dezember 2019 am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) in Düsseldorf beschäftigt in LabourNet Germany vom 16.04.2022)
»Arbeitnehmer und ihre Gewerkschaften stehen den Verfügern über die Produktionsmittel nicht als gleichstarke Partei auf gleichem Plateau gegenüber. Sie kämpfen als Fordernde, als Nichthabende um Anteile, die die Gegenseite auf Grund der bestehenden Eigentums- und Rechtsordnung hat.«
(Hans Matthöfer, damals noch Leiter der Bildungsabteilung bei der IG Metall, 1971.)
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Fazit
Beginn, Verlauf und Ergebnis von Arbeitskämpfen werden entgegen einem auch unter Linken verbreiteten Missverständnis nie alleine von den Beschäftigten und ihren Gewerkschaften bestimmt. Unternehmen und Arbeitgeberverbänden stehen grundsätzlich mehr und wirkungsvollere Machtressourcen zur Verfügung. Hinter der Idee »Gewerkschaft« steht deshalb ja auch, dieses dem Lohnarbeitsverhältnis eigene Machtungleichgewicht durch kollektive Organisierung und gemeinsames Handeln zumindest teilweise auszugleichen. Zugleich ist der kollektive Zusammenschluss die wichtigste Voraussetzung dafür, dass Beschäftigte die Gegenseite überhaupt zu Verhandlungen bewegen können.
Alle am Arbeitskampf Beteiligten sind jedoch auch eigensinnige Akteure mit je eigenen Handlungsspielräumen (Birke 2016). Dies schließt auf beiden Seiten des Konflikts immer auch die Möglichkeit strategischer wie taktischer Fehleinschätzungen ein. Unterschiedliche Rahmenbedingungen und Machtkonstellationen beeinflussen deshalb den Verlauf von Arbeitskämpfen, bestimmen aber nicht zwingend ihr Ergebnis. So können aus ähnlichen Konstellationen ganz unterschiedliche Konfliktverläufe entstehen. Nur eine kleine Minderheit von Tarif- und Arbeitskonflikten entwickelt sich bekanntlich überhaupt zum Arbeitskampf. Auch hierin drücken sich im Einzelnen unterschiedliche Machtverhältnisse aus.
ZUR ZUKUNFT EUROPAS: GEWERKSCHAFTLICHE PERSPEKTIVE DRINGEND GEFRAGT!(Quelle: Prof. Florian Rödl, Rechtswissenschaftler an der Freien Universität Berlin und Sprecher des Promotionskollegs „Gerechtigkeit durch Tarifvertrag“ in Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut WSI der Hans-Böckler-Stiftung, 20.04.2022)
Die „Konferenz zur Zukunft Europas“ diskutiert Probleme und Ideen aus Sicht ihrer Bürger*innen. Aber auch die Expertise der Gewerkschaften ist unverzichtbar: als Unterstützer des Einigungsprozesses und Seismograph für Fehlentwicklungen.
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Vorwärts durch gewerkschaftliche Gestaltungsmacht
Wie stehen die Durchsetzungschancen für das Programm des Europäischen Paktes? Auch wenn die Institutionen der Union gegenwärtig vor allem die einzelnen Bürger*innen fragen, so entscheiden über wesentliche Integrationsschritte am Ende doch die Mitgliedstaaten. Und in deren politischen Räumen haben die europäischen Gewerkschaften ein starkes, ein entscheidendes Wort mitzusprechen. Mit anderen Worten: Gegen die europäischen Gewerkschaften ist kein wesentlicher Integrationsschritt möglich. Nichts hindert die europäischen Gewerkschaften daran, dieses Blockadepotential in Gestaltungsmacht umzumünzen. Erforderlich ist dafür die Bereitschaft, nicht auf die ökonomischen Vorteile für den je eigenen Mitgliedstaat zu sehen. Erforderlich ist der Wille, sich auf ein Programm im einheitlichen Interesse all derjenigen zu verpflichten, die in der Europäischen Union ihr Leben in abhängiger Beschäftigung verdienen.
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