Samstag, 23. Oktober 2021

Samstagsfrage: Wie erneuert sich Kirche?

... "nicht durch Anpassung an Zeitgeist" meint der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer (Quelle).

... aber
"auch nicht durch Festhalten an längst überholten Konzepten, an weltlicher Macht und Riten",
meine ich. Und ich ziehe dazu ein Beispiel aus der eigenen familiären Geschichte heran. Penzberg - meine Heimatstadt - war ab Beginn des 19. Jahrhunderts ein Kern der beginnenden Industriealisierung in Oberbayern. Die kirchliche Struktur bleib aber weiter den ländlichen Pfarrdörfern verbunden. "Neudorf an der Loisach" - das heutige Maxkron - war gut 2 Fußstunden vom Pfarrdorf entfernt. "Die Maxkroner nahmen die Kirche praktisch nur bei Geburten, Hochzeiten und Sterbefällen in Anspruch ... zunächst deshalb, weil allein der sonntägliche Kirchgang insgesamt vier Wegstunden beansprucht hätte, ganzu zu schweigen von der Dauer des Gottesdienstes selbst, der wohl an die zwei Stunden in Anspruch genommen haben wird." 1)
Damit war eine Entfremdung der - durch die Säkularisation arbeitslos gewordenen - Klosterhandwerker 2) und ~musiker vom dörflich kirchlichen Leben verbunden.
Mit der beginnenden Industriealisierung erfuhr zudem die "Lebenswirklichkeit" der Kleinsiedler und beginnenden Bergwerksarbeiter eine radikale Veränderung. Der "Flurumgang" im Pfarrdorf zum Schutz vor Hagel und anderen Unwetterereignissen war für die Bergleute zunehmend "lebensfremd". Die Folge war eine zunehmende Zäsur und das Vordringen der Arbeiterbewegung in einem vormals rein landwirtschaftlich geprägten Umfeld.
Erst die Bildung einer eigenen Pfarrei zur Wende zum 20. Jahrhundert konnte auf diese geänderte Lebenswirklichkeit eingehen - und sich innerhalb weniger Jahrzehnte so verwurzeln, dass Penzberg zum "Hort des antifaschistischen Widerstandes" wurde - auch seitens der beiden christlichen Konfessionen.

Eine ähnliche Situation erleben wir heute: die Gesellschaft und die Lebenswirklichkeit der Katholiken befindet sich im Umbruch. Die Kirche muss sich diesen Änderungen stellen, wenn sie in der Gesellschaft verankert bleiben will 3). Statt diese Herausforderung zu schultern steht sich die Kirche allerdings selbst im Weg. 
Da sind einerseits die selbst verursachten Skandale, andererseits aber auch die völlige Negation der eigenen Lehrmeinung wie der kirchlichen Soziallehre, die Kirche vielfach nur noch als "hohles Gebilde" erscheinen lassen, ohne Substanz, in der eigenen "Bedeutungsschwere" gefangen und dabei verkennend, dass Rituale und Schaufenstererklärungen heute nicht mehr verfangen. Der "Dritte Weg" der deutschen Kirche führt zur Abgrenzung - von der Gesellschaft, der Welt und von der universellen katholischen Kirche.
Wer dann noch auf die großzügig vom Staat verliehenen "kirchlichen Machtbefugnisse" besteht, der hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt. In diesem Sinne kann das Wohl der Kirche nur durch eine radikale "Entweltlichung" gesichert werden. Das ist ein mühsamer Weg, stimmt - aber besser die Kirche geht diesen Weg schleunigst selbst, als dass er "fremdbestimmt" aufgezwungen wird.

meint Erich Sczepanski



Anmerkung:
1) Zitiert aus Studien zur Altbayerischen Kirchengeschichte, Bd. 5, Hörger "Kirche Dorfreligion und bäuerliche Gesellschaft" S. 220 
2) a.a.O. S. 221
3) vgl. "Lehre der katholischen Kirche sei "prekär" - Politikwissenschaftlerin Tine Stein (Göttingen): "Verfassung der Kirche muss sich ändern" mit der Aussage:
Machtkonzentration ohne Kontrolle und Rechenschaftspflicht hätten die Kirche als Institution in ihre tiefe Krise geführt. "Man kann es nicht oft genug sagen: Der Selbstwiderspruch zwischen kirchlichem Handeln und der Botschaft, die ihr aufgegeben ist, macht den Kern der Krise aus", so die Politikprofessorin, die auch Mitglied im Synodalforum "Macht und Gewaltenteilung" ist.
...
"Das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften soll einen Schutz davor bieten, dass der säkulare Staat auf religiöse Lehren Einfluss nimmt und diese sanktioniert", schreibt Stein. "Die religiöse Lehre ist aber in der katholischen Kirche derzeit prekär." Alles spreche dafür, dass Gläubige darüber nachdenken sollten, "wie es mit dem gegenwärtigen Staatskirchenrecht weitergeht".
Mitgliederzahlen katholische und evangelische Kirche, Quelle: Die Kirche - evangelische Wochenzeitung 26.06.2020
siehe auch die amtliche Statistik zur Zahl der Kirchenaustritte in Deutschland

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