Samstag, 5. Juni 2021

Samstag - Wochenrückblick "Pflegereform"

Die letzte Woche stand im Zeichen der von der großen Koalition nun beschlossenen "Pflegereform", einem "Reförmchen", das bereits von Anfang an unter Kritik steht.

Der SPIEGEL schreibt dazu:
... Künftig will die Bundesregierung nur noch solche Pflegeeinrichtungen zulassen, die einen Tariflohn oder nach kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen zahlen. Laut dem Entwurf soll die Regel ab 1. September 2022 gelten.
Bislang werden von den etwa 1,2 Millionen Beschäftigten in der Altenpflege laut Arbeitsministerium nur knapp die Hälfte nach Tarif bezahlt. Für die andere Hälfte soll sich das nun ändern. Spahn rechnet mit Lohnsteigerungen von bis zu 300 Euro.
Allein: Nach welchem Tarif sich die Pflegeheime denn richten sollen, wurde nicht festgelegt. Unternehmen, die noch keine Tarifverträge haben, können sich künftig also aussuchen, welche Tariflöhne in ihrer Region für sie gelten. Der große Wurf in Sachen Besserbezahlung ist das nicht. ...
Und auch die Tagesschau berichtet zu den Änderungen u.a.
... Ab dem 1. September 2022 werden entprechend nur noch Pflegeeinrichtungen zur Versorgung zugelassen, die ihre Pflege- und Betreuungskräfte nach Tarif oder kirchenarbeitsrechtlichen Regelungen bezahlen oder mindestens in Höhe eines Tarifvertrags oder einer kirchenarbeitsrechtlichen Regelung entlohnen. Die Bezahlung nach Tarif wird vollständig refinanziert. ....
"nach Tarif" - das sind nicht nur Tarifverträge, vielmehr werden "Allgemeine Geschäftsbedingungen" auch als "Tarif" bezeichnet. Werden diese somit - wie bisher - auch bei den gewinnorientierten Anbietern, die sich Tarifverträgen verweigern, zulässig sein? Geht die "Schmutzkonkurrenz" der Billigheimer weiter?

Prof. Stefan Sell bringt es in seinem Blog auf den Punkt:
Kurz vor dem „Nichts geht mehr“: Die „Pflegereform“ auf der Zielgeraden. Anmerkungen zu einem Etikettenschwindel mit Luftbuchungen inmitten von Flickschusterei
Sell verweist zustimmend auf die Kritik von ver.di, die wir nachfolgend wiedergeben:
Entlohnung in der Altenpflege: ver.di fordert dringende Nachbesserungen im Gesetzentwurf

Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) fordert dringende Nach-besserungen bei den gesetzlichen Regelungen zur Entlohnung in der Alten-pflege, die das Bundeskabinett am heutigen Mittwoch (2.6.21) auf den Weg gebracht hat. „Es gibt im Gesetzentwurf keinen Mechanismus, der Gefälligkeitstarifverträge zwischen Pseudogewerkschaften und Pflegeanbietern, die weiterhin keine faire Löhne zahlen wollen, ausschließt. Auch mit solchen Tarifverträgen wäre dann die Voraussetzung für einen Versorgungsvertrag erfüllt“, kritisierte Sylvia Bühler, Mitglied im ver.di-Bundesvorstand. Andere Arbeitgeber könnten dann ebenfalls auf einen solchen Dumpingtarifvertrag bei der Bezahlung abstellen. Das alles sei mehr als missbrauchsanfällig und 10müsse abgestellt werden. Deshalb sollte ausschließlich auf relevante Flächentarifverträge Bezug genommen werden.

„In der jetzt anstehenden parlamentarischen Beratung müssen entschei-dende Nachbesserungen erfolgen, damit es eine Chance gibt, dass die angestrebte Wirkung überhaupt eintrittund in der Altenpflege endlich flächen-deckend einigermaßen anständig bezahlt wird“, so Bühler weiter. „Wir brauchen ein Gesetz, das wasserdicht ist gegen die absehbaren Versuche vor allem der kommerziellen Pflegeanbieter, Schutzwirkungen für die Beschäf-tigten zu umgehen.“ Auch sei es nicht akzeptabel, dass erst Ende 2025 überprüft werden solle, ob die gewünschte Wirkung erzielt werde. „Wer glaubt, dass die Beschäftigten sich noch lange vertrösten lassen, der irrt. Wenn es nicht bald spürbar bessere Arbeitsbedingungen gibt, laufen wir in der Pflege sehenden Auges auf ein Desaster zu.“

Ob und wie die Regelungen wirken, könne niemand mit Sicherheit sagen, so Bühler. „Die schlichte Frage, ob eine examinierte Altenpflegerin künftig mehr verdient als den Pflegemindestlohn, kann nicht beantwortet werden.“ Deshalb sei der Gesetzentwurf allenfalls die zweitbeste Lösung. „Der Gesetzentwurf ist kein adäquater Ersatz für einen Tarifvertrag, dessen Erstreckung auf die gesamte Pflegebranche für hunderttausende Beschäftigte in der stationären und ambulanten Pflege bereits ab August dieses Jahres deutlich höhere Löhne gebracht hätte“, so Bühler. Der ursprünglich geplan-ten Allgemeinverbindlichkeitserklärung dieses Tarifvertrages hatten vor einigen Wochen Caritas und Diakonie die gesetzlich vorgeschriebene Zustimmung verweigert.

Auf Druck von ver.di wird seither nach einer anderen Lösung gesucht. Wie kompliziert sich das gestalte, mache deutlich, wie schwerwiegend die fehlende Unterstützung der christlichen Wohlfahrtverbändeund des Bundes-40gesundheitsministers für den ausverhandelten Tarifvertrag gewesen sei, der die Mindestarbeitsbedingungen in der Altenpflege festlegen sollte, so Bühler.
Quelle: Pressemeldung ver.di vom 02.06.2021


Weitere Berichte und Kommentare:
EU-Schwerbehinderung.de: Massive Finanzierungslücken beim Vorstoß zur Pflegereform
FAZ: Diese Pflegereform ist schlecht
FAZ: Kritik von allen Seiten an der Pflegereform
Handelsblatt: Kabinett beschließt Pflegereform mit Pflicht zur Tarifbezahlung
Handelsblatt: Wer bekommt mehr Geld, wer zahlt? – Die wichtigsten Antworten zur Pflegereform
Paritätischer Wohlfahrtsverband: Pflegereform - Paritätischer kritisiert Pläne der Großen Koalition als “Mogelpackung”
SPIEGEL online: Wer von der Pflegereform profitiert – und wer zahlt
Süddeutsche Zeitung: Pflegereform: Kinder bitte aus der Rechnung raushalten
Tagesschau: Tariflöhne ab 2022 - Kabinett billigt Pflegereform
Tagesschau: Pflegereform - was soll sich ändern?
Tagesspiegel: Änderungen für die Pflege Spahns Reform gaukelt Entlastung nur vor
Vorsorge.de: Bundesregierung bringt umstrittene Pflegereform auf den Weg
ZDF heute: Kritik an Pflegereform - Mehrkosten für Heimbewohner befürchtet
ZEIT online: Spahn verteidigt höhere Beiträge für Kinderlose bei Pflegereform
Aber was will man erwarten, wenn einerseits die Vergütung der Pflegenden (deutlich) steigen sollen, andererseits aber die Eigenanteile der Pflegebedürftigen sinken - und der Staat seine verfassungsrechtliche Aufgabe als "Sozialstaat" nicht durch finanzielle Untersützung erfüllen will.

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