Montag, 15. Januar 2024

Wie im Vatikan gestreikt wurde ...

einen eher amüsanten Beitrag bringt aktuell das Domradio (Köln):
14.01.2024 Vatikanexperte gewährt Einblick in vatikanische Streikfälle
Vatikankapelle drohte mit Kommunistenhymne 
Dass Bauern, Spediteure und Lokführer streiken können, weiß nun jeder. Aber wie steht es um Streiks im Vatikan? Vatikanexperte Ulrich Nersinger erzählt von dem Beinahe-Protestmarsch auf Castel Gandolfo und einer musikalischen Drohung.
Diese Art von "Streik" würden wir in Deutschland eher unter der Rubrik "ziviler Ungehorsam" ablegen. Es ist phantasievoll, ja, aber nicht die Art von "Arbeitsverweigerung", die im deutschen Arbeitsrecht gemeinhin als "Streik" definiert wird.
Ulrich Nersinger (Vatikanjournalist und Buchautor), berichtet nun über "soziale Unruhen" im Vatikan:
... und zwar vor allem in den 1960er- und 70er-Jahren.
Da gab es einige Unstimmigkeiten wegen der Gehälter. Angestellte des Vatikan waren der Ansicht gewesen, dass ihre Gehälter doch einmal den Ansprüchen der Zeit angepasst werden müssten. Das geschah aber nicht. So kam es dann zu einer kleinen Reihe sozialer Unruhen.
Viele der Angestellten waren unterbezahlt und forderten zu Recht eine finanzielle Besserstellung. Dementsprechend gab es dann etwa einen halbstündigen Warnstreik in der Druckerei der Vatikanzeitung L'Osservatore Romano, dem sich dann auch einige Redakteure anschlossen.
Im September streikten auch ihre Kollegen von der Tipografia Poliglotta Vaticana, der Vatikanischen Druckerei, drei Stunden lang.
Der außergewöhnlichste Fall war wohl jener der Päpstlichen Musikkapelle. Auch die wollte höhere Gehälter und drohte dann bei einem Staatsempfang oder bei einem Staatsbesuch, die Internationale zu intonieren.
Zu den Reformplänen von Paul VI. gehörten notwendige Verbesserungen unter anderem bei den Päpstlichen Garden. Aber seltsamerweise betraf das nicht die Besoldung der Gendarmen. Deshalb gab es dann einiges an Unruhe.
Schließlich hat man sich dazu entschieden, den Gendarmen mit einer Gratifikation zu vertrösten, sodass sie mal einen Ausflug machen können. Das hat die Päpstliche Gendarmerie natürlich nur umso mehr empört.
Schlussendlich hat sie dann sogar mit einem Protestmarsch zur Sommerresidenz des Papstes, also auf Castel Gandolfo, gedroht.
...
Wir verweisen auf diesen doch eher amüsant-skurrilen Beitrag, weil es zum einen zeigt, wie trotz eines behaupteten Streikverbotes phantasievolle Aktionen geplant werden können. Zum anderen aber auch, weil darin sowohl die Existenz einer Gewerkschaft im Vatikan - aber auch gleichzeitig die Unglaubwürdigkeit der kirchlichen Soziallehre durch die eigene Praxis dokumentiert wird:
... es gibt zwar mittlerweile eine Gewerkschaft, aber man kann sich vorstellen, dass der Spielraum einer Gewerkschaft in einem Staat, der nicht demokratisch ausgerichtet ist, doch sehr begrenzt ist.
Vor allen Dingen zeigt sich: Die Päpste haben seit Leo XIII. eine große Anzahl von Sozialenzykliken erlassen und immer wieder eine soziale und gerechte Bezahlung von Arbeitern eingefordert. Das war im Vatikan selbst dann aber wiederum nicht immer so. Da haben wir auch heute noch einige Probleme: ...
Dass - nebenbei bemerkt - das Narrativ vom Streikverbot im kirchlichen Dienst wieder einmal verbreitet wird, sei hier nur eine Randbemerkung. Das Recht der Kirche zur Selbstordnung und Selbstverwaltung besteht nur "im Rahmen der für alle geltenden Gesetze". Und das Koalitionsrecht aus Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz, das das Streikrecht mit einschließt, gilt selbstverständlich auch für kirchliche Mitarbeitende. Daran können die verqueren Bauchaufschwünge kirchennaher Rechtfertigungsjuristen nichts ändern, wie die höchstrichterliche Rechtsprechung zum "Streikrecht im Dritten Weg" belegt (wir berichteten).

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