Donnerstag, 13. August 2020

Altenpflege - warum die meisten Träger zu wenig bezahlen ...

Auch Caritas-Arbeitsrecht@Lambertus-Verlag "zwitschert". Als Verlag, der den kirchlichen Arbeitgebern nahe steht, natürlich vor allem Dinge, die kirchliche Arbeitgeber gerne lesen. Am Dienstag hat Caritas-Arbeitsrecht retweetet
Caritas Deutschland
@Caritas_web
Gehalt in der Altenpflege - Altenpfleger verdienen oft besser als gedacht.
via @pflegen_online
Das macht neugierig. Und beim Lesen des verlinkten Artikels von pflegen-online.de findet sich dann auch Aussage wie:
Pflegehelferin verdient mehr als eine Friseurin (Anm. 1) 

Eine PDL verdient so viel wie eine Grundschullehrerin (Anm. 2)

Manche Träger rücken mit konkreten Angaben zu Gehältern nicht raus
… Der AWO-Bundesverband (Anm. 3) und die Azurit-Hansa-Gruppe antworteten schlichtweg nicht trotz mehrmaliger Nachfrage,

Diakonie, Caritas & Co. zahlen überdurchschnittlich (Anm. 4)
Diakonie, Caritas, Johanniter-Unfallhilfe e.V., Agaplesion gAG und Evangelische Heimstiftung GmbH (Stuttgart) hatten hingegen kein Problem damit, ihre Gehaltsstrukturen offen zu legen. Wohl auch deshalb, weil sie ihre Mitarbeiter überdurchschnittlich gut bezahlen inklusive diverser Zuschläge für Schicht-, Nacht- und Sonntagsarbeit sowie Kinderzulagen, was insgesamt noch einmal mindestens 5 bis 10 Prozent des Bruttomonatslohns ausmacht. …

Hilfskräfte bei der Caritas besonders gut gestellt (Anm. 5)

Nach zehn Jahren schneidet die Hilfskraft bei der Caritas mit einem Grundgehalt von gut 3.000 Euro wiederum deutlich besser ab als ihre Kolleginnen bei der Diakonie (2.760 Euro), bei den Johannitern (2.660 Euro) und Agaplesion (2.433 Euro): Berufserfahrung wird also hier besonders honoriert.
So kann man sich die Situation in der Altenpflege auch schönreden. Denn bei näherem Hinsehen erweist sich die grandiose Aussage als Luftnummer.

Schwere methodische Mängel:
Das fängt damit an, dass die Redaktion von pflegen-online offenbar einfach die jeweiligen Arbeitgeber abgefragt hat (siehe Text zur AWO und Azurit-Hansa-Gruppe). Und die einzelnen Arbeitgeber haben natürlich Interesse, das eigene Gehaltsgefüge möglichst positiv darzustellen und die Vorteile zu betonen.
Das Ergebnis dieser arbeitgeberseitigen Auskünfte dann zusammen zu fassen und weiter zu verbreiten, zeugt nicht unbedingt von methodisch sorgfältiger journalistischer Arbeit.
Dazu fehlt ein wichtiger Referenztarif. Wenn es denn wirklich um Vergütungsvergleiche geht, dann sollte man folgendes Berücksichtigen:
Die Altenpflege ist mit mehr als 13.600 stationären Einrichtungen und noch mal so vielen ambulanten Diensten regelrecht zerklüftet. In der Branche konkurrieren öffentliche, kirchliche und gemeinnützige Arbeitgeber, kleine private Firmen, börsennotierte Konzerne und solche, hinter denen Hedgefonds stehen, miteinander. Die einen arbeiten gewinnorientiert, die anderen orientieren sich am Gemeinwohl, wieder andere sollen die öffentliche Daseinsvorsorge sicherstellen. Nach Tarifvertrag zahlen in der Regel nur die kommunalen und freigemeinnützigen Arbeitgeber. Die Tarifverträge *) der freigemeinnützigen liegen aber unter dem Niveau des öffentlichen Dienstes, der bei den kommunalen Trägern gilt. Für die Kirchen gelten wegen ihres Selbstbestimmungsrechtes eigene kirchliche Tarifverträge **). Viele private Unternehmen zahlen nur den Mindestlohn oder die Beschäftigten müssen frei verhandeln.
Quelle: ZEIT-ONLINE vom 16. Oktober 2018

*) Gemeint sind nicht Tarifverträge sondern Vergütungen der freigemeinnützigen Träger, denn
**) Kirchliche Regelungen sind keine Tarifverträge sondern Allgemeine Geschäftsbedingungen. Und das hat auch nichts mit einem "Selbstbestimmungsrecht der Kirchen" zu tun, das sich so weder in der Verfassung noch in den Konkordatsvereinbarungen findet, sondern lediglich mit der "negativen Koalitionsfreiheit", die jedermann, also auch den Kirchen, zugestanden ist. 

Aber dann ins Detail:
Anm. 1:
Ist die Friseurin - die bekanntlich einen der am niedrigsten vergüteten Berufe ausübt - wirklich ein geeigneter Vergleichsmaßstab? Wer um einen Euro mehr zahlt als die niedrigste tarifliche Entlohnung, würde nach diesem Vergleichsmaßstab also schon "gut verdienen".

Anm. 2:
Eine PDL (Pflegedienstleitung) verdient soviel wie eine Grundschullehrerin - aha(?). Wieviel Pflegefachkräfte werden denn in ihrem Arbeitsleben zur PDL? Man kann es sich ausrechnen, wenn man die Zahlen eines kleineren Krankenhauses für eine Stadt mit etwa 20.000 Einwohnern zu Rate zieht. Da gibt es einen ärztlichen Direktor (Chefarzt), einen Verwaltungsleiter (Gehobener oder Höherer Dienst) und die Pflegedienstleitung (Grundschullehrerniveau). Und wieviel verdient eine Grundschullehrerin?

Anm. 3)
Der AWO-Bundesverband ist selbst nicht Arbeitgeber, also Träger und Tarifpartner für Altenheime. Die Tarifverträge werden vielmehr mit den örtlichen bzw. regionalen Gliederungen der AWO abgeschlossen. Ein kleiner Blick in's Internet hätte die Redaktion von "pflegen-online" nicht nur über diesen Sachverhalt informiert, sondern auch die entsprechenden Tarifverträge zugänglich gemacht.
Den Blick gibt's hier für unsere Leser: https://www.agv-awo.de/downloads/.

Anm. 4)
Bei den freigemeinnützigen Trägern gibt es Tarifverträge, die sich an den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst anpassen und Platz für arbeitgeberspezifische Besonderheiten lassen - etwa bei der AWO, dem BRK oder dem DRK. Diese Tarifverträge fehlen im Vergleich aber genauso wie die Tarifregelungen für die kommunalen Einrichtungen (Referenztarifvertrag). 

Die Diakonie hat sich von der Angleichung an den öffentlichen Dienst verabschiedet. Es gibt weniger Vergütungsgruppen und weniger "Stufenaufstiege" (gestaucht und gekürzt). Der Vergleich ist daher mehr als schwierig. Das fängt schon bei der Zuordnung der "richtigen" Vergütungsgruppe an. Hat die Diakonie etwas zu verbergen? Was ist der Grund für diese "Verschleierung"?

Die Caritas hingegen orientiert sich am öffentlichen Dienst. "Orientiert" - das heißt, dass das Verhandlungsergebnis des öffentlichen Dienstes abgewartet wird, bevor sich die Arbeitsrechtliche Kommission der Caritas (AK-Caritas) auf den Weg macht, das Ergebnis mühsam nachzuverhandeln. Die Arbeitgeber sehen den Tarifabschluss des öffentlichen Dienstes dabei als "Orientierungsgröße", die man (möglichst) unterschreiten sollte. Die Arbeitnehmer zielen natürlich auf eine möglichst gleichwertige 1:1 Übernahme ab. Je hinhaltender der Widerstand der Arbeitgeberseite ist, desto später erfolgt die Einigung - und desto länger haben sich die Arbeitgeber die entsprechenden höheren Tariflöhne aus dem öffentlichen Dienst gespart. Aufgrund der geforderten Mehrheiten bei den Abstimmungen (und dem systembedingten "Zwang zum Konsens") muss dann schon ein gewichtiger Teil der Arbeitgeber "weichgeklopft" werden, bis es zu einem Beschluss kommt.
Mit dem Beschluss der Bundeskommission der AK Caritas ist es aber nicht getan.
Jetzt kommen die Regionalkommissionen zum Zuge, die im Rahmen einer "Bandbreite" das Ergebnis der Bundeskommission nachverhandeln müssen. Selbstredend, dass auch hier die Arbeitgeber diese Bandbreite möglichst ausnützen wollen - nach unten wohlgemerkt. Und selbstredend, dass sich die Arbeitnehmerseite schwer tut, die Bandbreite nach oben auszunützen. Auch hier können zähe und zeitaufreibende Verhandlungen die Folge sein. Als Beispiel für die regionalen Anpassungsschwierigkeiten an den öffentlichen Dienst möchten wir auf die "Region Ost" der Caritas verweisen. Dieser sind nicht nur die (gar nicht mehr so) "neuen Bundesländer" sondern auch Hamburg und Schleswig-Holstein zugeordnet.
Aber auch bei einer Einigung in der jeweiligen Regionalkommission ist noch nicht alles "in trockenen Tüchern". Denn eine Einigung in den diversen Kommissionen führt beileibe nicht zur Zahlung der (hoffentlich erhöhten) Gehälter. Jetzt müssen die Diözesanbischöfe das Ergebnis erst einmal "in Kraft setzen". Erst damit - das heißt mit der Veröffentlichung im jeweiligen Amtsblatt - werden die Arbeitgeber der Caritas kirchenrechtlich verpflichtet. die geänderten Gehälter auch zu bezahlen. Und es soll durchaus schon vorgekommen sein, dass Caritas-Arbeitgebervertreter zwar in der Abstimmung der Arbeitsrechtlichen Kommission einem Beschluss zugestimmt haben - die Arbeitgeber dann aber nichts dringenderes zu tun hatten, als beim Bischof zu intervenieren, er möge diesen Beschluss um Himmelswillen ja nicht in Kraft setzen.
Abgesehen davon wird - manchmal mit bischöflichem Segen - durchaus einzelvertraglich weniger Vergütung vereinbart, als die AVR eigentlich hergeben.
Und was macht jetzt der Bischof, wenn ein Caritas-Arbeitgeber trotz der kirchenrechtlichen Verpflichtung einen Beschluss nicht umsetzt? Nichts kann er machen, außer vielleicht mit "verschärftem Liebesentzug" zu drohen. Denn die Regeln des "Dritten Weges" sind und bleiben "Allgemeine Geschäftsbedingungen". Es sind keine Tarifverträge, die AVR stehen solchen Tarifverträgen auch nicht gleich. Daher fehlt diesen Regelungen die Verbindlichkeit, die Tarifverträgen als "Mindestregelungen" (normative Wirkung) zukommt. Aber das kommt ja schon im Namen zum Ausdruck: Allgemeine Vertrags Richtlinien .

Anm. 5)
Tja - und das gute Abschneiden der Hilfskräfte bei der Caritas ist auch nur der Tatsache geschuldet, dass die Arbeitgeber der Diakonie zur Personalgewinnung etwas bessere Gehälter zahlen - schon nach wenigen Jahren aber die Tabellenlöhne des öffentlichen Dienstes (und damit auch der Caritas, soweit sie denn mit Zeitverzögerung übernommen wurden) deutlich unterschreiten. Das ist kein "Verdienst" der Caritas, sondern schlicht "Versagen" der diakonischen Arbeitgeber.
Und ganz nebenbei - wer erinnert sich noch an die Absenkungen der "unteren Vergütungsgruppen" der Caritas in Baden-Württemberg? Diese regionalen Absenkungen bleiben bei einem bundesweiten Vergleich natürlich unberücksichtigt.

Ja, wir kennen das Argument der Arbeitgeber aus den Vergütungsverhandlungen:

Die Caritas ist nicht alleine im Markt:
Das kann ein Vorteil für die Beschäftigten sein - wenn man zur Personalgewinnung oder zur Betriebsbindung bewährter MitarbeiterInnen einfach mehr bieten muss, als die Konkurrenz. Dafür braucht es dann aber keine "Arbeitsrechtliche Kommission". Da entscheidet "der Markt" (und das individuelle Verhandlungsgeschick der Einzelnen), ob noch (mehr oder weniger) qualifizierte Fachkräfte gewonnen und im Betrieb gehalten werden können.
Das kann sich aber auch nachteilig auswirken, wenn bei der Refinanzierung der Pflegeleistungen die Angebotspreise der Billigheimer unter den Anbietern zugrunde gelegt werden.
An dieser Stelle möchten wir nochmals hinweisen, dass die Altenpflege von einer Vielzahl von nicht tarifgebundenen privaten Trägern dominiert wird.
Nach den Zahlen des TERRANUS Pflegeatlas für 2015 wächst der private Sektor in der stationären Pflege weiterhin mehr als viermal so schnell wie der Freigemeinnützige. So hat sich die Zahl der Plätze in privater Trägerschaft seit 1999 bis 2015 mehr als verdoppelt (+ 110 Prozent). Der Zuwachs der stationären Plätze im freigemeinnützigen Sektor betrug im selben Zeitraum nur etwa 26 Prozent. Die Kapazitäten öffentlich-rechtlicher Träger gehen unterdessen kontinuierlich zurück (- 28 Prozent).

Derzeit liegt der Anteil freigemeinnütziger Pflegeplätze bei rund 56 Prozent. Der Anteil der Privaten näherte sich 2015 der 40 Prozent-Marke, was knapp 400.000 Pflegeplätzen entspricht. Öffentlich-rechtliche Träger spielen mit einem Marktanteil von rund 5 Prozent eine untergeordnete Rolle.
Quellen:
Terranus - Spezialmakler und Beratungsgesellschaft für Sozialimmobilien in Deutschland, Presseinformation vom 9. März 2016
Haufe Online Redaktion: "Pflegeheime: Marktanteil privater Träger verdoppelt sich" - Mitteilung vom 10. März 2016

Bei einer genaueren Analyse muss man feststellen, dass sich der Anteil freigemeinnütziger, privater oder regionaler Träger regional unterschiedlich bemisst.
Öffentliche Träger haben, wie im ambulanten Bereich, den geringsten Anteil (5 %). Die freigemeinnützigen Heime sind besonders stark in Mecklenburg-Vorpommern (64 %), Brandenburg und Nordrhein-Westfalen (je 63 %) vertreten. Die Privaten weisen die höchsten Anteile in Schleswig-Holstein und Niedersachsen (66 % und 60 %).
Auch bei einer Bewertung nach der Zahl der verfügbaren Plätze sind die Heime in frei-gemeinnütziger Trägerschaft "Marktführer" in Deutschland. Von den bundesweit rund 929 000 Plätzen in Pflegeheimen befinden sich 509 000 beziehungsweise 55 % in freigemeinnützigen Heimen. Der Anteil der Privaten beträgt 39 % – er hat somit um circa einen Prozentpunkt gegenüber 2013 (und um rund 13 Prozentpunkte gegenüber 1999) zugenommen; die Öffentlichen weisen einen Anteil von 6 % auf.
Hohe Marktanteile haben die Privaten auch bei dieser Bewertung nach Plätzen in Schleswig-Holstein und Niedersachsen (65 % und 58 %). Die Freigemeinnützigen sind hingegen stark im Saarland (67 %) und in Nordrhein-Westfalen (66 %) vertreten.
Quelle: Marktanalyse zur Pflegestatistik 2015 des Bundesamtes für Statistik.

Solche sehr unterschiedlichen regionalen Zahlen sind mit der Änderung der Marktanteile deutliche Zeichen für einen massiven Umbruch der "Trägerlandschaft".

Entwicklungstendenzen - Aktualisierung:
Nun muss man darauf hinweisen, dass es derzeit nach der Pflegestatistik 2017 des Statistischen Bundesamtes in Deutschland 14.480 Pflegeheime gibt, deren Träger sich auf zwei große Blöcke verteilen: 6.167 entfallen auf „private Träger“ und mit 7.631 befindet sich (noch) die Mehrheit der Heime in freigemeinnütziger Trägerschaft. „Öffentliche Träger“, also kommunale Pflegeheime, spielen mit 682 keine relevante Rolle. Und wir haben es immer noch mit einem überaus zersplitterten „Markt“ zu tun: »Etwa die Hälfte der insgesamt rund 875.000 Pflegeplätze in Pflegeheimen verteilt sich auf die 400 führenden Betreiberorganisationen«, so Sebastian Meißner in seinem Bericht >Die 30 größten Pflegeheimbetreiber 2019<. Dort findet man aber auch diesen Hinweis: »In den vergangenen drei Jahren erhöhte sich der Marktanteil der 30 größten Unternehmen um 2 Prozentpunkte von 19,5 Prozent auf nunmehr 21,5 Prozent.« Die stellen in der ambulanten Pflege schon seit längerem die Mehrheit, bei den Pflegeheimen marschieren diese Anbieter auf die 50 Prozent-Quote zu. Und immer wieder wird man mit dem Argument konfrontiert, dass man eigentlich im Bereich der Altenpflege keine gewinnorientierten Anbieter zulassen sollte, vor allem nicht dann, wenn es sich bei diesen Unternehmen um Kapitalgesellschaften und Investoren handelt, denen es aus ihrer Sicht verständlich vor allem um eine möglichst hohe Rendite geht, die man aber in der Pflege alter Menschen angesichts des sehr hohen Anteils der Personalkosten über kurz oder lang nur über eine Absenkung der Personalkosten erreichen kann – und/oder über teilweise windige Geschäftsmodelle mit Betriebs- und Immobiliengesellschaften, bei denen die Kosten auf die Betroffenen abgewälzt werden können.

Wie immer besteht bei solchen Debatten die Gefahr, dass man große Schneisen zu schlagen versucht und dabei ganz unterschiedliche Fallkonstellationen über einen Kamm schert. „Private Träger“ in der Altenpflege sind keineswegs so homogen wie viele vielleicht meinen. Das gilt auch für die große Gruppe der „freigemeinnützigen Träger“. Da gibt es „gute“ und „schlechte“ Träger und auch gemeinnützige Träger erwirtschaften „Gewinne“, die hier Überschüsse heißen und die aufgrund der rechtlichen Vorgaben anders als bei privatgewerblichen Trägern nicht an Anteilseigner beispielsweise als Dividenden oder Gewinnanteile ausgeschüttet werden dürfen. Aber auch bei „den“ privatgewerblichen Anbietern gibt es viele kleine Familienunternehmen, die (noch) ein oder zwei Heime betreiben und deren Unternehmensziel alles andere als gewinnmaximierendes Verhalten darstellt. ...
Quelle: Aktuelle Sozialpolitik "Die Altenpflege als expandierende Spielwiese für Private-Equity-Investoren" - Beitrag vom 29. April 2019 von Stefan Sell

Und nebenbei bemerkt: auch immer mehr Träger der "Caritas-Familie" geben ihre Einrichtungen auf. Wir erinnern beispielhaft an unsere Beiträge vom 13. Januar 2016, vom 02. April 2017, vom 10. November und vom 13. November letzten Jahres.

Es findet also (auch zu Lasten der Caritas) ein Verdrängungswettbewerb durch private Träger statt. Das sind überwiegend Träger, die mit ihren Pflegediensten möglichst viel "Gewinn" machen wollen. Da steht der Ertrag für die Firmeninhaber an erster Stelle. Den kann man erreichen, indem man die Kosten senkt. Und Personalkosten sind nun mal im Dienstleistungsbereich der größte Kostenfaktor. Mehr Ertrag kann man durch Kostensenkung, also niedrigere Vergütungen wie auch durch Arbeitsverdichtung erreichen, d.h. durch immer weniger Pflegekräfte, die sich die Betreuung der zu Pflegenden aufteilen müssen. Das wird vor allem der Fall sein, wenn sich die Einnahmen nicht entsprechend steigen lassen.
Und die Refinanzierung der Pflegedienste richtet sich dann nach den "Dumpingpreisen" dieser Anbieter. Damit geraten natürlich auch die Träger, die faire Tariflöhne zahlen wollen, unter Druck. Früher nannte man das "Schmutzkonkurrenz". Das ist eine Konkurrenz nicht nur zu Lasten der eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Denn diese "Schmutzkonkurrenz" erschwert oder verhindert den Abschluss besserer Tarifverträge bei den tarifgebundenen Arbeitgebern bzw. zumindest deren Anwendung bei den tariftreuen Trägern.

(Nicht nur) die Altenpflege ist "im Umbruch". Wenn die etablierten Träger ihre Marktanteile behalten wollen, müssen sie etwas tun. Und das kann sich nicht auf einen "Billigpreiswettbewerb" erstrecken, es muss ein "Qualitätswettbewerb" stattfinden. Dafür wäre es aber notwendig, eine gemeinsame Wettbewerbsgrundlage zu schaffen - also einheitliche Grundkosten, die insbesondere über ein flächendeckend einheitliches Lohngefüge erreicht werden können. Warum etwa sollen die Löhne und Gehälter in Neu-Ulm anders sein als jenseits der Donau in Ulm? Warum in Aschaffenburg anders als in Frankfurt, Wiesbaden oder Mainz?
Damit wäre auch die gemeinsame (höhere) Refinanzierung der Pflegedienste gewährleistet.

Was kann eine Gewerkschaft tun?
Der "Klassische Weg" wäre der Weg in den "Häuserkampf". Jeder einzelne Arbeitgeber müsste durch Arbeitskampfmaßnahmen zum Abschluss eines Tarifvertrages mit (deutlich) besseren Konditionen verpflichtet werden. Ob damit der Verdrängungswettbewerb beendet wird - oder ob sich die Gewerkschaften nur "verzetteln", mit unterschiedlichen Regelungen und unterschiedlichen Laufzeiten dann sogar selbst die Zersplitterung der "Tariflandschaft" fördern?

Ist das wirklich politisch gewollt? Hat das Finanzielle die Sozialpolitik "zur Seite gefegt"?
Was ist wichtiger? Der verfassungsrechtlich garantierte Anspruch an den Sozialstaat oder der zu Lasten der Sozialleistungen ausgeglichene Haushalt?

Ein "politischer Weg" führt über die Erklärung der "Allgemeinverbindlichkeit" von Tarifverträgen nach dem Tarifvertragsgesetz. Dazu schrieb ZEIT ONLINE:
Altenpflege:
Löhne wie im öffentlichen Dienst für alle Pflegekräfte

Ver.di hat eine Tarifkommission gegründet, um die Voraussetzungen für einen allgemein verbindlichen Tarifvertrag zu schaffen. Doch die privaten Arbeitgeber wehren sich.
Quelle: ZEIT-ONLINE vom 16. Oktober 2018

Warum ist das noch nicht so weit? Nun: für die Allgemeinverbindlichkeitserklärung nach Tarifvertragsgesetz muss eine Mehrheit der Beschäftigten "tarifgebunden" sein. Das haben wir aber nicht. Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass sich die kirchlichen Anbieter - die immer noch als größte Trägergruppe dominieren - weigern, Tarifverträge abzuschließen. Sie machen damit vom Recht der "negativen Koalitionsfreiheit" Gebrauch. Das ist zulässig.
Ob es dagegen ethisch vertretbar ist, den daraus resultierenden Verdrängungswettbewerb mit seinen zunehmend prekären Löhnen in Kauf zu nehmen, müssen sich die kirchlichen Träger freilich fragen lassen.
Dazu "Kirchen als Hindernis bei Verbesserungen in der Altenpflege?" - Blogbeitrag vom 03. August 2018

Jetzt sind also wieder die Beschäftigten selbst gefragt.
Hilfe zur Selbsthilfe - das kann die Gewerkschaft leisten. Auch hier hat es die ZEIT ONLINE auf den Punkt gebracht:
Bislang gibt es in der Pflege keinen Flächentarifvertrag. Eine Ursache dafür ist, dass nur sehr wenige Beschäftigte – rund zehn Prozent – gewerkschaftlich organisiert sind. ...
Das kann jede/r einzelne ändern.
Gemeinsam sind alle stark. Fangen wir also bei den (noch) größten Anbietern, bei Caritas und Diakonie, an. Und wenn sich nicht genug KollegInnen finden, die sich gewerkschaftlich engagieren wollen, dann kann man auch "mit den Füßen abstimmen" und zu einem tarifgebundenen Arbeitgeber wechseln. Auch bei anderen Arbeitgebern, bei Arbeiterwohlfahrt, Kommunen oder Rotem Kreuz werden weiter Fachkräfte gesucht.

Prof. Stefan Sell verweist in seinem Beitrag auf einen anderen Ansatz und die Diskussion, die auch in Österreich geführt wird:
An anderer Stelle hat das bereits zu aus deutscher Sicht radikalen Konsequenzen geführt – siehe dazu am Beispiel des österreichischen Burgenlandes den Beitrag „Gewinnorientiertes Denken hat in diesem Bereich nichts zu suchen“. Also Pflegeheime nur noch in gemeinnütziger Hand …" vom 4. April 2019.
Quelle: Aktuelle Sozialpolitik vom 29-04.2019

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