Sonntag, 11. September 2016

Sonntagsnotizen: "Letzte Gespräche"

Unter dem Titel "Letzte Gespräche" sind jetzt Notizen von Benedikt XVI. veröffentlicht worden. 1)

Die Texte stellen eine Art "Lebensrückblick", ein "biographisches Testament" unseres "papa eremitus" dar, das Benedikt seinem langjährigen Gesprächspartner Peter Seewald mit gegeben hat. Wer die feinsinnige, loyale und zurückhaltende Art Benedikts kennt, der weiß, dass Kernaussagen sicher nicht gegen die Intentionen von Papst Franziskus getroffen wurden.

Auf Seite 245 ff geht Benedikt auch auf seine Freiburger Ansprache zur Nomenklatur der deutschen Katholiken 2) ein, die auf viel Echo und Desinformation gestoßen ist.

ENTWELTLICHT EUCH !



Benedikt wird in diesen "biographischem Testament" mehr als deutlich:
Seewald: In Ihrer großen Rede in Freiburg forderten Sie eine Entweltlichung der Kirche, die notwendig sei, damit der Glaube wieder seine Wirkstoffe entfalten könne. Was nicht Abkehr von den Menschen, von christlicher Caritas oder Rückzug aus dem gesellschaftlichen und politischen Engagement bedeute, sondern Abkehr von Macht, vom Mammon, vom falschen Schein, von Betrug und Selbstbetrug. Die Rede wurde vielfach fehlinerpretiert, zum Teil ganz bewusst, auch von Kirchenleuten. Wie war das überhaupt möglich?

Benedikt: Das Wort Entweltlichung ist offenbar den Menschen sehr fremd, insofern war es vielleicht nicht ganz geschickt, das so in den Vordergrund zu stellen. Aber ich meine, die inhaltliche Aussage, die war deutlich genug, und wer sie verstehen wollte, hat sie auch verstanden.

Seewald: Es war eine revolutionäre Aussage.

Benedikt: Schon.

...

Seewald: Auch das katholische Establishment fiel in Deutschland nicht unbedingt durch Engagement auf, etwa für die Neuevangelisierung, auch wenn der Glaubensverlust hierzulande dramatische Ausmaße erreicht hat.

Benedikt: In Deutschland haben wir diesen etablierten und hochbezahlten Katholizismus, vielfach mit angestellten Katholiken, die dann der Kirche in einer Gewerkschaftsmentalität gegenübertreten. Kirche ist für sie nur der Arbeitgeber, gegen den man kritisch steht. Sie kommen nicht aus einer Dynamik des Glaubens, sondern sind eben in so einer Position. Das ist, glaube ich, die große Gefahr der Kirche in Deutschland, dass sie so viele bezahlte Mitarbeiter hat und dadurch ein Überhang an ungeistlicher Bürokratie da ist. 3) Die Italiener können sich so viele bezahlte Leute gar nicht leisten ...4).

...

Seewald: Wie groß ist die Enttäuschung über Ihren Deutschlandbesuch?

Benedikt: Das Wort Enttäuschung trifft nach meiner Einschätzung des Besuches nicht zu. Natürlich war mir bewusst, dass Kräfte des etablierten Katholizismus nicht einverstanden sein würden mit dem, was ich gesagt habe, aber andererseits hat meine Rede Nachdenklichkeit geschaffen, hat stille Kräfte in der Kirche inspiriert und sie ermutigt. Es ist ganz natürlich, dass solche Überlegungen ein unterschiedliches Echo hervorrufen. Wesentlich ist die Nachdenklichkeit und die Bereitschaft zur wirklichen Erneuerung.


1)
Droemer-Verlag, 2016, ISBN 978-3-426-27695-2


2)
Wir hatten dem fast flehentlichen Aufruf Benedikts mehrere Beiträge gewidmet:
31. August 2013 "Die Zukunft der sozialen Marktwirtschaft ist ohne starke Gewerkschaften nicht denkbar"

- Katakombenpakt - Kirche für die Armen und "Entweltlichung"
15. Nov. 2013 ...
Der Versuch einer Antwort findet sich in dem Buch „Benedikts Vermächtnis und Franziskus' Auftrag: Entweltlichung“ von Kardinal Josef Cordes ...

- Caritas-Verdi: Kardinal Kasper vor der Kurie über "heikle Familienfragen" - Erzbischof Gänswein zur "Entweltlichung" - Kardinal Meisner in Ruhestand.
2. März 2014
...

- Caritas-Verdi: Samstagabend - Zeit für das jüngste Gerücht
16. Mai 2015 ...
Wir empfehlen den Freiburger Autoren in dem Zusammenhang die Lektüre von Art. 9 Grundgesetz, wenn schon der Appell "Entweltlicht euch!"

- Besser eine Kirche mit Beulen ...
17. Mai 2015 ...
"Entweltlicht Euch!" - gebt das selbst gestrickte "weltliche" Arbeitsrecht mit seinen Problemen ab! Der universalkirchliche Gesetzgeber hat ...


3)
Ob Benedikt da schon die ZMV aus diesem Jahr mit dem Resümee zum neu gebildeten ARA Arbeitsrechtsausschuss der Zentral-KODA kannte?
Richtig ist: wenn sich kirchliche Einrichtungen dem Markt unterwerfen und wie normale Arbeitgeber auch agitieren, dann ist die Gegenbewegung der Arbeitnehmer zwangsläufig eine "Gewerkschaftsmentalität". Hier setzt die Kritik Benedikts allerdings an den Symptomen an, und nicht an der Wurzel.
"Ein Betrieb ist ein Betrieb ist ein Betrieb!" Auch Wirtschaftsbetriebe in kirchlichem Eigentum handeln wie Wirtschaftsbetriebe. Und das Wort "Caritas" oder "gemeinnützig" ist dann mehr ein Deckmäntelchen als mit konkretem Inhalt belegt. Dann aber ist die gewerkschaftliche Orientierung auch nach den Regularien der päpstlichen Sozialenzykliken die entsprechende Antwort: Solidarität der dem Wirtschaftsinteresse unterworfenen Arbeitnehmer - und zwar über den kirchlichen Tellerrand hinaus.

Wenn eine DiAG zur Kritik von Benedikt ausführt: "Beinahe jeden Tag würden die DiAG Berichte von Mitarbeitervertretern erreichen, wonach "Mitarbeiterinnen in der Altenpflege in kirchlichen Einrichtungen am Ende ihrer psychischen und physischen Kräfte sind". Auch würden Mitarbeiter "ständig aus dem Urlaub zurückgeholt". In einigen Krankenhäusern würden Arbeitszeitgesetze "keine Rolle spielen". Zudem müsse "in vielen kirchlichen Kindergärten" immer weniger Personal immer neue Anforderungen erfüllen." dann zeigt das doch, dass die Bemühungen, kirchliche Strukturen als "Ersatzgewerkschaft" aufzubauen, gescheitert sind.
Die Spaltung hat dem Beschäftigten noch nie geholfen. Wenn die Ersatzgremien auf dem "kirchlichen Weg" dann auch noch weniger umsetzen können, dann erweist sich der "kirchliche Weg", der gar nicht so kirchlich begründet ist, umso mehr als "in die Irre führender Holzweg".
Dann sollte aber eine pseudogewerkschaftlicher Hampelei auch konsequent beendet und gleich das Original gesucht werden. Ein Schritt - das sei nur am Rande bemerkt - der unserer Kirche auch zu mehr Glaubwürdigkeit bei allen Arbeitnehmern verhelfen würde.

Und dann sollten nicht Benedikts offene Wort kritisiert werden, sondern der kirchliche Holzweg, der zu den "pseudegewerkschaftlichen Aktivitäten" führt. Die Ursachen der Misere sind zu analysieren und zu benennen. Sonst wirkt die Kritik schief und unangemessen. Tatsächlich gerieren sich viele kirchlichen Funktionäre notorisch als Gewerkschafter, allerdings ohne deren Solidarität zu praktizieren und ohne sich deren (auch wirtschaftliche) Unabhängigkeit zuzulegen. Die einfachen Beschäftigten und deren schlechte Vergütungen und Arbeitsbedingungen argumentativ zu missbrauchen um die eigenen kommoden, von den Arbeitgebern finanzierten Verhältnisse zu verteidigen, hat ohne diese Konsequenz etwas geschmackloses.


4)
Italien kennt allerdings den "dritten Weg" nicht. Die Anwendung von Tarifverträgen ist dort auch für die katholische Kirche eine Selbstverständlichkeit.

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