Bei der Frage, was wir dagegen unternehmen könnten, kommt er auch auf die fatale Rolle zu sprechen, die die kirchlichen Wohlfahrtsverbände mit ihrem 3. Weg hier spielen. Aktuell ist diese Frage allemal, wenn man die abgelaufene Tarifrunde im Bereich SuE betrachtet, in der Caritas und Diakonie zwar verbal, öffentlich und medial ihre Solidarität bekundet haben, aber es dabei belassen haben, statt sich an den Arbeitskämpfen auch real zu beteiligen.
In der aktuellen Tarifrunde TVöD 2016 läuft aktuell die Forderungsdiskussion. Beteiligt sind diejenigen, bei den auch die Fähigkeit und Bereitschaft da ist, sich gegebenenfalls an Arbeitskämpfen zu beteiligen. Auf Dauer ist vielleicht die Bereitschaft, das irgendwann durchgesetzte Ergebnis anschließend mit oder ohne Abstriche zu übernehmen, nicht mehr ausreichend.
Frage: Wie können wir uns hiergegen denn wehren? Was können die Beschäftigen tun? Und was wäre die Aufgabe der Gewerkschaften hierbei?
Prof. Wohlfahrt: Der weit überwiegende Anteil der im Sozialsektor Beschäftigten sind Frauen, die bislang einen sehr niedrigen gewerkschaftlichen Organisationsgrad aufweisen. Das hängt auch mit der gemeinnützigen Tradition sozialer Dienste in Deutschland zusammen, wo mit dem Bundesangestelltentarifvertrag als Einheitstarif, den alle Gliederungen der Wohlfahrtsverbände mehr oder weniger übernommen haben, für die Beschäftigten wenig Grund zu gewerkschaftlicher Organisierung gegeben war. Dies erweist sich in der gegenwärtigen Situation aber als beschäftigungspolitische Katastrophe: Einem zersplitterten Arbeitgeberlager steht ein nur gering gewerkschaftlich organisiertes und zudem nicht einheitlich handelndes Arbeitnehmerlager geben über.
Deshalb müssen Abwehrmaßnahmen gegenwärtig darauf gerichtet sein, das ordnungspolitische Chaos in diesem Sektor einzudämmen. Hierzu können beispielsweise Branchentarifverträge mit Allgemeinverbindlichkeitserklärung beitragen, die für alle Beschäftigten in einer Branche gelten und den Wettbewerb um niedrigere Personalkosten einzudämmen helfen. Zugleich müssen gewerkschaftliche Strategien darauf gerichtet sein, mehr Mitglieder aktiv zu organisieren. Es ist deshalb von besonderem Nachteil, dass die Kirchen und kirchlichen Verbände, die immer noch die weitaus überwiegende Anzahl von Personal im Sozialsektor beschäftigen, mit dem kirchlichen Arbeitsrecht das Streikrecht aushebeln dürfen *), weil sie an dem durch den Wettbewerb längst überholten Konzept einer vermeintlichen „Dienstgemeinschaft“ festhalten. Leider ist der Gesetzgeber hier nicht gewillt, den zeitgemäßen Anforderungen Rechnung zu tragen. Umso wichtiger ist die Erhöhung des gewerkschaftlichen Organisationsgrads bei kirchlichen und nicht-kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, um auch in diesem Bereich mehr Druck ausüben zu können.
Hervorhebung von uns.
Quelle: Die Grundbedürfnisse werden mehr und mehr zum Geschäft. Interview von Jens Wernicke mit Prof. Norbert Wohlfahrt - www.nachdenkseiten.de
*) Anmerkung:
Wir brauchen hier nicht zu betonen, dass ein kirchengesetzliches Streikverbot nicht möglich ist - und die Voraussetzungen für einen Streikverzicht auf dem "Dritten Weg" nicht erreicht werden können.
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