Samstag, 20. November 2021

Samstagsnotizen: Eva Maria Welskop-Deffaa zum kirchlichen Arbeitsrecht

in einem Interview der ZEIT ONLINE (Christ und Welt) wird Eva Maria Welskop-Deffaa - die neue Caritas-Vorsitzende - unter anderem auch zum kirchlichen Arbeitsrecht befragt:
C&W: Ist es für die Caritas eigentlich auch so wichtig, Kirche zu sein, weil dann ein gesondertes Arbeitsrecht für sie gilt? Eines, das die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter benachteiligt?

Welskop-Deffaa: Wir können uns das ja nicht aussuchen. Von der Grundordnung der Bischöfe sind wir als Caritas unmittelbar erfasst. Wir haben den Auftrag, unsere Arbeitsverhältnisse danach zu gestalten.

Bereits bei diesen Aussagen müssen wir ein entschiedenes "moment mal" einwerfen. Die Bischöfe sind in der katholischen Kirche nicht die letzte Instanz. Diese hat ihren Sitz vielmehr in Rom. Und im Zweifel müssen wir Katholiken den päpstlichen Aussagen mehr Gehalt zubilligen als den Aussagen eines Bischofs. Das gilt für theologische Fragen (um eine Spaltung der Kirche nach dem Muster "Erzbischof Marcel Lefebvre" zu vermeiden) und genauso für sozialethische Äusserungen auf pseudotheologischer Grundlage ("Dienstgemeinschaft") - erst recht, wenn kirchengesetzlich eine Verpflichtung zur Einhaltung anderer Regelungen normiert ist.
Das "päpstliche Lehramt", das sich insbesondere in Sozialenzykliken äussert, ist für die katholische Kirche essentiell. Wie essentiell zeigt sich im "Codex Iuris Canonici" (CIC), dem universalkirchlichen Gesetzbuch, das im Bereich des Vermögensrechts (cc. 1273 ff CIC) allen Ökonomen der kirchlichen Einrichtungen den kirchengesetzlichen Auftrag gibt, diese Sozialenzykliken genauestens zu beachten (c. 1286 1° CIC).
Mit anderen Worten:
Bischöfliche Vorgaben, die gegen das universelle Kirchenrecht und das päpstliche Lehramt verstoßen müssen zumindest hinterfragt werden. Ein "blinder Gehorsam" wäre unverantwortlich.
Ein Weiteres:
Sowohl die Grundordnung wie auch das Betriebsverfassungsgesetz heben auf den Unterschied zwischen "caritativ" und "wirtschaftlich tätig" ab. "Caritativ" heißt "uneigennützig", "ohne die Absicht der Gewinnerzielung". Da fallen eine ganze Menge an Mitgliedern des Caritas-Verbandes schon von Hause aus durch das Raster. Für diese Unternehmen gilt selbst nach den bisweilen übergriffigen kirchengesetzlichen Vorgaben kein kirchliches Arbeitsrecht mehr.
Eine Frage an die gelernte Wirtschaftswissenschaftlerin: welche "Caritas-"Einrichtung wird denn noch völlig uneigennützig tätig? Welche Einrichtung erbringt ihre Leistung wirklich unentgeltlich? Wo ist denn keine Gewinn- und Verlustrechnung im Jahresabschluss?

Wir dokumentieren den Rest des Interviews, soweit er sich auf das kirchliche Arbeitsrecht bezieht, nachfolgend. Eine weitergehende Kritik stellen wir für passende Gelegenheiten zurück.
C&W: Hat sich das kirchliche Arbeitsrecht nicht überlebt?

Welskop-Deffaa: Ich habe schon die Hoffnung, dass die Grundordnung sich weiterentwickelt. Wir müssen als Caritas als offener Arbeitgeber wahrgenommen werden. Deshalb sollten Passagen, die die Loyalitätspflichten betreffen, überprüft werden.

"Wir haben eine Brückenfunktion in viele Teile der Gesellschaft"

C&W: Nach kirchlichem Arbeitsrecht darf eine Bewerberin gefragt werden, ob sie getauft ist. Ein katholischer Mitarbeiter kann sogar gekündigt werden, weil er nach einer Scheidung wieder geheiratet hat. Wie viel Macht brauchen Sie denn über das, was Ihre Mitarbeiter glauben und denken?

Welskop-Deffaa: Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Caritas sind die Zeugen unseres Auftrags. Das heißt allerdings nicht, dass wir Macht über ihre Köpfe und Herzen haben oder haben wollen. Die Caritas wird dann ein mächtiger Anwalt des Sozialen sein, wenn die Menschen in ihre Arbeit hineintragen, was sie an Glaube, Überzeugung und Nächstenliebe mitbringen.

C&W: Dass Sie fragen dürfen, ob jemand geschieden ist oder getauft, sehen Sie als Überbleibsel?

Welskop-Deffaa: Wir sollten schauen, was die Dienstgemeinschaft wirklich ausmacht. Ich denke, wir brauchen weniger Forderungen, stattdessen mehr Zusagen an Mitarbeitende. Und mich treibt die Frage um, warum die Idee der Dienstgemeinschaft über die Grundordnung so sehr auf die Hauptamtlichen begrenzt ist. In der Caritas wirken Hunderttausende Ehrenamtliche, und wir erbringen unsere Leistung unterstützt durch Honorarkräfte. Sie alle gehören zum Team Caritas. Wir brauchen die Menschen mit ihren unterschiedlichen Charismen, die es zu entdecken gilt.

C&W: Was verstehen Sie unter dem Begriff der Dienstgemeinschaft, der aus dem kirchlichen Arbeitsrecht kommt?

Welskop-Deffaa: Die Idee ist, dass man sich nicht arbeitskämpferisch gegenübersteht. Wir müssen und wollen an einem Strang ziehen, Arbeitgeber und Arbeitnehmer.

C&W: Das bedeutet heute: Die Beschäftigten der Caritas dürfen nicht streiken.

Welskop-Deffaa: Ich finde, wir sollten in der Grundordnung explizit begründen können, warum wir auf das Streikrecht so ausdrücklich verzichten.

C&W: Wie können ausgerechnet Sie, vor Ihrer Zeit bei der Caritas immerhin Mitglied des Vorstands der Gewerkschaft Verdi, das untermauern?

Welskop-Deffaa: Es ist ein Grundrecht, seine Arbeitsbedingungen auch im Ernstfall mit dem Streik durchzusetzen. Das vertritt die katholische Soziallehre auch. Aber der Lokführerstreik hat die Risiken eines Streiks gerade noch einmal sichtbar gemacht.

C&W: Das betrifft aber auch Beschäftigte, die das Gleiche machen wie in staatlichen Heimen, Kliniken und Kitas und die streiken dürfen.

Welskop-Deffaa: Die Situationen haben wir zwischen Angestellten und Beamten auch.

C&W: Die Beamten genießen im Tausch Privilegien.

Welskop-Deffaa: Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sehen die Beschäftigung bei der Caritas auch als guten Tausch an. Vielerorts verdienen sie besser als Kolleginnen und Kollegen in Einrichtungen anderer Träger.

C&W: Wird von der katholischen Kirche eines Tages nur noch die Caritas bleiben?

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