Mittwoch, 12. Mai 2021

Ausgerechnet: Caritas fordert bessere Mindeststandards in der Pflege - wie man mit Schaufenstererklärungen vom eigenen Desaster ablenkt

berichtet katholisch.de
Dienstgeber und Dienstnehmer in der Caritas fordern zum Tag der Pflege die Sicherung von Mindeststandards bei der Entlohnung in der Pflege. Die Mitarbeiterseite der Arbeitsrechtlichen Kommission (ak.mas) mahnte am Mittwoch eine spürbare Aufwertung der Vergütungen an. Der Gesetzgeber stehe in der Verantwortung, eine flächendeckende Tarifbindung durchzusetzen. Die Dienstgeberseite betonte am selben Tag, dass es für die für die Branche eine "Absicherung nach unten" brauche.
Und auf dem Twitter-Account von Caritas Deutschland wird gefordert:
#Pflegereform muss noch in dieser Legislatur kommen: Versorgungsverträge nur mit Anbietern schließen, die tarifliche Leistungen wie betriebliche Altersvorsorge und zusätzliche Urlaubstage bieten.

Wie dieses hehre Ziel nach der Blockade eines allgemein verbindlichen Tarifvertrages durch die Caritas-Arbeitgeberseite erreicht werden soll, bleibt allerdings ungewiss.
Der von Bundesgesundheitsminister Spahn vorgelegte Entwurf ("ortsübliche Vergütung") überlässt die Vergütungsentwicklung völlig dem "Markt". Löhne steigen "ortsüblich" nur, wenn eine bessere Vergütung zur Personalgewinnung für die einzelnen Arbeitgeber dringend erforderlich ist. Da kann man dann auch auf Gewerkschaften oder eine Arbeitsrechtliche Kommission verzichten.

Die Dienstnehmerseite forderte den Gesetzgeber auf,
eine flächendeckende Tarifbindung in der Altenpflege durchzusetzen. Lediglich Mindestlöhne durch die Pflegekommission festlegen zu lassen, greife zu kurz. Der Personalbedarf in der Pflege sei weiterhin enorm und die Corona-Krise führe die Bedeutung und den Wert guter Pflege täglich vor Augen, betont ak.mas-Sprecher Thomas Rühl. "Die Politik muss die Erwartungen endlich erfüllen und die Altenpflege jetzt spürbar aufwerten. Das geht nur mit einer strikten Tarifbindung ohne Schlupflöcher, die Schluss macht mit Billiglöhnen!", so Rühl weiter. Die Personalnot werde zudem durch die großen Verdienstunterschiede zwischen Alten- und Krankenpflege noch verschärft. Diese Unterschiede müssten kurzfristig überwunden werden.
Der Ansatz ist richtig.
Allgemeine Geschäftsbedingungen - wie sie etwa die bpa anstrebt - eignen sich nicht dafür, als Grundlage allgemein verbindlicher Regelungen zu dienen. Da steht die in § 305 b normierte individuelle Vertragsfreiheit entgegen.

Der Sprecher der Dienstgeber, Norbert Altmann, sieht dagegen offenbar keinen umfassenden Änderungsbedarf. Er verweist im Bericht auf den jüngsten Tarifabschluss bei der Caritas, dort seien "ohne jegliche staatliche Einflussnahme" die Arbeitsbedingungen noch einmal gesteigert worden. Altmann unterschlägt dabei geflissentlich, dass sich die Caritas auf das (in der Regel zeitlich verzögerte) Abschreiben des Tarifabschlusses von ver.di im öffentlichen Dienst (TVöD - Kommunalbereich) beschränkt, soweit nicht diese Abschlüsse zu Lasten der Arbeitnehmer unterschritten werden. In der Pflege ist das z.B. bei in den unteren Vergütungsgruppen (P 5 / P 4) sowie im "Osten", zu dem auch Hamburg und Schleswig-Holstein gehören, auch noch mit Abstrichen der Fall:
Tabelle TVöD VKA Anlage E (Pflegedienst) gültig ab 1. März 2019 bis 29. Februar 2020 Stufe 1 bis Stufe 5:
Pflegehelfer P 6: 2.353,39 - 2.511,84 - 2.669,68 - 3.005,36 - 3.090,93 - 3.248,88 €
Pflegehelfer P 5: 2.258,01 - 2.474,64 - 2.538,06 - 2.643,35 - 2.722,35 - 2.907,93 €

Tabelle AVR Caritas Anlage 32 - Regionalkommissionen BW, BY, Mitte, Nord und NRW - gültig ab 1. Januar 2019
Pflegehelfer P 6: 2.353,39 - 2.511,84 - 2.669,68 - 3.005,36 - 3.090,93 - 3.248,88 €
Hilfskraft P 4: 2.259,16 - 2.422,26 - 2.459,79 €

Tabelle AVR Caritas Anlage 32 - Regionalkommissionen Ost - Tarifgebiet Ost - gültig ab gültig ab 1. Januar 2019
Pflegehelfer P 6: 2.170,89 - 2.857,71 - 3.003,74 €
Hilfskraft P 4: 2.110,96 - 2.004,75 - 2.164,99 - 2.198,54 €
Quelle jeweils: Entlohnung Caritas 2018 (bundesgesundheitsministerium.de)

Schon vorher hat Ulrike Kostka im Heft Mai 2021 der "Herder Korrespondenz" (Forum: "Zum Sündenbock taugt sie nicht - Die Caritas und der Streit um die Altenpflege") die Richtung vorgegeben. Allerdings wird die geschönte Darstellung von Kostka den Realitäten - leider - nicht gerecht.

Daher ein doch: die Caritas taugt zum Sündenbock - aus mehreren Gründen

1.
Die Caritas wird nicht angegriffen "weil sie besser bezahlt" (Kostka S. 50) sondern weil sie die "Schmutzkonkurrenz" der bpa unterstützt und damit dazu beiträgt, dass ein großer Teil der Pflegenden dort selbst mit Altersarmut bedroht *) sind und die "Billigheimer" weiterhin durch ihre unfaire Schmutzkonkurrenz die Refinanzierung drücken und die Qualität der Pflege minimieren.
Die Arbeitgeberseite der Caritas - den Begriff "Dienstgeber" verwende ich nicht gerne, weil er zu sehr an "Dienstherren" und "Dienstmädchen" erinnert und historisch schwer belastet ist - hat eine Sonderstellung der kirchlichen Wohlfahrtsverbände genützt, um den Pflegenden in den Einrichtungen privater, gewinnorientierter Einrichtungen eine deutliche Verbesserung der Bezüge vorzuenthalten.

2.
Die von Altmann und Kostka gelobte Caritas, die "Maßstäbe für gute Bezahlung in der Pflege" setzt, taugt nur deshalb für diese Rolle, weil die Caritas woa selbst abschreibt - nämlich den kommunalen Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst. Sie tut das aber in der Regel zeitlich versetzt und das auch noch mit Abstrichen.

3.
Entgegen der eigenen Soziallehre (Mater et magistra, Laborem exercens ...) verweigert die Caritas weiterhin die Kooperation mit Gewerkschaften. Das steht der Caritas wie jedem anderen Arbeitgeber auch zu und ist legitim (negative Koalitionsfreiheit). Auch andere Arbeitgeber wie etwa die bpa beanspruchen das Recht für sich, die Arbeitsbeziehungen durch "Allgemeine Geschäftsbedingungen" zu regeln, wie das die kirchlichen Wohlfahrtsverbände mit ihren Allgemeinen Vertragsrichtlinien (AVR) seit Jahrzehnten tun.
Ver.di hat bereits im Vorfeld der Abstimmung die kirchlichen Wohlfahrtsverbände in die Verhandlungen eingebunden. Hier wäre die Chance zur Entwicklung einer konstruktiven Zusammenarbeit unabhängig von der "Wegefrage" gewesen. Die Arbeitgeber der Caritas haben diese Türe zugeschlagen. Sie müssen dann auch die Türe wieder öffnen - oder die Konsequenzen verantworten.


*) Anmerkung:
Wie die Bundesregierung … mitteilte, erzielten rund 6,3 Millionen Vollzeitarbeitnehmer im Jahr 2019 einen Bruttomonatslohn von unter 2.650 Euro. Dies führe nach 45 Arbeitsjahren zu einer Bruttorente in Höhe von unter 1200 Euro. Nach Abzügen von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen sind dies dem Bericht zufolge netto rund 1.100 Euro Rente monatlich. Dies entspricht in Deutschland in etwa dem Schwellenwert der Armutsgefährdung.

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