Sonntag, 18. September 2022

Sonntagsnotizen - Kommentar zum "Stechuhr-Urteil" des BAG

Wir hatten bereits am Dienstag über das Urteil des Bundesarbeitsgerichtes berichtet. Von all den möglichen - und auch unmöglichen - Reaktionen in der Medienlandschaft möchten wir im Rückblick einen Kommentar besonders hervorheben.
Von einer möglichen zu einer tatsächlichen Umwälzung des deutschen Arbeitszeitrechts?
Das „Stechuhr-Urteil“ des Bundesarbeitsgerichts


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Es ist wahrlich ein Grundsatzurteil (Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 13. September 2022 – 1 ABR 22/21), mit wir heute konfrontiert werden.

Unter der Überschrift Einführung elektronischer Zeiterfassung – Initiativrecht des Betriebsrats berichtet das Bundesarbeitsgericht, dass der Betriebsrat mit seinem Anliegen vor dem BAG gescheitert ist. Denn: Der Betriebsrat kann die Einführung eines Systems der (elektronischen) Arbeitszeiterfassung im Betrieb nicht mithilfe der Einigungsstelle erzwingen. Warum nicht? »Ein entsprechendes Mitbestimmungsrecht nach § 87 BetrVG besteht nur, wenn und soweit die betriebliche Angelegenheit nicht schon gesetzlich geregelt ist.«
... schon der erste Satz der Pressemitteilung des BAG bringt es auf den Punkt:
»Der Arbeitgeber ist nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG verpflichtet, ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann.«
Und dann der explizite Bezug auf das EuGH-Urteil:
»Bei unionsrechtskonformer Auslegung von § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG ist der Arbeitgeber gesetzlich verpflichtet, die Arbeitszeiten der Arbeitnehmer zu erfassen.«
Ein „Pyrrhussieg für den Arbeitgeber“ sei die Entscheidung des BAG, so Michael Fuhlrott in seinem Beitrag Arbeits­zeit muss künftig erfasst werden, denn »auf die Frage eines Initiativrechts des Betriebsrats komme es gar nicht an. Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bestehe nämlich überhaupt nur dann, wenn es keine gesetzliche Regelung gebe. Eine solche gesetzliche Regelung gebe es aber vorliegend. Denn § 3 Abs. 2 Nr. 1 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) sehe vor, dass Arbeitgeber zur Sicherung des Gesundheitsschutzes „für eine geeignete Organisation zu sorgen und die erforderlichen Mittel bereitzustellen“ habe.«

Das Arbeitsschutzgesetz gilt für alle Betriebe in Deutschland, gleich, ob ein Betriebsrat besteht oder nicht. Damit sind nach der Lesart des BAG alle Unternehmen, gleich welcher Größe, verpflichtet, die Arbeitszeit künftig zu erfassen«, so das Fazit von Michael Fuhlrott in seinem Beitrag. »Die Pflicht zur Einführung eines Systems zur allumfassenden Arbeitszeiterfassung und damit das einhergehende Ende der Vertrauensarbeitszeit zeichnen sich nun nicht mehr als Ergebnis eines Gesetzgebungsverfahrens als denkbares Ende am Horizont ab, sondern sind – ohne Umsetzungsfrist – durch die heutige Entscheidung Realität geworden … Der Gesetzgeber ist durch die heutige Entscheidung durch das BAG links überholt worden. Ohne Frage wird dies neuen Schwung in das Gesetzgebungsverfahren bringen, das nunmehr auf der Agenda ganz oben stehen dürfte. Für die Zukunft bleibt eine einfache Lehre: Bleibt der Gesetzgeber bei der Umsetzung europäischer Vorgaben untätig, werden Gerichte nach und nach im Wege der Rechtsprechungsentwicklung für eine Umsetzung und die Ausgestaltung der einzelnen rechtlichen Vorgaben zur Arbeitszeiterfassung sorgen.«
Quelle: Stefan Sell

Man darf gespannt sein, wann - und wie - die kirchlichen Gesetzgeber auf diesen "Paukenschlag aus Erfurt" reagieren. Denn kirchliche Mühlen mahlen bekanntlich besonders langsam, und hinken der staatlichen Gesetzgebung oft um Jahrzehnte hinterher.

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