Samstag, 9. November 2019

30 Jahre Maueröffnung - nur die Kirchen sind anders (wirklich?)

vor dreißig Jahren viel die Mauer - und damit eine der Hindernisse, mit denen die beiden christlichen Kirchen die Ausnahme vom Betriebsverfassungsgesetz für sich forderten, ohne dass dies verfassungsrechtlich geboten wäre. Denn auch das "Betriebsrätegesetz" der Weimerer Zeit galt - bei gleicher Verfassungslage - selbstverständlich auch für die Kirchen und ihre Einrichtungen.

Die Ausnahme der kirchlichen Einrichtungen vom Betriebsverfassungsgesetz war also nicht verfassungsrechtlich gefordert, sondern insbesondere der deutschen Teilung geschuldet.

Zitat aus dem Schreiben des Rates der Evangelischen Kirche in   Deutschland  an  Bundeskanzler  Adenauer vom 12,06.1951 an Bundeskanzler Adenauer:
Nach den Erfahrungen der nationalsozialistischen Zeit und angesichts der Gefahren, die den räumlich über das Gebiet der Bundesrepublik hinausreichenden Religionsgesellschaften von totalitären Staaten drohen können, muss die Kirche auf dem uneingeschränkten Recht, den kirchlichen Dienst in freier, ihren Wesensgesetzen entsprechender Selbstverantwortung regeln zu können unbedingt bestehen. Das geplante Betriebsverfassungsgesetz ist ein Gesetz, das nicht alle Staatsbürger erfassen wird, sondern das in seiner Struktur im wesentlichen auf Regelung der Arbeitsverhältnisse in  wirtschaftlichen Betrieben abgestellt ist. Die Religionsgesellschaften unterscheiden sich grundsätzlich von wirtschaftlichen Betrieben. Jede Dienstleistung in der Kirche und in kirchlichen Einrichtungen ist daher anders geartet als die in einem wirtschaftlichen Betriebe.
Quelle ver.di Kircheninfo Nr. 24 S. 7 [8] ff

Heute wissen wir: auch ein kirchlicher Betrieb ist ein Betrieb. Zwischen kirchlichen oder kommunalen oder privaten Altenheimen, Kindertagesstätten oder Krankenhäusern besteht kein Unterschied.
Jede kirchliche Einrichtung im Bereich Gesundheit und Pflege arbeitet im Markt und zielt notwendig auf "schwarze Zahlen ab". Defizitäre Einrichtungen werden abgegeben, geschlossen oder verkauft. Uneigennützig arbeitet kein kirchlicher Betrieb mehr. Selbst Bildungshäuser der Bistümer müssen sich selber tragen - oder sie werden geschlossen.

Zumindest für die katholische Kirche ist die Anwendung des weltlichen Arbeits- und Sozialrechts zudem im universell geltenden Kirchenrecht (c. 1286 CIC) zwingend vorgeschrieben, soweit nicht die eigene Soziallehre dem entgegen steht. Das weltliche Recht nimmt diese Aspekte inzwischen aber deutlich mehr und konsequenter auf, als es die kircheneigenen Regelungen tun. Das kirchliche Arbeitsrecht ist zum reinen Selbstzweck verkommen, das wesentlich mehr Energie in seine Selbsterhaltung und die Verweigerung gewerkschaftlicher Sozialpartnerschaft steckt, als kirchenspezifisches Profil zu schärfen.

Objektive Gründe (sollte es sie wirklich jemals gegeben haben), die Kirchen von der Geltung des Betriebsverfassungsgesetzes oder der Personalvertretungsgesetze auszunehmen, können längst nicht mehr angeführt werden. Sogar die "Zugehörigkeit zur Dienstgemeinschaft" (von der die Kleriker der katholischen Kirche ohnehin ausgenommen sind) richtet sich inzwischen ausschließlich nach finanziellen Kriterien. 
Wenn das aber so ist, und sich die Kirchen mit ihrem eigenen Arbeitsrecht lediglich billige Wettbewerbsvorteile im Markt "erkaufen" - zu Lasten der eigenen Mitarbeiter*Innen und der Betreuten - dann wird es Zeit, diese unfaire Praxis zu beenden.
Wir erinnern an den Aufruf des Papstes an die Honoratioren der (und die) deutschen Kirche:

"Entweltlicht Euch".

Das muss nicht "sofort, also unverzüglich" sein - morgen reicht.

Siehe auch:
ver.di: Streitschrift zum kirchlichen Sonderweg im Arbeitsrecht

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