Donnerstag, 9. November 2023

Wer sich nicht an die Vergangenheit erinnern kann, ist dazu verdammt/verurteilt, sie zu wiederholen.

unter diesem Tenor haben wir am 15. November 2015 einen "etwas anderen Wochenrückblick" gepostet. Unter diesem Tenor möchten wir heute nochmals zwei Ereingnisse ausführlich aufgreifen und uns dabei exemplarisch auf den Münchner Kardinal Faulhaber fokussieren:
Vor einhundert Jahren, am 8./9. November im Jahr 1923 erfolgte der sogenannte "Hitler-Putsch". Es waren "24 Stunden, in denen die Republik wankte" wie die Frankfurter Rundschau zum 100jährigen berichtete. Wir haben wieder einmal die Tagebuch-Notizen von Münchens Kardinal Faulhaber durchgesehen. Der Münchner Kardinal saß ja "im Zentrum des Geschehens" - das Erzbischöfliche Palais befindet sich in unmittelbarer Nachbarschaft zum Odeonsplatz und der Feldherrnhalle, mit etwa 200 m "Luftlinie" also "gleich nebenan", die Schüsse des gescheiterten Putschversuches - gegen 13:00 Uhr am 9. November gefallen - müssen im Palais gehört worden sein.
Es waren schließlich etwa 2000 von Adolf Hitler und dem Weltkriegsgeneral Erich Ludendorff angeführten Männer, die von München aus die Reichsregierung in Berlin stürzen wollten. Die Putschisten waren gegen Mittag vom Bürgerbräukeller in Haidhausen losgezogen, über die Ludwigsbrücke ins Tal und weiter zum Marienplatz marschiert (wo eine sicher nicht stille Kundgebung stattfand) und nun auf dem Weg zum Wehrkreiskommando in der Schönfeldstraße/Ecke Ludwigstraße, das SA-Männer in der Nacht besetzt hatten.

Was also ist bei Kardinal Faulhaber angekommen - und was hat sein Verhalten beeinflußt?
Die Tagebucheinträge von Faulhaber muten recht kurz an: Sie zeigen zunächst einen Vorlauf,
4. November, Sonntag: ... 17.00 Uhr Allerseelenpredigt im Dom über „Die leidende Kirche und der deutsche Job“. Die Nacht darauf war nicht einmal so schlecht, mit Hilfe von Baldriantropfen.
(zur Allerseelenpredigt siehe die Anmerkung zum 8. November) sowie
Tagebucheintrag vom 5. November 1923
...
Nachmittags Baron Geier ... Es soll auf den 8. November großer Reichsputsch kommen. Ein Bauer hätte alles verraten. Kahr-Ludendorff Diktator von Deutschland. Dann Bürgerkrieg und Einmarsch der Franzosen. .... er sei Monarchist und halte sehr viel auf die katholische Kirche. Ich habe große Bedenken - überhaupt in die Politik einzugreifen und ohne die bayerischen Institutionen - er meint, es gehe gegen die Katholiken. Muß überlegen.
der dann mit dem sogenannten "Hitler-Putsch" endet. Faulhaber war also nicht weltfremd. Er erfuhr, was um ihn herum vorging. Wie also hat der die dramatischen Tage ab dem 8. November aufgenommen?
8. November. 7.15 Uhr reist Bischof von Speyer ab ....
Rabbiner Baerwald - nicht angemeldet, dankt für die Kundgebung zugunsten der Israeliten (Anm.: wohl in der Allerseelenpredigt am 4. November 1923: Besonders heftige Reaktionen folgten auf seine Formulierung: „Mit blindem Hass gegen Juden und Katholiken, gegen Bauern und Bayern werden keine Wunden geheilt. [...] Wir fragen nicht nach [der] Partei, jedes Menschenleben ist etwas Kostbares.“ - „Allerseelenpredigt des Herrn Kardinals im Dom 1923 über das Thema: ‚Die leidende Kirche und der deutsche Job’“, in: Bayerischer Kurier [= BK] v. 6.11.1923, S. 3-4, hier: S. 4.). Respondeo (italienisch) „Ich antworte“: Soll nicht so viele Geschichten machen, weil das meine weitere Mission erschwert. Vom allgemein christlichen Standpunkt aus, kein Widerspruch mit meiner Äußerung über die jüdische Presse auf dem Katholikentag. Ausweisungen sind politische Sache....
20.00 Uhr abends Hotel Wagner (Anm.: in der Sonnenstraße gelegen, um die von den Franzosen ausgewiesenen Pfälzer zu begrüßen, deren Bischof in Speyer er einst gewesen war) bei den ausgewiesenen Pfälzern. Pfalzkommissar Wappes berichtet über die Separatistenbewegung - dabei die Nachricht über Revolution.
sowie
9. November. Die Hitler-Revolution, siehe besonderes, soweit persönliches.
In der Kritischen Online-Edition der Tagebücher Michael Kardinal von Faulhabers (1911-1952) findet sich dann auch Persönliches zum Hitlerputsch (Gesprächsprotokoll/Persönliche Reflexion), EAM, NL Faulhaber 10058, Fol. 8r-9r. Verfügbar unter: https://faulhaber-edition.de/BB_10058_0008r (Letzter Zugriff am 06.11.2023) wird dann neben vielen Ausführungen zum persönlichen Befinden (Montag, 12. November. Früh 6.00 Uhr im Auto ins Mutterhaus (Anm.: Nußbaumstraße 5, Mutterhaus der Barmherzigen Schwestern) - es ist noch dunkel - und dort den Vormittag geschlafen. Zucker trotzdem 0,4 und unregelmäßiger Puls.) wohl mit einigen Tagen Abstand auch geschrieben:
8. November, abends 20.00 Uhr war eine Vertrauenskundgebung für Kahr im Bürgerbräukeller. Ich war bei den ausgewiesenen Pfälzern im Hotel Wagner, wo gegen 21.30 Uhr Expräsident Nortz mir mitteilte, Kahr sei von der Hitlergarde gefangen, Regierung gestürzt. Auf dem Heimweg war es noch ziemlich ruhig auf den Straßen.

9. November. 1.00 Uhr kommt Stadtrat Rauch zu mir und teilte mit: Kahr Ministerpräsident (Was, Kahr? Gegen den richtet sich ja das Ganze, - Ja. Er habe zu Regierungsrat Sommer geäußert: Ich konnte nicht anders, ich bin gezwungen worden), Ludendorff Führer der Nationalarmee, Hitler Reichskanzler....
7.30 Uhr (?) Dr. Brem - die Lage hat sich gedreht. 23.30 sei ein Funkspruch ergangen: Kahr, Lossow, Seisser hätten sich von Hitler losgesagt und rufen Reichswehr und Landespolizei auf, gegen ihn und für ihre rechtmäßige Regierung.
...
Generalvikar Buchberger - war im Auto von Au zurückgekommen, unterwegs gar keine Controlle, auch nicht auf der Isarbrücke, wo sich die beiden Heere gegenüberstehen. Auch er bittet dringlich, nicht im Hause zu bleiben.

Nachmittags 15.00 Uhr Baron Stengel (unbekannt - ich glaubte bei der Anfrage, er komme im Auftrag des Kronprinzen): Ob ich nicht vermitteln könne zwischen den beiden, die alle das Gleiche wollten - respondeo (Lateinisch „Ich antworte“): Die wollen nicht das Gleiche, Kahr ist die rechtmäßige Regierung, die anderen sind Revolutionäre, er meint, es müssten eben alle von ihrer Stelle zurücktreten, was nicht einzusehen ist.
...
Samstag, 10. November, gehe ich früh 8.00 Uhr wieder zurück, weil 9.00 Uhr Ordinariatssitzung ist.
14.30 Uhr mit Ministerialrat Sterner im Auto nach Töging zur Kirchenkonsekration. - In der Theatinerstraße berittene Landespolizei mit Lanzen und dahinter zwei Schutzmänner zu Fuß, um die Pfeifenden abzufangen.
Sonntag, 11. November, abends 20.00 Uhr zurück im Auto (Rubenbauer hatte mich auf Anruf von Pfaffenbüchler im Bahnhof erwartet) - die zur Bewachung der Promenadestraße befohlenen Schutzmänner kommen eine Stunde später sich entschuldigen, „sie hätten gerade in einer anderen Straße zu tun gehabt“ - die Straßen im Osten der Stadt sehr leer, in der Maximilians- und Maffeistraße steht Reichswehr im Sturmhelm. - Ein Schutzmann versichert in der Maffeistraße dem Ministerialrat Sterner, es sei alles ruhig, es sei kein Streik - also fahren wir weiter. ...
...
14. November, Mittwoch. ...
12.00 Uhr .... Es ist gut, daß der antikatholische Charakter der Bewegung rechtzeitig an den Tag kam. „Nieder mit den Pfaffen und Juden“ heißt auf einmal jetzt die Parole.
Faulhaber schildert mit dem Fokus auf die kirchlichen Belange unruhige Zeiten, deren Urheber allerdings gerade bei vielen erzkonservativen und undemokratischen Kräften auch in den staatlichen Organen offenbar auf Sympathie und Wohlwollen gestoßen sind. Darauf deuten auch die Ereignisse um die Festnahme des Putschisten Hitler hin, der sich nach den Ereignissen nach Utting am Staffelsee flüchtete. Der "Weilheimer Merkur" - die Ortsausgabe des Münchner Merkurs - berichtet darüber ausführlich:
Weilheimer Polizisten verhaften Adolf Hitler: „Tut mir leid, aber ich komme, dich festzunehmen“
Faulhabers Reflexion beschränkt sich auf Äusserlichkeiten, auf zerschlagene Fenster und neugierige Passanten - umfasst aber keine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Gründen und Ursachen der Revolte von 1923, weder mit den Positionen der "Revolutionäre" noch mit denen der "Regierung" unter dem mehrfach erwähnten Kahr, er beschränkt sich hinsichtlich der Verfolgung jüdischer Mitbürger auf verbale Aussagen (Allerseelenpredigt) und ignoriert, dass der Hitler-Putsch auch und besonders gegen jüdische Mitbürger gerichtet war, die zahlreich nachts aus ihren Wohnungen geschleppt wurden - und eine konstruktive Auseinandersetzung mit der Not der Arbeiterfamilien insbesondere während der Hyperinflation von 1923 findet erst recht nicht statt. Dazu die Historikerin Heike Görtemaker im SPIEGEL(»Hitler war 1923 ein Niemand«)
Besonders in München herrschten nach dem verlorenen Weltkrieg chaotische Zustände. Die Menschen lebten in armseligen Quartieren, viele hungerten, Kinder starben an Tuberkulose. Die Kriegsheimkehrer hatten keine berufliche Perspektive. Dieses Trauma war auch fünf Jahre nach Kriegsende noch nicht verarbeitet.


Lasst uns nun einen Bogen von 10 Jahren bis zum Mai 1933 und von 15 Jahren bis zur Reichsprogromnacht ziehen.
Hat sich an und bis zu diesen Ereignissen ein verantwortliches Einsetzen des "Kirchenfürsten" für Demokratie und die urchristliche Nächstenliebe entwickelt? Hat Faulhaber und mit ihm das ganze Episkopat in diesen Jahren mehr entwickelt als den Reflex, die "Organisation Kirche" zu schützen und deren Einfluss zu bewahren?
Leider hat Faulhaber - wir müssen uns wiederholen - die Zerschlagung der Gewerkschaftsbewegung im Mai 1933 und die "Reichsprogromnacht" vom 9. auf den 10. November 1938 mit ihren Folgen nicht wirklich inhaltlich zur Kenntnis genommen, zumindest aber deren Bedeutung weit unterschätzt. Auch diese Ereignisse wurden von Faulhaber - und sicher auch von anderen hochrangigen Mitgliedern des deutschen Episkopats - vorrangig, wenn nicht sogar ausschließlich, im Kontext der Auswirkungen auf das Wohlergehen der katholischen Kirche und sich selbst bewertet.
Dem Datum entsprechend (und weil wir uns mit der Zerschlagung der Gewerkschaftsbewegung schon ausführlich beschäftigt haben) gehen wir heute auf die Reichsprogromnacht ein:

Am 9. November 1938 brannten in Deutschland und insbesondere auch in München die Synagogen. Der Tagebucheintrag vom 9. November 1938 lautet:
Mittwoch, 9.11.38. Der 15. Jahrestag des historischen Marsches zur Feldherrnhalle. In München Feiertag bis Nachmittag 15.00 Uhr. ...
und am Folgetag schrieb Faulhaber:
Donnerstag, 10.11.38. Die Nacht war sehr unruhig: Mitternacht war die Vereidigung der neuen SS vor der Feldherrnhalle und 0.30 Uhr gingen die Leute heim. Früh Nachricht: Heute Nacht die Synagoge in der Herzog-Rudolfstraße niedergebrannt und die Fenster in den Auslagen der Judengeschäfte eingeschlagen. Die nichtarische Frau eines Dr. Meyer muß in zwei Tagen auswandern. 4.00 Uhr angerückt, 1, 2, 3 (Fenster) eingeworfen, davon. Am anderen Tag mit Brettern vernagelt.
Am Freitag notierte Faulhaber dann:
Freitag, 11.11.38. Nach der Sitzung. In den Zeitungen und auf den roten Anschlägen 20 Massenversammlungen angekündigt „gegen das Weltjudentum und seine schwarzen und roten Bundesgenossen“. Adolf Wagner spricht im Zirkus Krone und ist von dort angeschlossen. Tagsüber Warnungen. Generalvicar: Ich soll außer Haus gehen - ich lehne ab. 22.00 - 23.00 Uhr Demonstration.
Die Persönliche Reflexion vom 11./15. November 1938 gibt dann unter der Überschrift "Sturm auf den Bischofshof" etwas mehr her:
1) Gewitterluft. Zwei Tage vorher, früh 4.00 Uhr die Schaufenster der Judengeschäfte eingeschlagen und eingeworfen, die Münchner walten (Unsichere Lesart) wie sonst. Der 11. November 1938, Tag des heiligen Martin. Freitag auf Samstag, überall die Plakate, die das Volk reizen mußten: aber keine Massenversammlungen ...
Früh auf der Sitzung wurden Befürchtungen geäußert, besonders nach der Erzählung vom Sturm auf das Schloß Hirsch in Planegg, es kamen verschiedene Warnungen: „Heute Nacht geht es gegen Faulhaber und Ordinariat“.
...
Gestern hatte die Erklärung von Reichsminister Goebbels: „Es ergeht nunmehr an die gesamte Bevölkerung die strenge Aufforderung, von allen weiteren Demonstrationen gegen das Judentum sofort abzusehen“ etwas beruhigt. Andererseits wurde gleichzeitig in München in den Zeitungen und durch große rote Anschläge an den Judengeschäften bekannt gegeben: „Das nationalsozialistische München demonstriert heute Abend 20.00 Uhr in zwanzig Massenkundgebungen gegen das Weltjudentum und seine schwarzen und roten Bundesgenossen.“ Eine ungeheure Aufregung weht durch die Stadt. „Endlich geht's auf“, strahlte es von den Gesichtern der einen, bange Sorge von den Gesichtern der anderen.
...
Die Schuld trägt der Mann, der die zwanzig Massenversammlungen angesetzt und im Aufruf die Katholiken als Bundesgenossen des Judenmörders Grynszpan bezeichnet hatte!
...
3) Nach dem Aufruf von Wagner mußte man glauben, es würde gegen die Katholiken in gleichem Umfang vorgegangen werden - wie gegen die Juden. Also die Nacht einfach freigegeben. Gott Dank, daß es nicht gegen die Kirche ging (nur vor dem Dom ein ganzes Paket Papier aus einem Geschäft, man behauptet, zum Anzünden des Domes - hätte nicht gereicht). In vier - fünf Pfarrhöfen die Fenster eingeworfen.

Einer der wichtigsten Kirchenvertreter der Zeit war erleichtert, dass es die Katholiken nicht so schlimm getroffen hatte wie die Juden - und letzendlich blind für die offenkundige Tatsache, dass sich die nationalsozialistische Bewegung ihre Gegner jeweils "einzeln" vornahm und so "der Reihe nach" für die Einschüchterung und letztendlich eine Vernichtung der jeweiligen Opponenten sorgte.

Die hochrangigen Kirchenvertreter haben sich beim gemeinsamen Widerstand eher weg geduckt oder sich diesem sogar verweigert, möglicherweise aus Sorge um das Wohlergehen der "Organisation Kirche", die somit als wichtiger angesehen wurde als das Leben von Tausenden von Menschen. Da hilft es dann auch nichts, wenn Vatican.news an die Hinrichtung von drei katholischen Kaplänen sowie einem evangelisch-lutherische Pastor am 10. November 1943 in Hamburg erinnert.

Was können wir daraus lernen - Oder: Warum wir wieder einmal darauf hinweisen?
Kann man aus der Geschichte lernen? Sicher, Faulhaber war eine einzigartige Persönlichkeit - sein Verhalten spiegelt aber auch tief verwurzelte Verhaltensmuster wieder, die sich in Jahrhunderten innerhalb der kirchlichen Gesellschaft gebildet und verfestigt haben. Und daher könnte bei aller Vorsicht doch auch ein Rückschluss auf heutige Verhaltensweisen möglich sein. Es geht uns nicht um die Person des "Kirchenfürsten" Faulhaber, sondern um unsere Kirche, für deren heutiges Agieren das Verhalten des "zögerlichen und zwiespältigen" Kardinals immer noch Erklärungs- und Verständnismuster liefert. So, wie sich Faulhaber seinerzeit gescheut hat, dauerhaft klare Positionen zu beziehen, so wirkt auch unsere heute Kirche hin- und hergerissen zwischen den unterschiedlichen Kräften.
Und weil man nur in der Reflexion des vergangenen "Tuns" oder "Unterlassens" eine Verhaltensänderung erreichen kann - eine Verhaltensänderung, die immer drängender und dringender wird,
Und weil die katholische Kirche in Deutschland immer noch (die Vertuschungen diverser Affären belegen es) primär auf sich selbst und die Eigendarstellung fokussiert ist, und dabei dringend nötiges gemeinsames "Zusammenstehen" mit anderen lieber verweigert,

- und weil sich diese Kirche mit der "Ideologie der Dienstgemeinschaft" sogar noch immer nationalsozialistisches Gedankengut zu eigen macht - in offensichtlichem Gegensatz zur eigenen katholischen Soziallehre.
Dass die "Ideologie der Dienstgemeinschaft" und das "Führerprinzip" zusammen gehören, haben wir schon vor Jahren herausgearbeitet.
Dieses autokratisch-hierarchische "Führerprinzip" verhindert eine gleichberechtigte Partnerschaft "auf Augenhöhe" und steht damit auch der fairen, partnerschaftlich-vertrauensvollen Zusammenarbeit der kirchlichen Arbeitgeber mit ihren - in einer Gewerkschaft organisierten - Arbeitnehmern entgegen. Es geht im kirchlichen Arbeitsverhältnis nicht um eine ausgewogenene und fair verhandelte Leistung und Gegenleistung, sondern - das Letztentscheidungsrecht der Bischöfe belegt es - um die Gewährung fürstbischöflicher Gnadenakte, die etwa mit der Schaffung eines eigenen Mitarbeitervertretungsrechts oder der Inkraftsetzung eines AK-/oder KODA-Beschlusses verbunden sind.
Eine solche patriarchalische Gestaltung passt nicht in eine freiheitlich-demokratische Gesellschaftsordnung. Auch der Staat kann nicht mehr zusehen, wenn die Arbeitnehmer bei den - nach dem öffentlichen Dienst - größten Arbeitgebergruppierung Deutschlands nur "geringere Arbeitnehmerrechte durch stets widerrufliche bischöfliche Gnadenakte" haben.
Anlässlich des hundertsten Jahrtages des "Hitler-Putsches" möchten wir abschließend den Historiker und Journalisten Wolfgang Niess zitieren:
Hitler hat sich im Prozess gern in den Vordergrund gestellt. Das hat ihn in ganz Deutschland bekannt gemacht, seinen Ruf als "Führer" gestärkt. Am "Führerprinzip" hielt er auch in den Jahren danach stets fest - das war für andere Beteiligte durchaus bequem. Vor allem, als es nach dem Ende seines verbrecherischen und völkermörderischen Regimes darum ging, Verantwortliche zur Rechenschaft zu ziehen.
Als Gesellschaft hat uns das "Führerprinzip" so lange - und möglicherweise bis heute - daran gehindert, den Tatsachen offen ins Auge zu blicken und Konsequenzen zu ziehen. An den Novemberpogromen etwa waren keineswegs nur Schlägertrupps der SA beteiligt, sondern auf die eine oder andere Art und Weise etwa zehn Prozent der Deutschen. Wir sollten aufhören, uns hinter Hitler zu verstecken - in Sachen "Hitlerputsch" und im Hinblick auf Antisemitismus. Den gab es hierzulande vor Hitler und auch nach ihm. Inzwischen zeigt er sich wieder ganz offen.


Anmerkungen:
Wolfgang Niss charakterisiert den von Faulhaber ständig genannten Kahr wie folgt:
Der entscheidende Kopf war Gustav von Kahr, der schon 1920/21 als Ministerpräsident die Vorstellung hatte, Bayern müsse zur "Ordnungszelle" Deutschlands werden. Kahr war Monarchist (Anm.: wie Faulhaber), glühender Antisemit und entschiedener Gegner der Demokratie. Unter ihm entwickelte sich Bayern zum Eldorado des Rechtsextremismus. Hier wurden die Attentate auf Erzberger und Rathenau geplant, hier schützte die Polizei deren Mörder, hier konnte Hitler zu dem Nationalsozialisten werden, als den wir ihn kennen.
Kahrs Ziel war es, mit Hilfe der bewaffneten Macht eine nationale Diktatur zu errichten. Dazu sollten die paramilitärischen "vaterländischen Verbände" in die Reichswehr integriert werden, Pläne für einen "Marsch auf Berlin" wurden ausgearbeitet. Kahrs engster Mitarbeiter sprach öffentlich davon, dass die Damen doch ihre Liebsten ziehen lassen sollen. Es werde nicht lange dauern.
Geradezu demonstrativ ordnete Kahr in diesen Tagen die Ausweisung von Juden aus Bayern an. Sechzig Familien mussten den Freistaat in großer Eile verlassen.
vgl. zu Faulhaber auch Antonia Leugers „Kardinal Faulhaber zeigt ein zwiespältiges Wesen.“ Beobachtungen zu den Jahren 1923/24 und 1933/34

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