Freitag, 18. September 2020

Arbeitgeberverband BVAP und ver.di gemeinsam gegen Dumpinglöhne - Tarifvertrag soll auf die gesamte Pflegebranche erstreckt werden

mit einer aktuellen Medieninformation teilt ver.di den Abschluss eines Tarifvertrages über Mindestbedingungen für die Altenpflege mit:
Berlin, 17.09.2020

Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) hat gemeinsam mit der Bundesvereinigung der Arbeitgeber in der Pflegebranche (BVAP) einen wichtigen Schritt in Richtung eines flächendeckenden Tarifvertrags in der Altenpflege getan. Am Mittwochabend einigten sich beide Seiten auf ein vorläufiges Tarifergebnis, das vom Bundesarbeitsministerium auf die gesamte Pflegebranche erstreckt werden soll. "Wir, die Tarifparteien, kommen unserer Verantwortung nach", sagte Sylvia Bühler, die im ver.di-Bundesvorstand für das Gesundheitswesen zuständig ist. Die politische Entscheidung, die Altenpflege dem wirtschaftlichen Wettbewerb zu überlassen, habe einen Verfall der Löhne verursacht. "Heute ist die Altenpflege der Mangelberuf schlechthin. Mit einem Tarifvertrag, der bei der Bezahlung aller Altenpflegerinnen und Altenpfleger ein Mindestniveau sichert, indem er über das Arbeitnehmerentsendegesetz auf die gesamte Pflegebranche erstreckt wird, soll der Beruf wieder attraktiver werden", erklärte Bühler. "Die vorgesehenen Mindestentgelte können sich sehen lassen. Sie sind eine deutliche Steigerung gegenüber dem bisherigen Pflegemindestlohn."

Der Tarifvertrag soll am 1. Juli 2021 in Kraft treten. Bis dahin sei ausreichend Zeit, alle vom Arbeitnehmerentsendegesetz vorgeschriebenen Voraussetzungen zu erfüllen, so Bühler weiter. In drei Schritten würden demnach die Mindestentgelte angehoben, so dass examinierte Altenpflegekräfte ab Januar 2023 wenigstens 18,50 Euro pro Stunde erhalten. Bei einer 39-Stunden-Woche ergebe das einen Bruttoverdienst von 3.137 Euro im Monat. Pflegehilfskräfte ohne Ausbildung erhalten demnach mindestens 14,15 Euro, mit ein- bis zweijähriger Ausbildung wenigstens 15 Euro pro Stunde. "Das ist ein ordentliches Mindestniveau, das bessere Tarifverträge selbstverständlich unberührt lässt", erläuterte Bühler. "Dem Lohndumping insbesondere von kommerziellen Trägern wird so ein Riegel vorgeschoben." Außer den Stundenlöhnen haben sich ver.di und BVAP auch auf ein Urlaubsgeld von 500 Euro für Vollzeitbeschäftigte sowie einen Jahresurlaub von mindestens 28 Tagen geeinigt.

Anders als beim Pflegemindestlohn sieht das Verhandlungsergebnis von Anfang an in Ost- und Westdeutschland die gleiche Bezahlung vor. "Zum 30. Jahrestag der Vereinigung Deutschlands wollen wir auf keinen Fall eine schlechtere Bezahlung der Kolleginnen und Kollegen im Osten zulassen", so Bühler. Nicht durchsetzbar gewesen sei hingegen die Einbeziehung von Beschäftigten über den Geltungsbereich der Pflegemindestlohnverordnung hinaus. "Das ist ein großer Wermutstropfen, denn die Beschäftigten in Technik, Reinigung und anderen Bereichen sind ebenfalls unerlässlich."

Bühler rief die kommerziellen Pflegeunternehmen auf, ihren Widerstand gegen einen flächendeckenden Tarifvertrag endlich aufzugeben. "Die Altenpflege braucht gute Arbeitsbedingungen und eine angemessene Bezahlung. Nur so werden sich in Zukunft genug Menschen für diesen so wichtigen und wunderbaren Beruf finden", betonte die Gewerkschafterin. "Wer eine gute Pflege will, muss jetzt mitziehen."

Für die Mitgliedsunternehmen des BVAP haben sich ver.di und der Arbeitgeberverband zudem auf einen Tarifvertrag für Auszubildende geeinigt, der allerdings nicht erstreckt werden kann. Ab Anfang kommenden Jahres sieht dieser Tarifvertrag je nach Ausbildungsjahr eine Vergütung zwischen 1.100 und 1.250 Euro monatlich vor. Im September 2022 steigen diese Beträge auf 1.250 bis 1.400 Euro. Hinzu kommen Regelungen zu Einsätzen vor und nach Unterrichtsphasen und Zuschlägen sowie eine Jahressonderzahlung, freie Tage zur Prüfungsvorbereitung und 28 Urlaubstage im Jahr.
Wir haben schon mehrfach (zuletzt Mitte August: "Altenpflege - warum die meisten Träger zu wenig bezahlen ...") auf die problematische Situation in der Altenpflege hingewiesen. Geringere Löhne und Arbeitsverdichtung anstelle einer persönlichen Betreuung bestimmen das Bild in einem zunehmend dem Profit verpflichteten, originär aber gemeinnützigen und sozialen Arbeitsfeld.

Es war dennoch fast zu erwarten: in einer ersten Pressemitteilung (Nr. 87/20) hat sich der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste e. V. (bpa) von dem gemeinsamen Bemühen, die Arbeitsbedingungen und Löhne in der Branche zu verbessern, distanziert. "Offenbar wollen ver.di und die AWO als treibende Kraft der BVAP die Welt in der Altenpflege retten, aber das Ergebnis von der Finanzierung durch Dritte abhängig machen. Das ist ein klassischer Vertrag zu Lasten Dritter." wird Bernd Meurer, Präsident des Verbandes, dort zitiert.

Ein interessantes Argument - das in der Konsequenz bedeutet, dass in keinem Sozialberuf mehr höhere Löhne oder Mindestbedingungen tarifiert werden dürfen. Denn überall, wo der Staat den verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf soziale Dienste erfüllt (Sozialstaatsprinzip - vgl. Art. 1, Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Grundgesetz) ist die Finanzierung der sozialen Dienste von öffentlichen Zuschüssen abhängig. Und bessere Löhne führen natürlich zu höheren Zuschüssen - die dann auch den Mitgliedsunternehmen der bpa zugute kommen würden. Oder geht es dem Präsidenten nicht um eine bessere Finanzierung, sondern um eine befürchtete Beeinträchtigung von Gewinnmargen?



Weitere Berichte zum Thema:
LabourNet Germany: "Die einen wollen Tariflöhne in der Altenpflege, die anderen die Arbeitgeber genau davor bewahren"

Weitere Blogbeiträge:
Zur Altenpflege
Zum Subsidiaritätsgrundsatz als Grundlage der staatlichen Refinanzierung von gemeinnützigen Trägern
darin u.a.:
- Gewinne statt Gemeinwohl
- Wieviel Wettbewerb verträgt die Solidarität?
- Flächentarife sind Planwirtschaft
- Hanebüchen oder blühend? Wer gibt den Standard vor ....

Zum Sozialstaatsprinzip
Bundeszentrale für politische Bildung

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