Montag, 12. Dezember 2022

Arbeitszeiterfassung für ALLE Arbeitnehmer - auch bei Kirchen

Wie u.a. n-tv berichtet (vgl. z.B. auch der SPIEGEL online), muss die Arbeitszeit "ab sofort erfasst werden"
Jede zweite Überstunde wird nicht bezahlt. Das Bundesarbeitsgericht verpflichtet immerhin alle Arbeitgeber, die Arbeitszeiten zu protokollieren. Die Bundesregierung will sich nun beeilen, ihren Gesetzentwurf vorzulegen. Der wäre allerdings gar nicht nötig - die Pflicht gilt bereits.

Seitdem das Bundesarbeitsgericht (BAG) am 13. September seinen Beschluss zur Arbeitszeiterfassung verkündet hatte, wurde bundesweit diskutiert und spekuliert. Nun haben die Erfurter Richter ihre schriftlichen Entscheidungsgründe veröffentlicht. Dazu die wichtigsten Fragen und Antworten:

...
Muss die Abeitszeit nun sofort erfasst werden?

Ja, denn das BAG leitet die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung aus dem Arbeitsschutzgesetz ab, das entsprechend den EU-Vorgaben auszulegen sei. ...

Kann es Ausnahmen geben?

Ja, "wegen besonderer Merkmale der ausgeübten Tätigkeit" sind laut BAG Ausnahmen möglich. Diese müssen aber gesetzlich bestimmt sein. In Deutschland gibt es solche Ausnahmen im Arbeitszeitgesetz insbesondere für leitende Angestellte und andere Führungskräfte.

Wie soll die Arbeitszeiterfassung erfolgen?

Das BAG hat hier keine Vorgaben gemacht. Elektronisch oder auf Papier - solange der Gesetzgeber keine Vorgaben macht, ist alles erlaubt. Betriebe können für verschiedene Beschäftigtengruppen auch unterschiedliche Formen wählen. Nur musss die Arbeitszeiterfassung tatsächlich erfolgen. Den Beschäftigten die Möglichkeit dafür anzubieten, reicht laut BAG nicht aus.

Was wird aus der sogenannten Vertrauensarbeitszeit?

Vertrauensarbeitszeit bedeutet, dass der Arbeitgeber die Zeiten nicht kontrolliert. Das bleibt nach dem BAG-Beschluss dergestalt möglich, dass betroffene Arbeitnehmer ihre Arbeitszeiten ohne Kontrolle selbst notieren. Eine Art von Erfassung muss es aber auch hier geben.

Welche Rolle spielen die Betriebsräte?

Sie haben ein Mitbestimmungsrecht bei Fragen des Arbeitsschutzes.
...
(Quelle: Meldung vom 10.12.2022, 19:49 Uhr)

Dabei ist es nach n-tv zunächst egal, wie die Arbeitszeiterfassung erfolgt. Es könnten auch selbst geführte Listen der Arbeitnehmer sein. Die Befüchtung mancher Arbeitgeber (Zitat), es kämen
... zu starre Regeln bei Arbeitszeiterfassung
»Die Stechuhr darf nicht zurückkehren«
sind also völlig unbegründet.

Bei der Gelegenheit möchten wir auf die vom BAG angesprochene Rechtsgrundlage verweisen. Das Arbeitsschutzgesetz gilt nämlich auch für die Kirchen. Das wird schon aus § 1 Abs. 1 mit 4 dieses Gesetzes deutlich.
(1) Dieses Gesetz ... gilt in allen Tätigkeitsbereichen ...
...
(4) Bei öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften treten an die Stelle der Betriebs- oder Personalräte die Mitarbeitervertretungen entsprechend dem kirchlichen Recht.
Das bedeutet nichts anderes, als dass die kirchlichen Mitarbeitervertretungen nach dem Arbeitsschutzgesetz beim Arbeits- und Gesundheitsschutz die gleichen Rechte und Pflichten haben, wie die Betriebsräte auch. Einer entsprechenden Regelung in MAVO oder MVG bedarf es nicht. Soweit eine solche Regelung dem Arbeitsschutzgesetz widersprechen sollte, wäre eine solche Regelung als Verstoß gegen das für alle geltende Gesetz sogar rechtswidrig.

Es wird spannend zu sehen, wie die Anforderung nach der konkreten Arbeitszeiterfassung für ALLE Arbeitnehmer umgesetzt wird. Wir möchten hier nur drei Stichworte ansprechen:
1. Seit Corona haben gerade in den (auch kirchlichen) Verwaltungen die Anwendungen zum "home office" deutlich zugenommen.
2. Die Mesner'Innen (Küster'Innen) werden zumindest in Bayern nach "Diensten" vergütet, also etwa nach der Zahl der regulären Gottesdienste, Taufen oder Beerdigungen - unabhängig davon, wie lange diese liturgischen Feiern dauern, wieviel Zeit die Vorbereitung und Nachbereitung in Anspruch nimmt oder wie lange (auch in einem Pfarrverband) die Fahrt vom Dienstsitz zu einer Filial- oder Nebenkirche oder Kapelle dauert, die vom jeweiligen Mesner mit betreut wird.
Bisher schien die regelmäßige Zeiterfassung wegen der Vergütung nach "Diensten" nicht erforderlich. Jetzt wird die Frage nach der tatsächlichen Arbeitszeit und den Auswirkungen von realen Mehrarbeits- und Überstunden virulent.
3. Eine ähnliche Frage dürfte sich für die Kirchenmusiker (Organist'Innen), aber auch für Laientheologen wie Pastoralreferent'Innen und ähnliche Tätigeiten (Gemeindereferent'Innen, Seelsorgehelfer'Innen) ergeben.

Es bleibt spannend.

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