Mittwoch, 21. September 2022

§ Bundesarbeitsgericht urteilt zur Verlängerung der gesetzlich festgelegten Höchstdauer einer Arbeitnehmerüberlassung - (nur) durch Tarifvertrag

Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels (Die große Personalnot) wird die Frage relevant: wie lange kann einer "Personallücke" durch "Leiharbeitskräfte" geschlossen werden? Das Gesetz zur Regelung der Arbeitnehmerüberlassung (Arbeitnehmerüberlassungsgesetz - AÜG) gibt darauf in § 1 Absatz 1 b eine zunächst klare Antwort:
Der Verleiher darf denselben Leiharbeitnehmer nicht länger als 18 aufeinander folgende Monate demselben Entleiher überlassen; der Entleiher darf denselben Leiharbeitnehmer nicht länger als 18 aufeinander folgende Monate tätig werden lassen. Der Zeitraum vorheriger Überlassungen durch denselben oder einen anderen Verleiher an denselben Entleiher ist vollständig anzurechnen, wenn zwischen den Einsätzen jeweils nicht mehr als drei Monate liegen.
18 Monate - oder 1 1/2 Jahre also; allerdings sagt das Gesetz auch:
In einem Tarifvertrag von Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche kann eine von Satz 1 abweichende Überlassungshöchstdauer festgelegt werden. Im Geltungsbereich eines Tarifvertrages nach Satz 3 können abweichende tarifvertragliche Regelungen im Betrieb eines nicht tarifgebundenen Entleihers durch Betriebs- oder Dienstvereinbarung übernommen werden.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat nun klar gestellt, dass diese "Verlängerung durch Tarifvertrag" auch gilt, wenn der überlassenen Arbeitnehmer und dessen Arbeitgeber (Verleiher) selbst nicht Tarifgebunden sind.
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Die Revision des Klägers hatte vor dem Vierten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Südwestmetall und IG Metall konnten die Überlassungshöchstdauer für den Einsatz von Leiharbeitnehmern bei der Beklagten durch Tarifvertrag mit Wirkung auch für den Kläger und dessen Arbeitgeberin (Verleiherin) verlängern. Bei § 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG handelt es sich um eine vom Gesetzgeber außerhalb des Tarifvertragsgesetzes vorgesehene Regelungsermächtigung, die den Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche nicht nur gestattet, die Überlassungshöchstdauer abweichend von § 1 Abs. 1b Satz 1 AÜG verbindlich für tarifgebundene Entleihunternehmen, sondern auch für Verleiher und Leiharbeitnehmer mittels Tarifvertrag zu regeln, ohne dass es auf deren Tarifgebundenheit ankommt. br> ...

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 14. September 2022 – 4 AZR 83/21 –
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 18. November 2020 – 21 Sa 12/20 –
Quelle: Pressemitteilung des BAG Nr. 37/22 vom 14.09.2022
Kommentar von Prof. Sell;

Nicht tarifgebunden: das sind beispielsweise die Kirchen und ihre Wohlfahrtsverbände und wirtschaftliche Einrichtungen in kirchlichem Eigentum, die bekanntlich den Abschluss von Tarifverträgen mit den Gewerkschaften verweigern. Kirchliche Regelungen des "Dritten Weges" - die ja nicht mehr als "Allgemeine Geschäftsbedingungen" sind - fehlt die Rechtsqualität des "Tarifvertrages". Diese kirchlichen Regelungen können also von der im AÜG enthaltenen gesetzlichen Ermächtigung keinen Gebrauch machen.
Die Regelung gilt ausdrücklich nur für Tarifverträge. Wenn es entsprechende Branchentarifverträge gäbe, deren Geltungsbereich auch die kirchlichen Einrichtungen einschließt, dann gelten diese Tarifverträge auch in den kirchlichen Einrichtungen - und zwar unmittelbar, wie das BAG nun klar gemacht hat. Es ist nicht das einzige Beispiel, bei dem der Gesetzgeber nur starken - tariffähigen - Gewerkschaften die Kompetenz gewährt, von gesetzlichen Schutzvorschriften abzuweichen. Und das gilt dann auch für die tariffähige Gewerkschaft ver.di - selbst da, wo in einzelnen Einrichtungen ein eher "geringer Organisationsgrad" besteht.

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