Mittwoch, 11. Oktober 2023

§ BAG: Auskunftsverlangen auf Mitteilung aller schwerbehinderten Betriebsangehörigen

Unternehmen müssen einem betriebsrätlichem Auskunftsverlangen auf Mitteilung aller schwerbehinderten Betriebsangehörigen auch dann Folge leisten, wenn dies leitende Angestellte betrifft. Dies entschied das Bundesarbeitsgericht in einem nun veröffentlichten Beschluss bereits im Mai.
Leitsatz
1. Die Aufgabe des Betriebsrats nach § 80 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG iVm. § 176 SGB IX, die Eingliederung schwerbehinderter Menschen zu fördern, erfasst auch die Gruppe der schwerbehinderten und ihnen gleichgestellten leitenden Angestellten.
2. Soweit § 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG vorsieht, dass personenbezogene Daten von Beschäftigten verarbeitet werden dürfen, wenn dies zur Erfüllung eines sich aus dem Gesetz ergebenden Rechts der Interessenvertretung der Beschäftigten erforderlich ist, stellt die Norm eine Rechtsgrundlage iSv. Art. 6 Abs. 3 iVm. Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. c DSGVO dar. Der Umstand, dass § 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG den Vorgaben der Öffnungsklausel in Art. 88 DSGVO nicht genügt, ist insoweit unerheblich.
(BAG, Beschluss vom 09.05.2023 – 1 ABR 14/22)
vgl. dazu auch:
LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 20.05.2022, 12 TaBV 4/21 bei RA Sandkühler
Dem Auskunftsverlangen könnten auch keine datenschutzrechtlichen Bedenken entgegengehalten werden. Personalvertretungen könnten nur durch vollständige Auskunft ihrer Pflicht genügen, die Eingliederung Schwerbehinderter zu fördern und zu überwachen.

Auch diese Entscheidung muss auf den kirchlichen Bereich durchschlagen.
zu 1. § 176 SGB IX ist ein "für alle". also auch für die Kirchen geltendes Gesetz:
Der Wortlaut des Gesetzes betrifft zwar ausdrücklich nur "Betriebs-, Personal-, Richter-, Staatsanwalts- und Präsidialrat". Mit der umfassenden Aufzählungen sämtlicher Personalvertretungen aus staatlichen Gesetzen wird aber deutlich gemacht, dass der Staat damit alle Personalvertretungen in die Förderungspflicht einschließen will. Wenn der Begriff der "Mitarbeitervertretungen" auch aufgeführt wäre, würde es den Kirchen durch eine einfache Namensänderung möglich sein, sich aus dem Geltungsbereich des Gesetzes zu verabschieden. Das ist aber nicht intendiert. Das Gesetz nimmt die Kirchen nicht ausdrücklich vom Geltungsbereich aus. Es gilt daher auch für kirchliche Einrichtungen und deren Personalvertretungen.
§ 80 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG
(1) Der Betriebsrat hat folgende allgemeine Aufgaben:
..
4. die Eingliederung schwerbehinderter Menschen einschließlich der Förderung des Abschlusses von Inklusionsvereinbarungen nach § 166 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch und sonstiger besonders schutzbedürftiger Personen zu fördern; ...
gilt zwar (gem. § 118 Abs. 2 BetrVG) ausdrücklich nicht für die Religionsgemeinschaften und ihre caritativen oder erzieherischen Einrichtungen (wohl aber für Wirtschaftsbetriebe kirchlicher Eigentümer), er findet aber in § 26 Abs. 3 MAVO
Die Mitarbeitervertretung hat folgende allgemeine Aufgaben:
...
4. die Eingliederung und berufliche Entwicklung schwerbehinderter und anderer schutzbedürftiger, insbesondere älterer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu fördern,
eine kirchenrechtliche Entsprechung. Diese MAVO-Regelung ist sogar weitergehend als das BetrVG, weil die Beschränkung auf eine Inklusionsvereinbarung nach § 166 SGB IX fehlt. Das schließt solche Inklusionsvereinbarungen im Geltungsbereich der MAVO (gem. § 28 a Abs. 2 S. 1 MAVO) aber nicht aus, da - wie bereits ausgeführt - das SGB IX auch für kirchliche Einrichtungen gilt.

zu 2. Etwas komplexer, aber immer noch lösbar, ist die Frage des Datenschutzes:
Einfach formuliert: auch Mitarbeitervertretungen können nur durch vollständige Auskunft ihrer Pflicht genügen, die Eingliederung Schwerbehinderter zu fördern und zu überwachen. Und: kirchliche Mitarbeitervertretungen sind Teil der Einrichtung, die diese Daten der Beschäftigten bearbeiten und speichern. Sie sind keine "Fremden" und daher ist den Mitarbeitervertretungen gegenüber das Argument "Datenschutz" nicht haltbar. Und das gilt völlig unabhängig davon, welche Datenschutzbestimmung zur Anwendung kommt.

Weil wir die Bemühungen kirchlicher Verantwortlicher aber kennen, alles und jedes zu bezweilfeln, wollen wir auch ausführlich auf mögliche Bedenken eingehen.
Ja, es ist richtig: die Geltung des im Urteil angesprochenen Bundesdatenschutzgesetztes (BDSG) für kirchliche Einrichtungen kann hinterfragt werden.
§ 1 BDSG schränkt den Anwendungsbereich dieses Gesetzes ein. Es gilt (wie § 2 BDSG deutlich macht) für "öffentliche Stellen des Bundes und der Länder und deren privatrechtliche Vereinigungen" sowie für "natürliche und juristische Personen, Gesellschaften und andere Personenvereinigungen des privaten Rechts (nichtöffentliche Stellen)". Damit könnten in privater Rechtsform (z.B. AG, eV, gGmbH betriebene Altenheime, Behinderteneinrichtungen, Kindertagesstätten oder Krankenhäuser) zwar relativ problemlos im Geltungsbereich des Gesetzes subsummiert werden - für die öffentlich-rechtlich konstituierten Rechtsträger der Kirchen - dazu gehören Ordensgemeinschaften, (Erz-)Diözesen oder kirchliche Stiftungen - würde es aber schwieriger.
Auch landesrechtliche Regelungen wie das Bayerisches Datenschutzgesetz (BayDSG) helfen nicht weiter. Denn dieses Gesetz gilt nur für Gesetz gilt für die Behörden und sonstigen öffentlichen Stellen des Freistaates Bayern, der Gemeinden, Gemeindeverbände und der sonstigen der Aufsicht des Freistaates Bayern unterstehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts sowie deren Vereinigungen (Art. 1 BayDSG). Das ist bei den genannten kirchlichen Einrichtungen gerade nicht der Fall. Selbst kirchliche Stiftungen unterstehen nicht der Aufsicht des Freistaates, sondern der Aufsicht der jeweiligen Kirche (Art. 23 BayStG).
Möglicherweise könnte das Vorliegen einer "Regelungslücke" unterstellt werden.
Diese mögliche Regelungslücke ist aber spätestens mit Inkrafttreten der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) geschlossen. Wie wir bereits im Mai 2018 erläutert haben, gilt die DSGVO auch für die Kirchen. Eigene Regelungen sind schon formal nicht mehr zulässig. Solche Regelungen hätten bereits vor dem 24. Mai 2016 (dem Inkrafttreten der EU-Datenschutz-Grundverordnung) bestehen müssen. Es handelt sich auch nicht um die eigenen Daten der Kirchen sondern - hier - um die Daten der Beschäftigten, konkret der schwerbinderten oder gleichgestellten Menschen, die vielfach nicht einmal der Kirche angehören. Und für diesen Kreis fehlt den Kirchen jede hoheitliche Rechtsetzungsbefugnis.
Dass auch Religionsgemeinschaften dem Europäischen Datenschutzrecht unterliegen hat der EuGH im Übrigen bereits im Juli 2018 inhaltlich bestätigt.

3. Leitende Angestellte und MAVO:
Lassen Sie uns zum Abschluss noch einen Blick auf die "Leitenden Angestellten" werfen, die im BAG-Beschluss ausdrücklich angesprochen wurden.
Die MAVO definiert in § 3, wer als Mitarbeiterin oder Mitarbeiter im Sinne der MAVO gilt:
(2) Als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gelten nicht:
... 4. sonstige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in leitender Stellung, ...
Wir wissen, dass besonderes diese Norm von kirchlichen Arbeitgebern gerne genutzt wird, um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem von einer MAV vertretenenen Personenkreis auszuschließen. Ob das immer berechtigt ist, wäre Thema für einen anderen Blogbeitrag. Man könnte jetzt argumentieren, dass diese "leitenden" Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (ja nicht mitarbeiten und daher) von einer MAV nicht vertreten werden.
Dem ist aber die klare Entscheidung des BAG entgegen zu halten. Das BAG bezieht sich ausdrücklich auf das SGB IX - und damit eine Rechtsnorm, die auch für die Kirchen gilt:
...
24 cc) Die genannten Förder- und Überwachungsaufgaben ... nach .... § 176 Satz 1 und Satz 2 Halbs. 1 SGB IX erfassen alle schwerbehinderten und ihnen gleichgestellten Arbeitnehmer und damit auch solche, die leitende Angestellte iSv. § 5 Abs. 3 BetrVG sind. Das ergibt die Auslegung der hierfür maßgebenden Normen.

25 (1) Die in § 176 Satz 1 SGB IX genannten Aufgaben des Betriebsrats beziehen sich schon dem Wortlaut nach personell auf schwerbehinderte Menschen iSv. § 2 Abs. 2 SGB IX. Diese Legaldefinition stellt lediglich auf den Grad der Behinderung ab und unterscheidet nicht nach der Art einer (etwaigen) Beschäftigung oder den hiermit ggf. verbundenen Befugnissen. Damit sind auch solche Personen erfasst, die im Fall ihrer Beschäftigung als leitende Angestellte iSd. § 5 Abs. 3 BetrVG anzusehen wären.

26 (2) Vor allem die Systematik des Neunten Buchs Sozialgesetzbuch und der hieraus folgende Regelungszusammenhang geben dieses Verständnis vor.

27 (a) § 151 Abs. 1 und 3 SGB IX legt – wie Normüberschrift („Geltungsbereich“) und Kapitelüberschrift („Geschützter Personenkreis“) erkennen lassen – den persönlichen Geltungsbereich der besonderen Regelungen zur Teilhabe schwerbehinderter Menschen in Teil 3 des SGB IX („Schwerbehindertenrecht“) fest. Danach gelten die genannten Regelungen – zu denen auch die Förderpflicht nach § 176 SGB IX gehört – nicht nur für schwerbehinderte Menschen (§ 2 Abs. 2 SGB IX), sondern auch für ihnen gleichgestellte behinderte Menschen (§ 2 Abs. 3 SGB IX). Auch bei diesem Personenkreis sind die in § 5 Abs. 3 Satz 2 BetrVG genannten Aufgaben und Befugnisse unerheblich. Für ihre Schutzwürdigkeit kommt es – neben einem Grad der Behinderung von wenigstens 30 und der Erfüllung der übrigen Voraussetzungen von § 2 Abs. 2 SGB IX – darauf an, dass sie „infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 156 nicht erlangen oder nicht behalten können“. Nach § 156 Abs. 1 SGB IX gehören hierzu alle Stellen, auf denen „Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer … sowie Auszubildende und andere zu ihrer beruflichen Bildung Eingestellte beschäftigt werden“ und damit auch solche, auf denen leitende Angestellte tätig sind. Die in § 156 Abs. 2 und 3 SGB IX aufgezählten Ausnahmen enthalten keinen § 5 Abs. 3 BetrVG vergleichbaren Tatbestand.

28 (b) Der durch diese personelle Reichweite des Schwerbehindertenrechts vorgegebene Inhalt der dem Betriebsrat in § 176 Satz 2 SGB IX beispielhaft zugewiesenen Aufgaben zeigt, dass seine Förderpflicht auch leitende Angestellte mit einbezieht. ....



Links
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