Sonntag, 22. September 2024

Sonntagsnotizen - Weimar: »Rütteln an den Grundfesten«

berichtet ver.di auf Facebook und führt dazu aus:
Beschäftigte am kirchlichen Klinikum in Weimar fordern einen Tarifvertrag und verteidigen ihr Streikrecht. Statt 7 sind es jetzt 370 ver.di-Mitglieder

Ines Herboth ist enttäuscht von ihrem Arbeitgeber. Und wütend. Wie etwa 370 ihrer Kolleg*innen aus dem Sophien- und Hufeland-Klinikum Weimar hat sich die Krankenschwester bei ver.di organisiert und fordert einen Tarifvertrag. »In anderen Krankenhäusern ist es selbstverständlich, dass die Löhne und Arbeitsbedingungen auf Augenhöhe ausgehandelt werden – nur bei uns nicht.« Mit Verweis auf die sogenannten Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR) der Diakonie Mitteldeutschland verweigert der kirchliche Träger Tarifverhandlungen mit ver.di. Schlimmer noch: Mit juristischen Mitteln versuchen Kirche, Diakonie und Klinikleitung, ihren Beschäftigten die Mitsprache über die eigenen Arbeitsbedingungen sowie das grundgesetzlich verbriefte Streikrecht abzusprechen.

Vorbild Niedersachsen

»Das ist traurig«, findet Ines Herboth, die seit über 35 Jahren am Klinikum Weimar arbeitet, aktuell als stellvertretende Leiterin einer Intensivstation. »Den Weg der Konfrontation hätte der Arbeitgeber nicht gehen müssen. Er hätte sich mit uns an einen Tisch setzen und darüber reden können, was zum Beispiel bei der Diakonie Niedersachsen möglich ist.« Dort besteht seit nunmehr zehn Jahren ein Tarifvertrag, der für rund 38.000 Beschäftigte gilt und regelmäßig weiterentwickelt wird.

Was mit Tarifverträgen möglich ist, hat Ines Herboth auch in Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen aus der nur gut 20 Kilometer entfernten, landeseigenen Uniklinik in Jena erfahren. Dort hat ver.di 2019 einen Tarifvertrag Entlastung durchgesetzt, der Personalbesetzungen festschreibt, sowie zusätzliche freie Tage als Belastungsausgleich, falls die Vorgaben unterschritten werden. »Auch Weimar muss für Beschäftigte attraktiver werden«, betont Ines Herboth, die sich in der ver.di-Tarifkommission engagiert. »Im Umkreis von 30 Kilometern gibt es vier Krankenhäuser, die bessere Bedingungen bieten.«

»Ein Wirtschaftsunternehmen«

Dabei geht es nicht nur um mehr Geld, sondern auch zum Beispiel um Sonderurlaub für langjährige Beschäftigte, Zusatzurlaub im Schichtdienst, eine geringere Wochenarbeitszeit sowie sechs arbeitsfreie Wochenenden im Quartal. Grundsätzlich fordert die ehrenamtliche ver.di-Tarifkommission, dass der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) zur Anwendung kommt. »Anders als die kirchlichen AVR sind Tarifverträge bindend, das ist für mich das Wichtigste«, sagt der Physiotherapeut Mario Golleo. »Bei Tarifverhandlungen können wir als Beschäftigte richtig mitreden – und das wollen wir.« Als der 48-Jährige vor einigen Jahren ver.di beitrat, war er das siebte Gewerkschaftsmitglied im Haus. Jetzt sind es rund 370.

Auch Silke Krause-Nebel hat sich in ver.di organisiert. Sie war schon einmal Mitglied, trat aber aus, weil sie das Gefühl hatte, nicht viel bewegen zu können. »Jetzt sind wir so viele, da können sie nicht mehr an uns vorbeigucken«, ist die gelernte Hebamme überzeugt. Die 59-Jährige ist seit 1985 am Weimarer Klinikum beschäftigt und kann sich noch gut an die Zeit vor 1998 erinnern, als es der Stadt gehörte. »Nach der Fusion und Übernahme durch die Kirche haben wir auch nicht anders gearbeitet als vorher«, betont Silke Krause-Nebel. Dass der evangelische Träger beim Umgang mit den Beschäftigten Sonderrechte für sich reklamiert, hält sie für scheinheilig. »Die Klinik ist ein Wirtschaftsunternehmen, das merkt man an allen Ecken und Enden.«

So auch im Archiv, wohin Silke Krause-Nebel 2016 nach einer längeren Krankheit wechselte. Im Zuge einer Umstrukturierung vergab die Klinikleitung einen Großteil der Aufgaben an einen externen Dienstleister. Die Folge: Von den ehemals neun sind noch zwei Beschäftigte übrig, die nun auch noch die Poststelle und die Bibliothek betreiben. Die Archivarbeit habe sich in den vergangenen Jahren massiv verändert, berichtet Silke Krause-Nebel. »Es reicht nicht mehr, Regalnummern auf Pappdeckel zu kleben, heute muss ich die Qualitätskontrolle einer zertifizierten Fremdfirma machen.« Doch in ihrer Bezahlung hat sich das nicht niedergeschlagen, auch nach fast zehn Jahren im Archiv gilt für sie immer noch »Erfahrungsstufe 1«.

Solche und andere Fragen würden die gelernte Hebamme und ihre Kolleg*innen gerne wie anderswo in Tarifverhandlungen regeln. Ihnen ist bewusst, dass sich dies angesichts der Haltung des Arbeitgebers nur in einer harten Auseinandersetzung durchsetzen lässt. »Wir rütteln an den Grundfesten, an ihrer Alleinherrschaft«, sagt die 59-Jährige. »Aber wir sind eine starke Truppe und halten zusammen. Wir werden es zumindest versuchen.«

ver.di in kirchlichen Betrieben.

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