behauptet der katholischer Sozialethiker Prof. Dr. Gerhard Kruip (er lehrt Christliche Anthropologie und Sozialethik an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz) in einem Artikel auf https://www.katholisch.de/aktuelles/aktuelle-artikel/kann-die-kirche-in-moralischen-fragen-dazulernen und bringt dazu einige Beispiele:
Papst Franziskus betont in seinem nachsynodalen Schreiben von 2016, Amoris laetitia, dass Gott das "frohe Genießen des Menschen" liebe (AL 149). Deshalb dürfe man "die erotische Dimension der Liebe keineswegs als ein geduldetes Übel oder als eine Last" verstehen, sondern müsse sie als ein "Geschenk Gottes" betrachten (AL 152). Dies steht durchaus in einer gewissen Spannung zu Aussagen aus dem Katechismus der Katholischen Kirche von 1992, wo in Nr. 2351 der Genuss der geschlechtlichen Lust als "ungeordnet" und damit "unkeusch" angesehen wird, "wenn sie um ihrer selbst willen angestrebt" wird.
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Solche Lernfortschritte hat es übrigens in der Geschichte immer wieder gegeben. Jüngstes Beispiel ist die moralische Verurteilung der Todesstrafe, die in der früheren kirchlichen Tradition bis zum Katechismus von 1992 fast durchgängig als legitim angesehen worden war. Wir brauchen aber auch nur den "Syllabus errorum" von 1864 mit seinen Verurteilungen nachzulesen, um zu der Einsicht zu gelangen, dass die Kirche seither – Gott sei Dank! – erheblich dazugelernt hat. Sonst würde sie noch heute Presse- und Meinungsfreiheit verurteilen, weiterhin den Anspruch erheben, die katholische Religion müsse Staatsreligion sein, und behaupten, außerhalb der römisch-katholischen Kirche gebe es kein Heil. Aus heutiger Sicht ist der Syllabus errorum keine Liste von Zeitirrtümern, sondern zu großen Teilen eine Liste von Irrtümern, denen die Kirche damals unterlegen ist und die sie inzwischen korrigiert hat.
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Die heute selbstverständlich zur kirchlichen Sozialverkündigung gehörenden Menschenrechte wurden erst von Johannes XXIII. in "Pacem in terris" (1963) anerkannt. Besonders deutlich ist der Fortschritt beim Recht auf Religionsfreiheit, das durch die Konzilserklärung "Dignitatis humane" erst 1965 kirchlicherseits akzeptiert wurde. In all diesen Prozessen hat die Kirche moralische Lernprozesse der Gesellschaften, in denen sie lebt, mit einem gewissen Zeitverzug nachvollzogen.
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Jetzt fehlt nur noch die Erkenntnis, dass das Koalitionsrecht mit allen seinen Facetten wie Tarifverträgen und dem Streikrecht auch zu den Menschenrechten gehören, die für alle Menschen und damit auch für kirchliche Mitarbeiter*Innen gelten. Und dabei steht das mit dem Streikrecht sogar so schon im Katechismus verankert - und ist in den Sozialenzykliken ausdrücklich bekräftigt.
Aber es ist halt ein weiter Weg von der verbalen Anerkennung des päpstlichen Lehramtes zur Umsetzung.
Vor allem, so scheint es, in Deutschland.
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