Im Kern des Falls stand ein Domkantor, der mit seinem Ehemann den Kinderwunsch durch Leihmutterschaft erfüllen wollte. Nachdem dieser Plan intern kommuniziert wurde, verzichtete der Arbeitgeber zunächst auf disziplinarische Maßnahmen, also auch auf die Möglichkeit einer Kündigung.berichtet der Deutsche Anwaltverein unter Bezug auf das Landesarbeitsgericht Hannover, Urteil vom 27. Juni 2023 (AZ: 10 Sa 762/22) und weist zurecht auf den Urteilstenor des Landesarbeitsgerichts hin:
Später kündigte der Arbeitgeber dennoch das Arbeitsverhältnis, als der Domkantor seine Pläne revidierte.
Das Landesarbeitsgericht in Hannover stellte fest, dass der Arbeitgeber durch die Erklärung, es würden keine "dienstrechtlichen Konsequenzen" gezogen, rechtlich an seinen Verzicht auf das Kündigungsrecht gebunden ist. Dies hatte zur Folge, dass die spätere Kündigung nicht mehr wirksam war.
Die Entscheidung betrifft mehrere Problembereiche des kirchlichen Sonderrechts:
1. Ist eine homosexuelle Partnerschaft in einem letztendlich liturgischen Beruf ein Kündigungsgrund?
2. Ist eine "Leihmutterschaft" bei Arbeitnehmern in kirchlichen Einrichtugnen ein Kündigungsgrund! (beides hatte das Arbeitsgericht noch abgelehnt)
Das Rbeitsgericht hat sich einer Entscheidung in diesen Fragen verwehrt - und stattdessen einen Königsweg gefunden, der für alle Arbeitsverhältnisse auch in kirchlichen Einrichtungen bindend ist: wer auf ein (ggf. mögliches) Kündigungsrecht ausdrücklich verzichtet, kann es sich hinterher nicht mehr anders überlegen. Der Vertrauensschutz ist da gegenüber - auch möglicherweise kirchlichen Loyalitätsanforderungen, die ja sogar verfassungsrechtlich begründet werden - eindeutig höherrangig.
Amtlicher Leitsatz
1.
Der Kündigungsberechtigte kann sowohl bei einer außerordentlichen als auch bei einer ordentlichen Kündigung auf ein auf bestimmte Gründe gestütztes und konkret bestehendes Kündigungsrecht verzichten. Der Verzicht kann ausdrücklich oder konkludent durch eine empfangsbedürftige Willenserklärung des Kündigungsberechtigten erfolgen.
2.
Das Kündigungsrecht erlischt, wenn der Kündigungsberechtigte wegen des ihm bekannten Kündigungssachverhaltes eine Abmahnung ausspricht und sich die für die Kündigung maßgebenden Umstände nicht später geändert haben.
3.
Bei einem Verzicht auf die Kündigung ändert sich die Rechtslage hinsichtlich eines vorhandenen Kündigungsgrundes nicht. Der Verzichtende legt sich aber gegenüber dem Vertragspartner fest, aus einer ihm günstigen Tatsachenlage keine Konsequenzen zu ziehen. Eine Kündigung trotz Verzichts ist ein Fall unzulässiger Rechtsausübung iSv. § 242 BGB in der Form des Verbotes widersprüchlichen Verhaltens.
4.
Zur Rechtfertigung einer späteren Kündigung kann der Arbeitgeber auf solche Gründe nur dann unterstützend zurückgreifen, wenn weitere kündigungsrechtlich erhebliche Umstände eintreten oder nachträglich bekannt werden.
Das ist die arbeitsrechtliche Seite des Verfahrens. In der Sachverhaltsdarstellung des LAG findet sich aber noch ein weiterer Punkt, der nicht unberücksichtigt bleiben kann. Wir zitieren:
Mit E-Mail vom 24. Februar 2022 (Bl. 91 d.A.) teilte der Kläger gegenüber dem Landesbischof, Frau OLKR B. und Frau G. (wohl die Dompredigerin und an leiternder Stelle tätig - denn aus welchem Grund sollte diese sonst informiert werden) mit, er habe den angesprochenen Prozess abgebrochen, weil er Schaden von seiner Person und seiner Kirche abwenden wolle. Am Folgetage teilte Frau G. ca. 500 oder 600 Adressaten aus dem Kreis der Domsingschule durch elektronische Post mit, der Kläger und sein Ehemann hätten in Kolumbien einen Vertrag mit einer Klinik abgeschlossen, bei dem es um zwei Kinder gehe, die durch In-vitro-Fertilisation gezeugt und von zwei Leihmüttern ausgetragen würden. Es handele sich bei der gewählten Leihmutterschaft um eine kommerzielle Form; sowohl die beteiligten Frauen als auch die Kinder würden zu Waren degradiert und dadurch in ihrer Menschenwürde beschädigt. Außerdem werde die schwache Position von Frauen in einem Schwellenland ausgenutzt; Frauenrechte würden untergraben.Da fragen wir uns doch: wie schaut das mit der verfassungsrechtlich geschützten Würde und dem Persönlichkeits- (Daten-)Schutz des Kirchenmusikers aus?
Wir sind gespannt, ob sich hieraus noch eine weitere Entscheidung eines anderen Gerichts ergibt.
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