Thesenpapier von Hermann Lührs zur Veranstaltung
"Dritter Weg - Sackgasse oder Ausbaustrecke?"
am 5. 2. 2013 in München
Die Auseinandersetzung um den "Dritten Weg" im Kontext des Marktes für Soziale Arbeit
- Die zentrale Herausforderung von Diakonie und Caritas im "Markt für soziale Arbeit" ist die durch Unterfinanzierung der sozialen Dienstleistungen induzierte und auf Dauer gestellte Personalkostenkonkurrenz. Kommt es nicht zu gleichen Personalkostenbedingungen für alle Anbieter in der Sozialbranche, geht der Unterbietungswettbewerb besonders im Niedriglohnbereich weiter. Diese Entwicklung bedroht das diakonische Profil von Diakonie und Caritas.
- Das Urteil des Bundesarbeitsgerichtes vom November 2012 verlangt in diesem Kontext einen Paradigmenwechsel. Der Wechsel betrifft die Haltung der Kirchen zu den DGB-Gewerkschaften in den kirchlichen Einrichtungen. Nach dem Erfurter Urteil kann die Gewerkschaft ver.di derzeit in so gut wie allen kirchlichen Einrichtungen rechtmäßig zu Streiks aufrufen. Denn die Voraussetzungen, die das BAG für einen Streikausschluss aufgestellt hat, sind - außer in Teilen der Nordkirche - nirgendwo gegeben. Kommt es zu keiner Verhandlungslösung mit den Gewerkschaften in der Fläche, geht der Häuserkampf um Tarifverträge in den Einzeleinrichtungen weiter.
- Der sog. "Dritte Weg" ist keine Alternative zu Tarifverträgen. Er war es nie. In Arbeitsrechtlichen Kommissionen wurde nicht der Arbeitgeber-/ Arbeitnehmerkonflikt reguliert, sondern eine Koordinationsleistung erbracht. Die Kommissionen sorgten dafür, dass ein Tarifvertrag -der BAT -einheitlich, flächendeckend und zeitnah auf die über 1Millionen Beschäftigungsverhältnisse in Diakonie und Caritas angewendet wurde.
- Selbstständige Gehalts-und Arbeitszeitverhandlungen, abgelöst vom Tarif des öffentlichen Dienstes, sind in Arbeitsrechtlichen Kommissionen gleichgewichtig nicht möglich. Die ungleiche soziale Mächtigkeit der Akteure innerhalb des Systems und Bezug auf das System lässt das nicht zu. Die Stabilitätsbedingung von Arbeitsrechtlichen Kommissionen ist die Abwesenheit des Lohnkonfliktes. Bricht der Lohnkonflikt auf, so kann die Funktionalität von Arbeitsrechtlichen Kommissionen nur auf Kosten ihrer Legitimität aufrecht erhalten werden
- Arbeitsrechtliche Kommissionen schließen Gewerkschaften organisatorisch aus. Man kann als Kommissionsmitglied zwar Mitglied einer Gewerkschaft sein, man kann in Arbeitsrechtlichen Kommissionen aber nicht für die Gewerkschaft verhandeln, der man angehört. Eine organisatorische Einbindung und koalitionsmäßige Betätigung von Gewerkschaften in Arbeitsrechtlichen Kommissionen ist nicht möglich, ohne die Struktur und Funktionsweise der Kommission selbst aufzulösen.
- Die Kirchen müssen sich mit den Gewerkschaften vertragen. Der runiöse Kostenwettbewerb ist nur zu stoppen, indem auf der Kostenseite für alle Anbieter im Sozialsektor ein gleicher, allgemeinverbindlich erklärter Tarifvertrag Soziales geschaffen wird. Die inner-und außerverbandlichen Voraussetzungen hierfür herzustellen, ist die Aufgabe der Kirchen im Kontext des "Marktes für soziale Arbeit".
- Dem steht entgegen eine als Kampf um die kirchliche Selbstbestimmung aufgeladene Entgegensetzung von Tarifverhandlungen mit dem so genannten "Dritten Weg" und der "Dienstgemeinschaft". Die "Dienstgemeinschaft" als arbeitsordnungspolitischer Begriff grenzt die gewerkschaftliche Interessenvertretung diskursiv aus. Der "3. Weg" grenzt sie organisatorisch aus. Beides kollidiert mit den Kollektivgrundrechten von über 1,3 Millionen kirchlich Beschäftigten. Die "Dienstgemeinschaft" als Konzept der Arbeitsordnung sollte aufgegeben werden. Es ist historisch kontaminiert, theologisch fragwürdig und soziologisch abwegig.
- Es ist an der Zeit, die Arbeitsverfassung in den kirchlichen Einrichtungen nicht mehr von einer Selbstordnung her zu definieren, die mit den Grundrechten der eigenen Beschäftigten kollidiert. Die kirchliche Arbeitsverfassung sollte vielmehr in Übereinstimmung mit eben diesen Grundrechten geordnet werden.
Berlin, 5.1.2013
Wenn jetzt noch Vorschläge kommen wie wir, in den Betriebsgruppen, Veränderungen anstoßen können würde es mir besser gehen! Wichtig finde ich das sich unser Sprachgebrauch ändert: immer wieder liest man vom Tarifvertrag "Kirchens" wenn die AVR gemeint ist! DIE AVR IST KEIN TARIFVERTRAG!!!
AntwortenLöschen;-))
Liebe/r ZiaW,
AntwortenLöschenich gehe davon aus, dass bis Ende März einige Infos und Anregungen zur Betriebsgruppenarbeit hier im Blog veröffentlicht werden und Wege eröffnet werden, den Austausch zwischen den Betriebsgruppen in Caritas-Einrichtungen zu intensivieren.
Was den Sprachgebrauch des Begriffs "Tarifvertrag" im Zusammenhang mit den AVR betrifft, gebe ich dir recht. Ich stelle übrigens fest, dass es neben der naiven, unkundigen Verwendung des Ausdrucks "Tarif" auch die raffinierten Varianten gibt. Insider realisieren in aller Regel aber schon das Bekenntnis, das mit der Verwendung von Ausdrücken wie "Tarifvertrag Soziales" und "Sozialtarif" abgegeben oder auch verschleiert wird.
"Sozialtarif" klingt ja auch schon wie die in einigen Regionen von der Caritas-Dienstgeberseite angestrebte Vergütung für die unteren Lohngruppen.
cm