Dienstag, 2. Januar 2024

Gedanken zum Anfang des Kalenderjahres - Teil 1: Kirchen und ihre selbst verursachten Krisen

In den letzten Tagen waren die Medien wieder voll mit Reflektionen, was denn im vergangenen Kalenderjahr so alles passiert ist. N-TV berichtet
"Unser Land wird säkularer"
Bischofskonferenz beklagt Bedeutungsverlust der Kirchen
...
"Nur mehr 48 Prozent der Bevölkerung in unserem Land gehören einer der beiden großen Kirchen an", fasste Bätzing zusammen. .... Nur noch vier Prozent der katholischen und sechs Prozent der evangelischen Gläubigen geben in der Studie an, ihrer Kirche eng verbunden zu sein. "Das Vertrauen, vor allem in die katholische Kirche, ist enorm gesunken", räumte Bätzing ein. "Und beinahe die Hälfte der Katholikinnen und Katholiken denkt über einen Kirchenaustritt nach, nur noch ein Drittel schließt ihn grundsätzlich aus. Solche Entwicklungen zu verdrängen oder zu verharmlosen, das wäre fatal." ...
siehe auch Kölner Stadtanzeiger, Kopie auf msn.com "Kirche: Als Gott aus Deutschland verschwand - Ein Bischof bilanziert"

Auch die kirchlichen Medien blickten zurück - und haben dafür die Zeit nach dem Beginn des Kirchenjahres und vor dem Ende des Kalenderjahres 2023 genutzt. Ein Hauptthema war die zunehmende Entfremdung der "organisierten Kirche" von der Gesellschaft - die sich etwa in der Zahl der Kirchgänger und der Kirchenaustritte manifestiert.

Katharina Karl, Professorin für Pastoraltheologie an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, stellt bei katholisch.de zurecht fest:
Die Beschleunigung ... wurde ... sicherlich durch die Pandemiesituation und die schleppende Aufarbeitung der Missbrauchskrise verstärkt. Sie ist aber auch Teil komplexer gesellschaftlicher Entwicklungen und gründet in der Tatsache, dass die Zugehörigkeit zum Christentum sich nicht mehr über Sozialisation ergibt, sondern zunehmend auf Entscheidung beruht.
...
Es bleibt ein Stachel im Fleisch, dass sozial Benachteiligte Menschen sich nicht von den Kirchen repräsentiert fühlen. ....
"Sozial Benachteiligte Menschen" - welcher Personenkreis wird hier angesprochen? Sind nicht gerade die Arbeitnehmer im klassischen Sinn "sozial benachteiligt"? Dass unsere Kirche gerade die Arbeitnehmer verloren hat, ist schon im Beschluß "Kirche und Arbeiter" der Würzburger Synode als andauernder Skandal bezeichnet worden. Das Ergebnis war eine fast flehentliche Aufforderung an die Katholiken "bei den Gewerkschaften mit zu tun". Dabei blieb es aber auch - verbale Lippenbekentnisse oder echte und ehrliche Konsequenz. Die eigentlich richtige Konsequenz, die Ursachen dieses Verlustes zu beseitigen, wurde nicht gezogen.
Beide Kirchen haben sich im Bereich der "Arbeitswelt" vielmehr mit dem Ausbau des gewerkschaftsfeindlichen - "Dritten Weges" beschäftigt und versucht, eine "gewerkschaftsfreie Zone" zu schaffen und sich darin gemütlich einzurichten. Dass das - bis hin zum kirchengesetzlichen "Streikverbot" - verfassungswidrig ist, war beiden Kirchen genauso egal wie der eklatante Widerspruch der katholischen Kirche zur eigenen Soziallehre und dem universellen Kirchenrecht.
Tatsächlich haben die Kirchen nur unter dem Druck der weltlichen Gerichte und der Rechtsprechung minimalistisch und zögerlich einige nicht mehr haltbare Positionen "geräumt".
Damit wurde bei der überwiegenden Mehrheit der gewerkschaftlich engagierten Christen die Glaubwürdigkeit der Kirche und Vertrauen massiv verloren.
Dazu haben auch als "absurd empfundene Loyalitätsvorgaben" für kirchliche Arbeitnehmer beigetragen.

Stetter-Karp, die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken beklagt im Domradio zurecht:
"Vertrauen wieder aufzubauen, ist alles andere als leicht"

Wie wäre es, da einen großen Schritt zu tun, das "Ruder herum zu reissen" - und zumindest mit einem Anwendungstarifvertrag zum TVöD (kommunal) - nicht nur die Basis für allgemeinverbindliche Regelungen in der gesamten Branche zu schaffen, sondern sich dafür auch noch die "tarifvertragliche Friedenspflicht" einzukaufen. Die Kirche kann dann gerne - wie es im Vollzug der eigenen Soziallehre konsequent wäre - für Gewerkschaftsmitglieder auch noch zusätzliche, besondere Vorteilsregelungen vereinbaren. Das wäre ein Zeichen !

Der Theologe und Ökonom Ulrich Hemel, langjähriger Wirtschaftsberater und ehemaliger Präsident des Bunds Katholischer Unternehmer (BKU) sieht die Problematik aus der Sicht des Arbeitgebers - also einer völlig anderen Perspekltive als die Mitarbeitenden - und meint dann auch bei katholisch.de, es gäbe:
einen großen Zulauf zu katholischen Schulen und Bildungseinrichtungen. Die spielen aber in den Überlegungen bei den einzelnen Diözesen, aber auch in Organisationen wie dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken, nur eine untergeordnete Rolle. Das hängt damit zusammen, dass die Entscheidungsstrukturen in der Kirche sehr stark von den pastoralen Berufen ausgehen. Als Folge daraus kommen andere Bereiche weniger in den Blick. Das gilt beispielsweise auch für den Religionsunterricht. Da haben wir immer noch rund 70.000 Menschen, die Tag für Tag als Religionslehrer arbeiten, die aber kaum beachtet werden im kirchlichen Geschehen. Wir haben noch immer fast 1.000 katholische Schulen in Deutschland, die aber in der allgemeinen Diskussion unsichtbar sind. Hier haben wir eine gesellschaftliche Nachfrage nach einem Angebot, das den Begriff "katholisch" immer noch im Namen trägt. Aber wir haben in unserer eigenen Kirche kein Bewusstsein dafür, dass wir hier ein Pfund haben, mit dem wir wuchern können.
Ohne Zweifel, die kirchlichen Bildungseinrichtungen - vor allem die "Eliteschulen" der Ordensgemeinschaften - sind gefragt. Aber ist es nicht etwas verkürzt, den Blick nur auf einen Teil der kirchlichen Arbeitnehmer zu richten? Gibt es nicht - nach eigenen Angaben - hunderttausende von von Mitarbeitenden alleine in Einrichtungen der Caritas und katholischen Kirche?

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