Freitag, 13. Juni 2014

Hanebüchen oder blühend? Wer gibt den Standard vor ....

Anonym hat gestern einen neuen Kommentar zu unserem Post >Hanebüchen oder blühend? Wohlfahrt intern bringt neuen Tarifvergleich: "Diakonie vor allen - Warum die Konkurrenz nicht mithalten kann" < hinterlassen:
Hallo,
ihr beanstandet: "Der TVöD wurde in die Wertung ohne Angabe von Gründen nicht mit aufgenommen."

Nennt mir doch mal in Süddeutschland ein paar Altenhilfeeinrichtungen in kommunaler Trägerschaft, die den TVöD noch 1:1 umsetzen. Die mir von früher bekannten sind sämtlich vom Markt verschwunden, haben sich also aus dem TVöD schleichend verabschiedet. Wo gibt es denn bitte den so schön als "Standard" beschriebenen TVöD im öffentlichen Dienst bei sozialen Einrichtungen??
Die Frage ist gut. Ich möchte Sie zum Anlass nehmen, unsere Reihe am Beispiel der Altenheime um einen weiteren Punkt zu erweitern.

WER GIBT DEN STANDARD VOR ?


A) Erst einmal - etwas Statistik:
Zunächst: ja, es gibt kommunale Altenheime. Nach "Wikipedia" sollen sich die Heime aufteilen zwischen
= öffentlichen (staatlichen - gemeint sind wohl kommunalen) Trägern mit 10 % aller Einrichtungen
= freigemeinnützigen Trägern mit etwa 30 - 60 % aller Einrichtungen
= Stiftungen, denen ein Gewinnstreben untersagt ist, mit etwa 1 - 5 % aller Einrichtungen
= privaten Trägern mit Kleinbetrieben, mit etwa 15 % aller Einrichtungen, und
= privaten Trägern mit mehreren Betrieben (Ketten) ebenfalls mit etwa 15 % aller Einrichtungen.

Die angegebenen Spannen (30 bis 60 %) zeigen schon, wie ungenau die öffentlich zur Verfügung stehenden Statistiken sind.
Aber "Tante Wiki" nennt auch konkrete Zahlen. Wikipedia schreibt dazu: "Die Zahl der Pflegeheime, als wichtigste Heimform, ist in Deutschland von 2003 auf 2005 um sieben Prozent auf 10.424 Heime gestiegen". Das ist einmal eine Zahl.

Der Bundesverband der kommunalen Senioren- und Behinderteneinrichtungen e.V., dem allerdings bei Weitem nicht alle kommunalen Einrichtungen angeschlossen sind, gibt auf seiner Homepage einen Mitgliederbestand von "Weit mehr als 500 Einrichtungen" an. Diese, "verteilt über die gesamte Bundesrepublik, sorgen für eine lebenswürdige Versorgung von über 100.000 hilfs- und pflegebedürftigen Mitbürgern."
"Mindestens 500" von aufgerundet 10.500 Einrichtungen würde einen Anteil von unter 5 % ergeben.

Die "Neue Caritas" führte ergänzend aus:
Bundesweit werden 15 Prozent der Pflegebedürftigen in Caritas-Einrichtungen versorgt – von einem wachsenden Anteil an Teilzeitkräften.
...
Bundesweit gab es im Dezember 2007 knapp 11.000 Pflegeheime, davon waren 1497 Caritas-Pflegeheime (13,6 Prozent). Die Anzahl der Caritasheime ist seit 2001 kontinuierlich gestiegen, im Jahr 2005 lag sie noch bei 1422 (s. auch neue caritas Heft 15/07, S. 28).
...
Nach der Caritas-Zentralstatistik gab es zum 31.12.2010 insgesamt 3.042 Einrichtungen der Altenhilfe (davon knapp 2.000 stationäre Einrichtungen) bei caritativen Trägern, für knapp 132.000 Plätze (über 128.000 in stationären Einrichtungen) mit nicht ganz 108.000 Mitarbeiterinnen auf knapp 69.000 Vollzeitstellen (101.00 Beschäftigten auf knapp 66.000 Vollzeitstellen in stationären Einrichtungen). Das wären also mehr Einrichtungen und auch mehr Plätze als bei den Kommunen.

Das führt auf den ersten Blick zur Frage: "Warum sollen die Kommunen den Tarifstandard vorgeben - und nicht etwa die Caritas?"

Hanebüchen oder blühend?

B) Ursache Subsidiaritätsgrundsatz:
Die Ursache für diese starke Gewichtung ist der Subsidiaritätsgrundsatz.
Der Staat soll sich bei Einrichtungen der "Daseinsvorsorge" auch und vor allem freigemeinnütziger Träger bedienen. So soll etwa die Bildung von "Erziehungsmonopolen" wie bei Kindertagesstätten in der ehemaligen DDR vermieden werden. Das hat dann aber auch Folgen.
Der bekannte Kirchenrechtler Joseph Listl führt dazu aus:
Karitas ist ... eine elementare Äußerung der christlichen Religion. ...
Andererseits begegnen die Kirchen auf dem sozial-karitativen Sektor dem Staat, der nach dem Sozialstaatsprinzip verpflichtet ist, für eine gerechte Sozialordnung zu sorgen. Hierbei ergeben sich schwierige Abgrenzungsprobleme. ... Die grundsätzlich beste und letztlich allein befriedigende Lösung für diese Abgrenzungsprobleme bildet der aus dem Wesen des freiheitlich-demokratischen Rechtsstaats abgeleitete Subsidiaritätsgedanke, der, wie E.Friesenhahn hervorhebt, einen >Grundsatz des objektiven Verfassungsrechts< darstellt, kraft dessen der Staat Einrichtungen finanziell zu fördern hat, die ihn unter Einsatz eigener Mittel von Aufgaben entlasten, die er andernfalls allein erfüllen und finanzieren müßte, und zwar bis zu dem Grad, daß die Träger der freien Wohlfahrtseinrichtungen den Standard erreichen können, den der Staat nach den jeweiligen Umständen für notwendig erachtet und erforderlichenfalls auch bei den von ihm selbst getragenen Einrichtungen verwirklicht.
Quellen: "Grundriß des nachkonziliaren Kirchenrechts", Pustet-Verlag Regensburg, § 91, S. 871 - 827
ebenso in "Handbuch des katholischen Kirchenrechts", Pustet-Verlag Regensburg, S. 1068
(Entschuldigung für den langen Schachtelsatz. Aber der steht da wirklich so).

C) Folgerungen aus dem Subsidiaritätsgrundsatz:
Wenn also - wie Listl unter Bezug auf Friesenhahn ausführt - der Staat freigemeinnützige Träger bezuschusst, damit sie in ihren Einrichtungen den Standard der öffentlichen Einrichtungen erreichen können, dann ergibt sich um Umkehrschluß doch die Folgerung, dass die freigemeinnützigen Träger diesen Standard auch garantieren müssen. Und das fängt bei "A" wie Arbeitsbedingungen an und geht über "U" wie Urlaub bis "V" wie Vergütung und "W" wie Wochenarbeitszeit des Personals, denn gute Arbeitsbedingungen und ethisch verantwortliche Löhne sind für die Qualität der Einrichtung ebenso wichtig wie die Erholung der Beschäftigten. Vielleicht sogar wichtiger, als überbordende Dokumentationsbürokratie.

Damit ist also zugleich begründet, dass der Staat über seine Einrichtungen den "Referenztarif" vorgeben muss. Und das ist der TVöD und nicht irgendeine Regelung, die private Träger über Haustarifverträge oder Wohlfahrtsverbände über "allgemeine Geschäftsbedingungen" oder auch "Mindestlöhne" vorgeben wollen.

D) Heutige Probleme:
Wikipedia (a.a.O). weist auch auf das essentielle Problem hin:
In der Vergangenheit wurden Altenheime oft mit Überschüssen im Verhältnis zum Investitions-Aufwand und -Risiko betrieben. Allerdings weigern sich die Kostenträger inzwischen in den so genannten Pflegesatzverhandlungen, tarifliche Vorgaben bei der Personalkostenkalkulation anzuerkennen. Die Folge ist, dass freigemeinnützige oder kommunale Altenheime, die in der Regel weiterhin Tariflöhne zahlen, heute oft erhebliche Einbußen hinnehmen müssen, die bis zur Unterdeckung reichen können. Private Träger haben diese Probleme dagegen meist nicht, da sie in der Bezahlung ihrer Mitarbeiter im Regelfall tariflich nicht gebunden sind bzw. Haustarifverträge ausgehandelt haben.
Stimmt. Wer heute noch tarifliche Löhne bezahlt, hat Refinanzierungsprobleme. Die "Dumpinganbieter"(McPflege) setzen auch tariftreue Einrichtungen "unter Druck". Der Subsidiaritätsgrundsatz wird in der logischen Konsequenz, die Listl und Friesenhahn vorgeben, längst nicht mehr eingehalten.

An die Stelle des Subsidiaritätsgrundsatzes ist die Kommerzialisierung der Daseinsvorsorge getreten.

E) Lösungsmöglichkeit:
Ver.di versucht, den daraus folgenden ruinösen Kostenwettbewerb zu beenden. Und das geht mit den derzeitigen gesetzlichen Vorgaben nur mit einem "allgemein verbindlichen Tarifvertrag" nach dem Tarifvertragsgesetz (§ 5). Dass "die Politik" den politisch gewollten Kostenwettbewerb auf anderem Wege beendet, halte ich - mit Verlaub - für illusorisch. Der "allgemein verbindliche Tarifvertrag" verlangt aber, dass mindestens 50 % der Beschäftigten der jeweiligen Branche "tarifgebunden" sind. Das geht also nicht mit Haustarifverträgen, oder "Allgemeinen Geschäftsbedingungen". Und das geht nicht ohne Caritas und / oder Diakonie.

Damit würde dann auch die Grundlage für eine entsprechend auskömmliche Refinanzierung geschaffen. Und weil bei einem solchen "allgemein verbindlichen Tarifvertrag" auch "McPflege" verpflichtet ist, sein Personal entsprechend zu vergüten, würde das "mehr in den öffentlichen Haushalten" dann auch dem Personal, den Betreuten, Patienten und deren Angehörigen zugute kommen - und nicht den "Kampfkassen" der gewinnorientierten Anbieter und deren Aktionären.

Mit anderen Worten: ver.di versucht, die Probleme so zu lösen, wie es der katholischen Soziallehre entspricht.

Wer in dieser Situation noch auf der "Konkurrenz der Wege" beharrt, der muss (nicht nur mir) erklären, warum er die mit dieser Konkurrenz einhergehenden prekären Arbeitsverhältnisse billigend in Kauf nimmt. Und das haben die Juristen, die mit der "Dienstgemeinschaft" einen historisch vorbelasteten Begriff "theologisch argumentativ vertreten", bisher nicht geschafft.

3 Kommentare:

  1. Da bisher Caritas AVR die TV öD Tarife auch im Altenheimbereich übernommen haben gelten sie als gesetzt. Hier übernimmt Caritas die Stelle als Marktführer ein. Es fehlt noch am Bewustsein und den Mut das soziale Arbeit diesen Preis hat. Um die Tarifsteigerungen unabhängig wie beim TVöD zu verhandeln fehlt es an Druckmöglichkeiten welche in kirchlichen Tariffindungssystemen bewust nicht vorgesehen sind. Vielleicht helfen mutige Vermittlungsauschüsse weiter.

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  2. Lieber Helmut,

    es geht gerade NICHT um eine "Marktführung". Dieser Begriff setzt schon voraus, dass es eine Kommerzialisierung der Daseinsvorsorge geben soll. Wer in diesem Zusammenhang von "Markt" und "Marktführung" spricht, der unterstellt schon, dass die Daseinsvorsorge kommerzialisiert ist. Mit allen "Nebenerscheinungen" wie Kostenwettbewerb und Gewinnabführung an Aktionäre, die ein regulärer Markt mit sich bringt.
    In der Sozialbranche findet aber ein regulärer Markt gar nicht erst statt. Im "sozialwirtschaftlichen Dreieck" zwischen Leistungsempfänger (Alte und Kinder, Behinderte, Patienten), Leistungserbringer (Träger der Einrichtung) und Leistungsbezahler (öffentliche Hand, Krankenkassen) ist lediglich ein "Kostenmarkt" zwischen Leistungserbringer und Leistungsbezahler entstanden.
    Die Leistungsempfänger sind bei diesem "Markt" außen vorgehalten. Fragen der Qualität (die für die Leistungsempfänger von Bedeutung wären) haben allenfalls einen rudimentären Einfluss. Die Dokumentationswut, die zum Ausgleich durch die refinanzierende Behörde ausgelöst wird, ist für einen Qualitätswettbewerb nur ein magerer Ersatz.

    Es geht vielmehr darum, dass der "Sozialstaat" aus dem "Sozialstaatsprinzip" den Mindeststandard vorgibt, der auch von den subsidiär tätigen freigemeinnützigen Wohlfahrtseinrichtungen eingehalten werden muss. DAFÜR gibt der Staat eine entsprechende Refinanzierung.
    Und dieser Standard soll nicht nur - wie ich in einem anderen Kommentar schon ausgeführt habe - für die Qualität der Matratzen gelten. In der Dienstleistungsbranche geht es ganz wesentlich um die Qualität des Personals. Und diese Qualität steht und fällt mit den Grundzügen der Arbeitsvertraglichen Regelungen - Arbeitsbedingung, Arbeitszeit (Zeit für die Patienten einerseits und Zeit zur Erholung andererseits) usw. usw..

    Der Staat leistet seinen Zuschuss, DAMIT die freien Träger den vom Staat bei eigenen Einrichtungen als notwendig erachteten Mindeststandard ebenfalls erreichen. Dann müssen die freien Träger diesen Zuwendungszweck aber auch einhalten, also die Mindeststandards garantieren.

    In dem Zusammenhang stellt man sich auch immer wieder die Frage, ob die Einrichtungen der Daseinsvorsorge wirklich kommerzialisiert werden müssen. Ich habe da meine großen Zweifel.

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  3. So - und jetzt noch (nur zur Abrundung) die Angaben des Statistischen Bundesamtes (Pflegestatistik 2011, Ländervergleich - Pflegeheim):

    Bundesweit gibt es insgesamt 12.354 Pflegeheime, davon 635 öffentliche (gut 5 %) und 6.721 freigemeinnützige sowie rd. 5.000 Private.
    54 % sind also in freigemeinnütziger Trägerschaft (z.B. AWO, BRK, CARITAS, DIAKONIE, DRK, Paritätischer Wohlfahrtsverband).
    In Bayern gibt es insgesamt 1.704 Pflegeheime, davon 165 öffentliche (knapp 10 %), und 962 freigemeinnützige.

    Die freigemeinnützigen Heime sind besonders stark im Saarland (68 %) sowie in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg (jeweils 67 %) vertreten. Die Privaten weisen die höchsten Anteile in Schleswig-Holstein und Niedersachsen (67 % und 59 %) auf, also im Norden des alten Bundesgebietes.
    Die öffentlichen Träger sind dagegen in Baden-Württemberg und Bayern (jeweils über 9 %) am stärksten vertreten, am schwächsten dagegen in Bremen und Hamburg (0 %).

    Es ist höchst interessant, eine Relation zwischen den Regionen der AK Caritas zu ziehen, in denen die Anpassung an den TVöD am schwierigsten ist, und den Bundesländern, in denen es die meisten Privaten bzw. die wenigsten Öffentlichen Träger gibt.
    Schon beim ersten Eindruck wird offenbar, dass mit zunehmendem Rückgang der öffentlichen Träger einerseits und Zunahme der privaten, am Gewinn orientierten Träger andererseits der Druck auf die Löhne massiv zunimmt.

    Wenn die Caritas und Diakonie tatsächlich ein Interesse an ethisch verantwortlichen Löhnen und guter Betreuungsqualität haben, dann müssten sie die hier skizzierte Folge des Subsidiaritätsgrundsatzes mit tragen und über eine Beteiligung an einem allgemein verbindlichen Tarifvertrag entsprechende Mindeststandards für die Arbeitsverhältnisse aller Beschäftigten in der Branche sicher stellen.

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