...Darin ist dann auch der wesentliche Fehler der Sichtweise enthalten.
Wie wird das BVerfG auf den Wink mit dem Zaunpfahl des EuGH reagieren? Wird es das Selbstbestimmungsrecht der Kirche – immerhin Verfassungsrecht – im Sinne des EuGH unangewendet lassen? Und welche Auswirkungen wird das auf den Hebammenfall haben? Das BVerfG hat die Urteilsverkündung im Chefarztfall für dieses Jahr angekündigt. (edit) Kirchliches Arbeitsrecht bleibt daher weiterhin spannend!
Die Verfassung spricht
- nicht von "Selbstbestimmung" sondern von "Selbstordnung und Selbstverwaltung", das ist schon vom Wortlaut her etwas anderes als der ständige "Selbstbestimmungsanspruch";
- dieses Recht besteht nur für "eigene Angelegenheiten", und das sind nicht die "res mixta", bei denen sich staatlicher und kirchlicher Rechtskreis (wie hier) überschneiden und
- dieses Recht besteht nur "in den Schranken der für alle geltenden Gesetze", wobei das Verbot der Diskriminierung aus religiösen Gründen ein "für alle geltendes Gesetz" ist.
- Darüber hinaus übersieht Neureither - wie nahezu alle kirchennahen Kommentatoren - die Vereinbarung des immer nocht geltenden Reichskonkordats, wonach die katholische Kirche nur eine Rechtsetzungsbefugnis für die eigenen Mitglieder beanspruchen kann. Die bestätigende verfassungsrechtliche Interpretation des Bundesverfassungsgerichts von 1965 (!) haben wir hier schon mehrfach - zuletzt vor einigen Tagen - zitiert.
Mit dem ständigen, den Wortlaut der verfassungsrechtlichen Regelung negierenden Narrativ von einem "Selbstbestimmungsrecht" wird die den Kirchen eingeräumte Regelungsbefugnis übergriffig ausgedehnt. Das mag kurzfristig bei konservativen Richtern verfangen, hält aber einer genaueren Überprüfung nicht stand. Die Kirche tut sich mit solchen "Übergriffen" keinen Gefallen.
Die katholische Kirche kann für solche Übergriffe auch keine theologischen Gründe anführen. Denn das universelle Kirchenrecht - das auf theologischer Grundlage aufbaut - verpflichtet alle kirchlichen Ökonomen zur Einhaltung des weltlichen Arbeitsrechts (c. 1286 CIC) auf Grundlage der eigenen Soziallehre. Letztere sieht aber beispielsweise das Streikrecht und Tarifverträge mit Gewerkschaften ausdrücklich vor (vgl. Mater et magistra, Laborem exercens usw usw usw). Sind die pseudo-theologischen Begründungen für das abweichende katholische Arbeitsrecht in Deutschland schon ein Schritt in das von Rom gefürchtete "Schisma"?
edit:
Soeben hat uns folgende Nachricht von Herrn Dr. Neureither erreicht:
In dem Schlussabsatz meines Beitrags, den Sie zitieren, war allerdings eine Unrichtigkeit enthalten, die katholisch.de nun korrigiert hat: https://www.katholisch.de/artikel/40360-arbeitsrecht-konfessionslosigkeit-erster-und-zweiter-klasse.Dort wird nun angegeben:
02.08.2022: Informationen präzisiert/korrigiert. Das Bundesverfassungsgericht beschäftigt sich nicht noch einmal mit dem "Chefarztfall".Es ist selbstverständlich, dass wir entsprechende Hinweise aufnehmen.
Der Neureither-Beitrag ist tatsächlich sehr interessant. Müsste man nicht auch noch berücksichtigen, ob die Hebamme überhaupt in die Kirche eingetreten ist. Denn wenn sie nicht eingetreten ist, sondern durch ihre Eltern eingetreten wurde, sollten vielleicht diese die Konsequenzen tragen? Immerhin gilt in unserer Verfassung das Rechtsstaatsprinzip, das Strafe ohne Schuld ausschließt - und die Korrektur einer Entscheidung, die man nie getroffen hat, kann einem ja wohl nicht zum schuldhaften Vorwurf gemacht werden?
AntwortenLöschenUnd wieso wird man eigentlich exkommuniziert, wenn man seinen Austritt aus der Kirche erklärt? Und wozu soll das gut sein? Man hat doch seinen Kirchenaustritt in der Absicht erklärt, nicht mehr Mitglied dieser Gemeinschaft (also exkommuniziert) sein zu wollen. Manchmal ist die Kirche schon sehr albern.