Sonntag, 10. Dezember 2017

Adventsnotiz: was bedeutet der Advent für uns?

Am Freitag auf dem Weg zur Arbeit - im Autoradio sticht die Werbung mit den Supersonderangeboten aus der üblichen Klangwolke heraus. Und die Moderatorin weist auch noch darauf hin, dass das zweite Adventswochenende traditionell das große Einkaufswochenende ist. Dazwischen klingt dann "das Christkind" durch den Äther, und wer danach beim Sender anruft und als erstes >durchkommt<, erhält vom Sender auch noch Eintausend Euro, damit das Weihnachtsfest erschwinglicher wird.

Ist Weihnachten jetzt ganz dem Kommerz gewichen? Geht es nur noch darum, wie man am meisten Geld ausgibt? "Süßer die Kassen nicht klingeln" - während gleichzeitig in griechischen Lagern Flüchtlinge verzweifeln, im Mittelmeer Flüchtlinge ertrinken und sich in Libyen neue Sklavenmärkte bilden?

Wohin eine nur an Eigeninteressen orientierte "deal-Mentalität" in der Politik führt, zeigt uns ein weiterhin umstrittener US-Präsident immer wieder auf's Neue.

Dabei sollte die Adventszeit eine Zeit des Nachdenkens, der Selbstreflektion und der daraus resultierenden Vorbereitung auf das "Reich Gottes" sein.

Deshalb zurück zu den Punkten, die wir gemeinsam beeinflussen können - mit denen wir die Welt ein Stückchen besser machen können:

Und kaum etwas aus unserem Tätigkeitsbereich findet derzeit mehr mediale Aufmerksamkeit als die gewerkschaftlichen Bemühungen um eine Entlastung in der Pflege. Ist es falsch, am heutigen Tag der Menschenrechte zu fragen, ob menschenwürdige Pflege auch zu den Menschenrechten gehört?
Ebenfalls am Donnerstag brachte die ZEIT einen (im Internet leider kostenpflichtigen) Artikel über die Situation in der Altenpflege *):
"Warum verdient Frau Noe nicht mehr?

Die Altenpflegerin Heike Noe gehört zu den begehrtesten Fachkräften des Landes. Doch obwohl sie so gefragt ist, wird sie schlecht bezahlt. Wie kann das sein?"
Ja, wie kann das sein, wo doch kirchliche Wohlfahrtsverbände zu den größten Anbietern von sozialen Diensten gehören und die AVR der Caritas "nicht nur gute Arbeitsbedingungen mit hohen Entgelten und tariflichen Zusatzleistungen schaffen", wie Hans Jörg Millies mit dem Gehalt des Finanz- und Personalvorstandes des Deutschen Caritasverband e. V., Freiburg in der "Neuen Caritas" meint - und daher aus Sicht der Arbeitgeber betont, dass der "Dritte Weg" gar keinen Streik braucht.
Wenn denn die AVR Caritas so vorbildlich wären, dann dürfte sich die Caritas-Einrichtungen von Bewerbungen der begehrtesten Fachkräfte nicht retten können. Denn da würde selbstverständlich jede anderswo unzufriedene Fachkraft "mit fliegenden Fahnen" zur nächsten Caritas-Einrichtung wechseln. Aber das Gegenteil scheint der Fall. Auch und gerade kirchliche Altenheime leiden unter Personalnot.

Sind die Arbeitsbedingungen, Entgelte und Zusatzleistungen der AVR jetzt doch nicht so überragend, wie Millies aus seiner Sicht meint? Offenbar nicht - und das dürfte auch Millies klar sein, der auf die "unzureichenden Finanzierungsbedingungen" verweist und damit dann doch einen entsprechenden Mangel eingesteht.

Richtig ist, dass der "Sozialstaat" schon vor Jahrzehnten die Förderung vom Selbstkostenprinzip auf ein Angebotsverfahren umgestellt hat, mit dem der billigste Anbieter den Preis bestimmt, der für die staatliche Förderung zugrunde gelegt wird. Seither liefern sich private Anbieter (die noch dazu Gewinne für Ihre Eigentümer bzw. Aktionäre erwirtschaften wollen) und gemeinnützige Einrichtungen einen Anbieterwettbewerb - wer denn die günstigsten Preise für seine Leistungen anbieten kann.
Im Dienstleistungsbereich, in der die wesentlichen Kosten durch die Personalkosten bestimmt werden, bestimmt dann der Anbieter die Preise, der die niedrigsten Personalkosten bzw. die intensivste "Arbeitsverdichtung" zugrunde legen kann. Andere Bieter mit höherem Personalaufwand - also mit höheren Löhnen und "mehr Zeit für die Pflegenden" - sind dann im Nachteil.
Und Arbeitgeber der Diakonie verkünden sehr offen, dass diese den "Dritten Weg", in dem ja bekanntlich Arbeitskämpfe ausgeschlossen sein sollen, als Wettbewerbsvorteil empfinden, um Marktanteile zu gewinnen. Früher nannte man das Schmutzkonkurrenz. Das BAG bezeichnet Tarifverhandlungen ohne Streikrecht als "kollektives Betteln".
Auch bei der Caritas erfolgt die Übernahme der Tarifabschlüsse des öffentlichen Dienstes (für die Alten- und Krankenhäuser, KiTAs und Behinderteneinrichtungen) immer später - und gerade in den unteren Vergütungsgruppen auch oft noch mit Abschlägen. Der "Dritte Weg" gerät offenbar auch bei der Caritas an das Ende seiner Leistungsfähigkeit. Vorbildlich und der Entwicklung voraus war die "teuerste Kopieranstalt Deutschlands" ohnehin noch nie. Ein Ende dieser gegenseitigen Preiskonkurrenz ist scheinbar nur von ver.di gewollt. Ver.di hat auch bereits dargestellt, wie der Pflegenotstand beendet werden kann.

Während die Arbeitgeber der Verbände weiterhin auf die Konkurrenz und Zersplitterung setzen, wird mit den übergreifenden Aktionsaufrufen von ver.di - im begründeten Einzelfall auch bis hin zum Streik - der Druck auf alle Anbieter erhöht, die Finanzierungsfrage nicht mehr auf dem Rücken der Beschäftigten auszutragen, sondern gemeinsame Lösungen zu finden.

Die Reaktion der unterschiedlichen Arbeitgeber auf die trägerübergreifenden Streikaufrufe der Gewerkschaft ver.di bei unterschiedlichen Krankenhausträgern sind interessant, um nicht zu sagen, bezeichnend..

In Bayern haben mehrere Krankenhäuser in kommunaler Trägerschaft jeweils eine Million Euro für zusätzliches Pflegepersonal "am Bett" bereit gestellt und im Falle eines Fachkraftmangels Vereinbarungen zur Entlastung wie etwa eine "Aufnahmesperre" abgeschlossen.

Träger kirchlicher Krankenhäuser wie der Marienhaus-Konzern **) und der Caritas-Verband verweisen auf die "unzureichende Finanzierung der Pflege" und beschränken sich ansonsten scheinbar auf die verbalen Behauptungen, dass Arbeitskämpfe auch als Notwehr der Beschäftigten nicht zulässig sein sollen.

Private, gewerbliche Träger wie der Helios Konzern (Dachau) engagieren hochbezahlte Juristen, um in wochenlanger Vorbereitung mit Schriftsätzen von knapp 190 Seiten (!) eine Eilentscheidung (bei denen der Gewerkschaft nur wenige Stunden Zeit verbleiben, auf die Argumente einzugehen) zu einem gerichtlichen Streikverbot zu erwirken.

Welche der drei Varianten verbessert jetzt die Situation der Pflege "am Bett"?

Wir sind jedenfalls zuversichtlich, dass sich die Variante durchsetzt, die am Ende die beste Pflege gewährleistet.


*) ergänzend empfehlen wir den Faktencheck aus der Sendung "Die Anstalt", der über 12 Seiten lang Infos und Links zum Thema "Pflege" aufgearbeitet hat

**) wir zitieren zum Marienhaus Prof. Dr. Stefan Sell:
Man muss sich in trockenen Zahlen verdeutlichen, was gemeint ist, wenn davon gesprochen wird, dass wir es hier mit einem "der größten christlichen Träger von sozialen Einrichtungen in Deutschland" zu tun haben: Zum Unternehmen zählen 19 Krankenhäuser (an 31 Standorten), 29 Alten- und Pflegeheime, 5 Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen, 9 Hospize, 9 weitere Einrichtungen und 10 Bildungseinrichtungen. Der Konzern beschäftigt etwa 13.800 Arbeitnehmer bzw. Dienstnehmer, wie das im Kirchen-Deutsch heißt. Schon vor einigen Jahren, konkret 2010, wurde ein Umsatzvolumen von 620 Mio. Euro erwähnt (vgl. dazu Das Gespräch mit Schwester Edith-Maria Magar, Aufsichtsratsvorsitzende der Marienhaus GmbH, und Christa Garvert, Sprecherin der Geschäftsführung der Marienhaus GmbH: „Wir leisten uns auch humane Rendite“ im Deutschen Ärzteblatt). Und 2016 wird das hier berichtet: »Nach der Eingliederung der Cusanus Trägergesellschaft Trier wird die Marienhaus Stiftung an der Grenze zur Umsatzmilliarde kratzen. Dadurch wird sie zum größten Träger der Caritas aufsteigen.«

Wir reden hier über ein im "klassischen" Sinne sehr erfolgreiches Unternehmen, was man beispielsweise auch diesem bereits 2007 veröffentlichten Artikel entnehmen kann: Wenn die Kirche der Boss ist. Da wird der damalige Marienhaus-Konzern auch schon prominent zitiert, ebenfalls in Person der Christa Garvert: »Über Renditen möchte sie nicht reden. „Aber wir wollen in der Gewinnzone wirtschaften“, sagt sie bescheiden.« Der geneigte Leser erfährt dann aber trotz aller vornehm daherkommenden Zurückhaltung, dass man 2006 schon »unterm Strich 10,3 Millionen Euro Gewinn« eingefahren habe. Wohlgemerkt, das war 2006.



"Populus Sion, ecce Dominus veniet ad salvandas gentes" – "Volk von Zion, siehe, der Herr wird kommen, zu retten die Völker"
Mk 1, 1-8

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen




Ihr könnt Eure Kommentare vollständig anonym abgeben. Wählt dazu bei "Kommentar schreiben als..." die Option "anonym". Wenn Ihr unter einem Pseudonym schreiben wollt, wählt die Option "Name/URL". Die Eingabe einer URL (Internet-Adresse) ist dabei nicht nötig.

Wir freuen uns, wenn Ihr statt "Anonym" die Möglichkeit des Kommentierens unter Pseudonym wählt. Das Kommentieren und Diskutieren unter Pseudonym erleichtert das Austauschen der Argumente unter den einzelnen Benutzern.