Im Bistum Trier nutzt die Marienhaus-Gruppe die Coronakrise, um sich zu sanieren. Zu leiden haben offenbar Patienten und Personal – trotz gefüllter Kassen.Wir stellen unsere Sonntagsnotizen - zu "Fratelli tutti" - von letzter Woche gegenüber.
Düsseldorf Die Hilferufe waren laut und deutlich, sie kamen aus Kliniken in St. Wendel, Ottweiler und Kohlhof. „Ich gehe heute mal wieder arbeiten mit Bauchweh (...) hab' das Gefühl, ich mache da bei diesem Verbrechen mit“, textete ein anonymer Absender im Mai. Ein anderer schrieb: „Seit Jahren wird die Belegschaft (…) geknechtet, wo es nur geht.“ Ein Dritter berichtete von einem „Massenandrang“ der Patienten, „psychisch kaum mehr auszuhalten“. ...
Es herrsche ein Klima der Angst in dem Klinikunternehmen, heißt es immer wieder. Berichtet wird von Arbeitsbedingungen, die das Wohl von Personal und Patienten beeinträchtigen, von einem harten Sanierungskurs und einem ausgedünnten Dienstplan, der sich den coronabedingt veränderten Pflegeschlüssel zunutze macht. Um die Vorgänge bei Marienhaus aufzuklären, wurde dem saarländischen Pflegebeauftragten Jürgen Bender im Mai Akteneinsicht gewährt. Sein abschließender Bericht ist noch nicht veröffentlicht. Ein Fragenkatalog, der dem Handelsblatt vorliegt, deutet jedoch auf massiven internen Druck der Geschäftsleitung, auf unzumutbare Dienstpläne und auf einen laxen Umgang mit dem Coronaschutz von Mitarbeitern hin.
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Gespräche des Handelsblatts mit Mitarbeitern zeigen zudem, dass die eingeschränkte Pflege offenbar in einigen Häusern weiterging. Von den schlechten Arbeitsbedingungen berichtet eine Pflegerin aus St. Wendel. Sie und viele Kollegen, auch in Ottweiler, hätten sich zwischenzeitlich krankmelden müssen. „Man sieht die Menschen da liegen und leiden. Das war nicht mehr verantwortbar.“ Marienhaus dagegen spricht von „Kommunikationsproblemen“ an einigen Standorten.
Unter welchem Druck die Mitarbeiter bei Marienhaus standen, deutet auch der Fragenkatalog des Pflegebeauftragten Bender an. Dort heißt es unter anderem: „Was hat es mit der Anordnung auf sich, dass eine Intensivstation nur mit 4:1 zu besetzen sei, egal, welches Krankheitsbild vorliege? Wer zwingt wen in welcher Weise dazu, Patienten zu vernachlässigen? Wer droht, wenn man sich dem widersetzt, mit Abmahnung?“
Können Nächstenliebe und Sanierung nicht Hand in Hand gehen? Die finanzielle Situation der Marienhaus-Gruppe hat sich in den vergangenen Jahren verbessert. 2017 schrieb sie einen Bilanzverlust von knapp sieben Millionen Euro. 2019 rechnet man dank der Zusammenarbeit der Geschäftsführung mit Wolfram sowie der Wirtschaftsberatungsgesellschaft Ernst & Young nun mit einem Überschuss von zwölf Millionen Euro.
Auch beim Bistum Trier sind die Mittel da: 2019 nahm es mehr als 332 Millionen Euro Kirchensteuer ein. In der letzten einsehbaren Bilanz von 2017 ist das Vermögen der Kircheneinrichtung mit 900 Millionen Euro ausgewiesen. Warum sie nicht für die Bewältigung der Krise ausreichen, wollte das Bistum nicht erklären. Der Trierer Bischof Stephan Ackermann wollte sich auf Anfrage „nicht zu laufenden Vorgängen“ äußern.
Gleichzeitig geht der wirtschaftliche Aufwärtstrend von Marienhaus mit vielen Schließungen einher. Noch 2018 hatte der Träger für den Krankenhausstandort in Losheim eine Bestandsgarantie bis 2022 abgegeben – kassierte dafür 5,8 Millionen Euro öffentliche Fördergelder aus einem Krankenhausstrukturfonds. Doch seit September heißt es von Marienhaus, der Standort müsse aus der Notfallversorgung ausscheiden, stattdessen werde er in ein „altersmedizinisches Zentrum umgewandelt“.
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Interne Finanzflüsse
Losheim ist der bisherige Höhepunkt in einer Reihe von geschlossenen Krankenhäusern der Marienhaus-Gruppe. Schon 2017 schlossen die Häuser in Wadern und Flörsheim, 2019 in Dillingen. Nach Angaben des Unternehmens stehen die Loreley-Kliniken in den rheinland-pfälzischen Gemeinden St. Goar und Oberwesel ebenso auf der Streichliste wie das saarländische Klinikum Ottweiler. Marienhaus gibt an, die Krankenhäuser hätten keine Perspektive und begründet das mit den politisch veränderten Rahmenbedingungen.
Die Bilanzen der Unternehmensgruppe zeigen, dass aber auch interne Faktoren eine Rolle spielen. Die Kliniken müssen nämlich gleichzeitig Gelder an die Kirche abführen, ein Grund ist die Altersvorsorge der Ordensschwestern bis 2031. Einst hatten sie die Marienhaus-Stiftung gegründet.
Für die weniger als 200 noch lebenden Franziskanerinnen sind in der Bilanz zwischen 2,1 und 2,7 Millionen Euro jährlich vermerkt. 2014 zog die Holding zudem einen Betrag von 21 Millionen Euro aus der Kliniksparte ab, zur „unternehmensinternen Kapitalkonsolidierung“, wie es heißt.
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Weitere Blogbeiträge zur Marienhausgruppe - z.B.:
Sonntag, 21. Juni 2020 Sonntagsnotizen - Marienhaus GmbH: uneigennützig und caritativ?
Mittwoch, 30. Dezember 2015 Katholisch - evangelisch - ökumenisch - ökonomisch
Wie war das doch gleich wieder mit den kirchlichen Krankenhäusern?
Sie sind caritativ, also uneigennützig und ohne die Absicht der Gewinnerzielung tätig. Caritas sei nämlich eine "Wesensäußerung" der Kirche. Und deshalb sei der Staat verpflichtet, den Kirchen weitestgehende Freiheiten bei der Ausübung ihrer Tätigkeiten zu lassen.
Aber was ist, wenn die Kirchen diese Freiheiten nutzen, um mit ihren Einrichtungen möglichst viel Gewinn zu erwirtschaften? Ist das dann immer noch christlich fundierte "Wesensäußerung der katholischen Kirche"?
Und lässt sich aus dem Subsidiaritätsgrundsatz nicht auch eine Verpflichtung zum Gemeinwohl ableiten?
Wer wie ein privater, rein auf Gewinn orientierter Konzern agiert, der muss sich auch gefallen lassen, dass er wie ein rein auf Gewinn orientierter Konzern behandelt wird.
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