Dienstag, 11. Oktober 2022

Vor 60 Jahren: Zweites Vatikanisches Konzil

Am 11. Oktober 1962 begann mit dem „feierlichen Einzug von über 2.000 Konzilsvätern in den Petersdom“ das Zweite Vatikanische Konzil. Unter dem Stichwort „aggiornamento“, „Verheutigung“, sollte die katholische Kirche dazu übergehen, die christliche Wahrzeit zeitgemäß zu verkünden.
Zu den Konzilsdokumenten gehört etwa die Konstitution "Gaudium et spes", die in Rd.Nr. 68 feststellt:
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Eines der grundlegenden Rechte der menschlichen Person ist das Recht der im Arbeitsverhältnis stehenden Menschen, in voller Freiheit Organisationen zu gründen, die sie echt vertreten und imstande sind, zur rechten Gestaltung des Wirtschaftslebens einen wirksamen Beitrag zu leisten, wie auch in diesen Organisationen sich frei zu betätigen, ohne Gefahr zu laufen, deswegen irgendwelchen Nachteilen ausgesetzt zu sein. Durch eine solche geordnete Beteiligung, verbunden mit steigendem wirtschaftlichem und sozialem Bildungsstand, werden bei allen das Verständnis der eigenen Aufgabe und das Verantwortungsbewußtsein ständig zunehmen; das wird weiter dazu führen, alle - gemäß den Anlagen und Fähigkeiten eines jeden - ihrer Verbundenheit im gemeinsamen Bemühen um das allumfassende Werk des wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts und um die allseitige Verwirklichung des Gemeinwohls inne werden zu lassen.
Wo der Gegensatz wirtschaftlicher oder sozialer Interessen zu kämpferischen Auseinandersetzungen zu führen droht, müssen alle Bemühungen dahin zielen, eine friedliche Lösung zu finden. An erster Stelle muß immer die ehrliche Aussprache der Beteiligten stehen. Nichtsdestoweniger wird auch unter den heutigen Verhältnissen der Streik, wenn auch nur als letzter Behelf, unentbehrlich bleiben, um Rechte der Arbeiter zu verteidigen oder berechtigte Forderungen durchzusetzen. So schnell als möglich muß dann aber versucht werden, den Weg zur Wiederaufnahme von Verhandlungen und gemeinsamen Überlegungen über eine Verständigung zu finden.
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Die Aufbruchstimmung übertrug sich - auch auf die deutsche katholische Kirche. Mit der Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland, so der offizielle Titel der Würzburger Synode, wurde von 1971 bis 1975 in Würzburg der Schwung aus Rom aufgenommen. Einer der wesentlichen Beschlüsse - unter dem Titel "Kirche und Arbeiterschaft" - wird von uns immer wieder zitiert:
Die Förderung der Lebenslage der Arbeiter ist ohne Gewerkschaften nicht möglich. Angesichts der Stellung der Gewerkschaften ... wäre ein regelmäßiger Kontakt auf den verschiedenen Ebenen der Kirche, von Organisationen und Gremien zu den Gewerkschaften erwünscht.
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Es müßte selbstverständlich sein, daß der katholische Arbeiter sich gewerkschaftlich organisiert. Seine Mitarbeit ist einmal Ausdruck einer solidarischen Verbundenheit im gemeinsamen Einsatz für Menschlichkeit in den Arbeits- und Lebensbedingungen, zum anderen ist sie ein Dienst im Sinne des Weltauftrags der Kirche.
(Text zitiert aus der Veröffentlichung der DBK, S. 345 - heute würde man Arbeitnehmer statt Arbeiter sagen).

Warum dann die katholische Kirche alles tut, um eine Beteilgung der eigenen, gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten, zur Förderung der Lebenslage zu verhindern, ist vor diesem Hintergrund nicht verständlich - und nagt an der Glaubwürdigkeit der kirchlichen Verkündigung.
Auch die am 01.09.2022 in Kraft getreten "Ordnung über das Zustandekommen von arbeitsrechtlichen Regelungen auf der Ebene der Deutschen Bischofskonferenz" sieht keine adaquate, und erst recht keine gewerkschaftliche Beteiligung vor. Darüber kann auch ein Interview von Dr. Martin Fuhrmann mit der "Arbeitsgemeinschaft caritativer Unternehmer" (ACU) nicht hinwegtäuschen. Durch diese Ordnung wird den weich gespülten kirchlichen Gremien nur gestattet, an marginalen Änderungen der bestehenden Sonderregelungen antragstellend und beratend mit zu diskutieren. Partnerschaftliche Mitbestimmung schaut anders aus.


Anmerkung:
Bei der Gelegenheit können wir gleich eine Irritation ansprechen, die uns seit Jahren immer wieder heimsucht:
Vielleicht könnte sich die Arbeitsgemeinschaft auch einmal über das eigene Selbstverständnis klar werden. Man ist entweder caritativ, also selbstlos und ohne Gewinnerzielungsabsicht tätig - oder Unternehmer mit unternehmerischen Interessen und in einem Arbeitgeberverband. Denn das ist die ACU nach eigenem Selbstverständnis. Beides zusammen erscheint als in sich bestehender Widerspruch.


Radio Vatikan widmet dem Konzil eine eigene Artikelserie.
Radio Vatikan dokumentiert die Konzilstexte

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