Zu Recht?
Wir haben die verfassungsrechtlichen Grundlagen des behaupteten kirchlichen Selbstbestimmungsrechts schon mehrfach angesprochen. Wir brauchen also nur daran zu erinnern, dass die Kirchen
- kein Selbstbestimmungsrecht haben sondern lediglich ein Recht zur Selbstordnung (= strukturelle Organisation) und Selbstverwaltung (Art. 140 GG i.V. Art. 137 Abs. 3 WRV)
- dass diese Regelungsbefugnis nur für die eigenen Angelegenheiten (res sacra) und nicht für den Bereich der gemeinsamen (res mixta) oder staatlichen Angelegenheiten besteht (Art. 140 GG i.V. Art. 137 Abs. 3 WRV) - während das Arbeitsrecht schon wegen der Beschäftigung von säkulären Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern anderer Religionszugehörigkeit nicht mehr zu den nur eigenen, internen Angelegenheit der Kirche zählt,
- dass diese Regelungsbefugnis nur in den "Schranken der für alle geltenden Gesetze" möglich ist (Art. 140 GG i.V. Art. 137 Abs. 3 WRV) und
- dass diese Regelungsbefugnis durch das fortgeltende Reichskonkordat (Art. 123 Abs. 2 GG) für die katholische Kirche nur hinsichtlich der eigenen Mitglieder (Art. 1 Abs. 2 RKonk) besteht, was aber aufgrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, C.-I Nr. 2 im Urteil vom 14.12.1965 - 1 BvR 413/60) auch für die evangelischen Kirchen wie auch für alle anderen Religionsgemeinschaften gilt.
Auf Grundlage der überdehnt beanspruchten kirchlichen "Selbstbestimmungsrechte" schaffen die Kirchen eigenständige Regelungen, die für alle MitarbeiterInnen und Mitarbeiter - unabhängig von deren religiöser Zugehörigkeit - gelten sollen.
Auf Grundlage der überdehnt beanspruchten kirchlichen "Selbstbestimmungsrechte" haben die Kirchen gegen das europaweit geltende Diskriminierungsverbot (in Deutschland: AGG) verstoßen und insbesondere Benachteiligungen ... wegen ... des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, ... oder der sexuellen Identität normiert (vgl. Art. 6 und 7 der Grundordnung des kirchlichen Dienstes - GrO der katholischen Kirche). Was danach als "kirchenfeindliches Verhalten" zu verstehen ist, wollen die Kirchen selbst im Einzelfall festlegen. Ist dann ggf. schon das Eintreten für gewerkschaftliche Rechte oder das Tragen eines Kopftuches in einem katholischen Altenheim oder Kindergarten ein "kirchenfeindliches Verhalten"?
Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat vor, die so genannten besonderen Loyalitätspflichten an Arbeitnehmer*innen zu verändern.
Die ver.di-Stellungnahme zum jetzt vorliegenden Entwurf der Mitarbeits-Richtlinie der Evangelische Kirche findet ihr hier im Artikel.
Auf Grundlage der überdehnt beanspruchten kirchlichen "Selbstbestimmungsrechte" verweigern die Kirchen den Abschluss von Tarifverträgen und die Kooperation mit Gewerkschaften (vgl. Art. 9 Abs. 3 GrO). Sie haben stattdessen ein schwer übersichtliches Netzwerk von "Allgemeinen Geschäftsbedingungen" geschaffen (vgl. Rd.Nr. 21 im BAG Urteil vom 17. 11. 2005 – 6 AZR 160/05 = lexetius.com/2005,3737) zu den AVR Caritas). Das ist zunächst formal nicht zu beanstanden. Jeder Arbeitgeber kann den Abschluss von Tarifverträgen verweigern. Er macht damit zunächst nur vom Recht der "negativen Koalitionsfreiheit" Gebrauch. Er muss dann aber zugleich mit einem gewerkschaftlichen Arbeitskampf bis hin zum "Erzwingungsstreik" rechnen.
Die Kirchen haben nun zudem ein "kirchengesetzliches Streikverbot" erlassen, dessen Unwirksamkeit längst festgestellt ist (vgl. Prof. Olaf Deinert HBS Ausgabe 05/2013 - weil u.a. die Voraussetzungen des BAG, Urteils vom 20.11.2012, 1 AZR 179/11 - hier bei Hensche - für ein Streikverbot durch die Kirchen nicht erfüllt werden).
Die Übergriffigkeit kirchlicher Institutionen geht so weit, dass das Kirchliches Arbeitsgericht Augsburg im Urteil v. 29.06.2022 – 2 MV 4/22 die individuelle Vereinbarung zur Anwendung eines Tarifvertrages als unzulässig bezeichnet hat. Dieses Urteil war und ist aus staatlicher Sicht schlicht rechtswidrig. Es verstößt gegen § 305 b BGB. Es ist darüber hinaus auch verfassungswidrig. Denn es verbietet mit der genauso verfassungswidrigen Regelung von Art. 7 Abs. 1 der Grundordnung (GrO) allen kirchlichen Einrichtungen und den dort tätigen MitarbeiterInnnen, von der Koalitionsfreiheit des Artikel 9 Grundgesetz (GG) umfassend Gebrauch zu machen.
Auf Grundlage der überdehnt beanspruchten kirchlichen "Selbstbestimmungsrechte" verweigern die Kirchen die Geltung von Betriebsverfassungsgesetz und Personalvertretungsgesetzten selbst bei gewerblich tätigen Betrieben in kirchlichem Eigentum. Sie bringen stattdessen ein eigenes Mitarbeitervertretungsrecht mit deutlich geringeren Mitwirkungsmöglichkeiten zur Anwendung ("Mitarbeitervertretungsgesetz" - MVG bei der evangelischen Kirche, "Mitarbeitervertretungsordnung" - MAVO nach Art. 8 GrO bei der katholischen Kirche).
Auf Grundlage der überdehnt beanspruchten kirchlichen "Selbstbestimmungsrechte" verweigern die Kirchen den Abschluss von Tarifverträgen und die Kooperation mit Gewerkschaften (vgl. Art. 9 Abs. 3 GrO). Sie haben stattdessen ein schwer übersichtliches Netzwerk von "Allgemeinen Geschäftsbedingungen" geschaffen (vgl. Rd.Nr. 21 im BAG Urteil vom 17. 11. 2005 – 6 AZR 160/05 = lexetius.com/2005,3737) zu den AVR Caritas). Das ist zunächst formal nicht zu beanstanden. Jeder Arbeitgeber kann den Abschluss von Tarifverträgen verweigern. Er macht damit zunächst nur vom Recht der "negativen Koalitionsfreiheit" Gebrauch. Er muss dann aber zugleich mit einem gewerkschaftlichen Arbeitskampf bis hin zum "Erzwingungsstreik" rechnen.
Die Kirchen haben nun zudem ein "kirchengesetzliches Streikverbot" erlassen, dessen Unwirksamkeit längst festgestellt ist (vgl. Prof. Olaf Deinert HBS Ausgabe 05/2013 - weil u.a. die Voraussetzungen des BAG, Urteils vom 20.11.2012, 1 AZR 179/11 - hier bei Hensche - für ein Streikverbot durch die Kirchen nicht erfüllt werden).
Die Übergriffigkeit kirchlicher Institutionen geht so weit, dass das Kirchliches Arbeitsgericht Augsburg im Urteil v. 29.06.2022 – 2 MV 4/22 die individuelle Vereinbarung zur Anwendung eines Tarifvertrages als unzulässig bezeichnet hat. Dieses Urteil war und ist aus staatlicher Sicht schlicht rechtswidrig. Es verstößt gegen § 305 b BGB. Es ist darüber hinaus auch verfassungswidrig. Denn es verbietet mit der genauso verfassungswidrigen Regelung von Art. 7 Abs. 1 der Grundordnung (GrO) allen kirchlichen Einrichtungen und den dort tätigen MitarbeiterInnnen, von der Koalitionsfreiheit des Artikel 9 Grundgesetz (GG) umfassend Gebrauch zu machen.
Dass dieses Handeln zumindest für die katholische Kirche auch im Widerspruch zu den päpstlichen Sozialenzykliken und zum weltweit geltenden universellen Kirchenrecht steht, haben wir auch schon mehrfach deutlich gemacht.
Darum:
Arbeitsrecht ist vor allem Arbeitnehmerschutzrecht. Gesetzliche Ausnahmen und Sonderregeln nützen vor allem kirchlichen Arbeitgebern. Unsere Kolleg*innen in kirchlichen Betrieben verdienen die gleichen Rechte wie in nicht konfessionellen Betrieben. Jetzt unterzeichnen und weiterleiten: https://www.openpetition.de/petition/online/gleiches-recht-fuer-kirchlich-beschaeftigte
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