Freitag, 25. Juni 2021

Bundesarbeitsgericht: Gesetzlicher Mindestlohn für entsandte ausländische Betreuungskräfte in Privathaushalten

Die "häusliche Pflege" durch ausländische Betreuungskräfte hat uns schon mehrfach beschäftigt, zuletzt mit einem Urteil des EuGH am Anfang des Monates. Mit Urteil vom 24. Juni 2021 - 5 AZR 505/20 - hat nun auch das Bundesarbeitsgericht in diesem Sinne entschieden:
Nach Deutschland in einen Privathaushalt entsandte ausländische Betreuungskräfte haben Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn für geleistete Arbeitsstunden. Dazu gehört auch Bereitschaftsdienst. Ein solcher kann darin bestehen, dass die Betreuungskraft im Haushalt der zu betreuenden Person wohnen muss und grundsätzlich verpflichtet ist, zu allen Tag- und Nachtstunden bei Bedarf Arbeit zu leisten.
(Quelle und mehr: Pressemitteilung Nr. 16/21 des Bundesarbeitsgerichts)

Inzwischen berichten auch große Medien über die Entscheidung des BAG, beispielsweise bei der Tagesschau:
Arbeitsrecht
Die 24-Stunden-Pflege gerät ins Wanken
Stand: 24.06.2021 18:32 Uhr

Agenturen vermitteln Pflegekräfte aus Rumänien oder Bulgarien, die alte Menschen zuhause rund um die Uhr versorgen. Auch sie haben Anspruch auf Mindestlohn, entschied das Bundesarbeitsgerichts nun. Kann sich das Modell halten?
(Quelle und mehr: Tagesschau)
FAQ
Was das Pflege-Urteil bedeutet
24-Stunden-Pflege vor dem Aus?
Stand: 25.06.2021 11:19 Uhr

Das System der 24-Stunden-Pflege alter Menschen funktioniert vor allem mit Hilfe schlecht bezahlter ausländischer Pflegekräfte. Ein Grundsatzurteil setzt dieser Praxis nun Grenzen. Welche Folgen hat die Entscheidung? Ein Überblick.
(Quelle und mehr: Tagesschau)

Die Tagessschau berichtet dann auch, welchen Streit die (absehbare) Entscheidung in der Regierungskoalition ausgelöst hat:
Mindestlohn für 24-Stunden-Pflege
Spahn sieht keinen Handlungsbedarf
Stand: 25.06.2021 10:50 Uhr

Der Pflegebeauftragte Westerfellhaus und Arbeitsminister Heil haben das Urteil zur 24-Stunden-Pflege als "wegweisend" begrüßt. Gesundheitsminister Spahn sieht hingegen keinen Grund, die Zustände zu ändern.
(Quelle und mehr: Tagesschau
- ebenso berichten kirchliche Medien
Der Präsident des Deutschen Caritasverbands, Peter Neher, sagte, das Urteil zeige, wie dringlich die Förderung legaler Beschäftigungsverhältnisse sei. Die kommende Bundesregierung müsse sich dringend mit einer Reform der häuslichen Pflege befassen.
Rechtsanspruch gilt als „Meilenstein“
Das evangelische Diakonische Werk lobte „einen Meilenstein auf dem Weg zu besseren Arbeitsbedingungen“. Bei Arbeitskräften aus Deutschland und dem Ausland dürfe „nicht mit zweierlei Maß gemessen werden“ – auch nicht bei Mindestlohn und Arbeitszeit-Begrenzung, sagte Maria Loheide vom Diakonie-Vorstand.

Die Katholische Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) Deutschlands erklärte, das Urteil schaffe für tausende Betreuungskräfte „einen wichtigen Rechtsanspruch auf faire Entlohnung“. Es schiebe der Ausbeutung von Hausangestellten aus Osteuropa einen Riegel vor, die mit Dienstleistungsverträgen gezwungen würden, ständig für die zu betreuenden Personen zu sorgen, so der KAB-Bundesvorsitzende Andreas Luttmer-Bensmann.

... Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sieht ... keine Notwendigkeit, Zustände in der 24-Stunden-Pflege anzugehen. Das geht aus einer Antwort seines Ministeriums auf eine Anfrage der Linksfraktion hervor, die dem Redaktionsnetzwerk Deutschland vorliegt. Es gebe keine Pläne, die in Deutschland geltenden Ausnahmen von internationalen Arbeitsschutz-Vorschriften für 24-Stunden-Pflegekräfte zu ändern. ...


Der Streit spiegelt einen Grundsatzdissens wieder, der auch im Zuge der sogenannten "Pflegereform" und der Mindestlohndebatte für die Altenpflege aufschien:
Soll die Pflege möglichst günstig sein, was nur zu Lasten der Pflegenden möglich ist - oder sollen die Pflegenden über Mindestansprüche verfügen, was höhere Aufwändungen der Sozialkassen und des Sozialstaates zur Folge hat ...
Wir meinen seit jeher:
Wer arbeitet muss von seinem Lohn angemessen leben können - auch im eigenen Alter. Löhne, die zur Altersarmut führen, sind ausbeuterisch und unverantwortlich. Und das gilt auch für ausländische Arbeitskräfte, die in Deutschland leben und hier Ansorüche auf Altersrente erwerben. Dumpinglöhne durch "Arbeitssklaven" passen nicht nach Deutschland - egal ob in der "Fleischindustrie" oder bei der Altenpflege.
Die "Daseinsvorsorge" darf nicht den marktwirtschaftlichen Gesetzen unterworfen werden. Es handelt sich um grundrechtlich verbürgte Ansprüche, die der Staat erfüllen muss, auch wenn es mehr kostet.

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