Interessenvertretungen aus den Einrichtungen des Gesundheits- und Sozialwesens in Bayern wenden sich angesichts der aktuellen Entwicklungen in der Corona-Pandemie per Offenem Brief mit einem Hilferuf und Forderungen an Ministerpräsident Söder sowie die Ministerinnen Trautner und Huml. „Das Schreiben“, so Luise Klemens, Landesbezirksleiterin von ver.di Bayern, „spricht für mehrere zehntausend Beschäftigte in bayerischen Einrichtungen. Innerhalb von drei Tagen haben sich bereits 66 Gremien mit dem Schreiben befasst und ihre Unterstützung bekundet.“
„Unsere Kolleginnen im Gesundheits- und Sozialwesen sind nicht nur derzeit oft über ihre Kräfte hinausgehend im Einsatz. […] Sie sind sich ihrer besonderen Verantwortung bewusst. Sie verstehen sich nicht als Held*innen, sondern professionell tätige Fach- und Hilfskräfte in einem gesellschaftlich sensiblen und systemrelevanten Bereich“, erklärte Robert Hinke, Landesfachbereichsleiter für Gesundheit & Soziales in ver.di-Bayern. Angesichts der Risiken, die sie tragen, sei die Forderung nach einer angemessenen Vergütung für alle Berufsgruppen dieser Branche deshalb nicht vermessen, sondern nur gerechtfertigt.
„Leider erleben wir aktuell auch, wie unsere Arbeit durch eine jahrzehntelang verfehlte und auf Effizienz und Wettbewerb getrimmte Gesundheits- und Sozialpolitik erschwert wird“, klagen die Verfasser*innen. Sicher könnten die Fehlentwicklungen nicht inmitten der Krise korrigiert werden. „Aber wir werden, wenn das Schlimmste überstanden ist, unseren Druck für den Ausbau unseres Gesundheits- und Sozialsystems nochmals erhöhen“, kündigt der Offene Brief an. Es gelte zumindest, jetzt die Lehren zu ziehen. Die Zeit des Rotstiftes der Betriebswirte habe sein Ende zu finden: „Sie gefährdet Personal und Bürger*innen.“
Die Beschäftigten und ihre Interessenvertretungen seien die Expert*innen des Gesundheitswesens und im Sozialbereich. Als solche richten sie folgende Anliegen an die Staatsregierung:
Leben und Gesundheit stehen an erster Stelle: Das Land Bayern muss alles unternehmen, um ausreichend Schutzkleidung, Schutzbrillen und -masken sowie Handschuhe und Desinfektionsmittel bereitzustellen.
Es darf nicht sein, dass in Einrichtungen Schutzmaterial rationiert wird. In einigen Fällen entsteht hierdurch ein Mehrklassensystem mehr und weniger geschützter Beschäftigter.
Die Produktion anderer Betriebe muss in der Krise auf die Herstellung von Schutzkleidung und Hygienemittel umgestellt werden
Der Handel mit Schutz- und Hygieneartikeln zu horrenden Preisen muss unterbunden und benötigtes Material ggf. beschlagnahmt werden.
Mehr Personal muss schnell und unbürokratisch in den Bereichen eingestellt und finanziert werden, wo sie händeringend gebraucht werden – nicht nur in der Pflege, sondern auch in der Reinigung, Therapie, Laboren und vielen anderen Bereichen.
Statt einer Ausdehnung der Arbeitszeiten bedarf es gerade in den neuralgischen Bereichen der Covid-19-Versorgung verstärkter Anstrengungen, unsere Kolleg*innen vor chronischer Überlastung zu schützen.
Die Leistung der Beschäftigten müsse anerkannt werden. In und aus der Krise fordern die Beschäftigten deshalb:
Eine monatliche Prämie von 500 Euro/Monat für alle Beschäftigte im Gesundheits- und Sozialwesen und in weiteren versorgungsrelevanten Bereichen (wie dem Einzelhandel). Dieser nachdrückliche Appell richtet sich an Politik und Arbeitgeber gleichermaßen.
Keine Verlagerung der Krisenkosten auf die Beschäftigten zur Sicherung der Gewinne, etwa indem aktuell Minusstunden angeordnet werden, um auf dem Krisenhöhepunkt kostenlos auf Mehrarbeit zugreifen zu können.
Aufwertung: Dauerhaft bessere Arbeitsbedingungen und Tariflöhne sowie die Rücknahme bedenklicher Ausgliederungen!
„Das Gesundheits- und Sozialsystem muss bedarfsgerecht umgebaut werden“, fordert Volker Schmidt, Personalrat der RoMed Klinik Rosenheim und Vorsitzender des Fachbereiches Gesundheit & Soziales in Bayern: „ver.di drängt seit langem auf eine Reform der Krankenhausfinanzierung, die das System der Fallpauschalen umstellt auf ein bedarfsgerechtes budgetfinanziertes System. Die Pflegeversicherung ist, anders als die Krankenversicherung, als eine Teilversicherung konzipiert. ver.di fordert die Einführung einer Pflegebürgervollversicherung.“
Die Länder müssten ihrer Aufgabe der Investitionsförderung endlich besser nachkommen, das gelte auch für den Freistaat Bayern, und hier nicht nur für den Krankenhausbereich. Auch in der Langzeitpflege herrsche Bedarf, etwa bei der Renovierung und dem Ausbau stationärer und ambulanter Pflegeeinrichtungen. Auch der Rettungsdienst gehöre zu den tendenziell unterfinanzierten Bereichen.
„Die Corona-Krise hat“, betonte Hinke, „wie unter einem Brennglas die Fehlentwicklungen und Probleme im Gesundheits- und Sozialwesen zum Vorschein gebracht“. Die Gewerkschafter hoffen, dass die Politik ihre Lehren zieht: „Die Politik kann das Vertrauen der Beschäftigten zurückgewinnen, wenn sie in dieser Krisensituation die richtigen nachhaltigen strukturellen Maßnahmen auf den Weg bringt. Hierzu gehört allem voran eine bedarfsgerechte Finanzierung und Personalausstattung“, stellen die Autor*innen des Offenen Briefs fest.
[Quelle: Pressemitteilung ver.di Bayern 17.04.2020]
Download: Offener Brief vom 13.04.2020
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