Sonntag, 25. April 2021

Sonntagsnotizen - die Caritas offenbart den Charakter "Dritter Weg", Marburger Bund beendet die Beteiligung in der AK-MAS

Diese Sonntagsnotizen sind zwei Vorgängen gewidmet, die mit wenigen Tagen zeitlichem Abstand den Dritten Weg der Caritas (und der Kirchen) aus unterschiedlichen Gesichtswinkeln beleuchten und aufzeigen, wie "tauglich" oder "untauglich" der kirchliche Sonderweg ist:

1. Weigerung der Arbeitgeberseite zum konstruktiven Dialog:
Mit der Veröffentlichung vom 19. d. M. offenbart die Caritas (Mitarbeiterseite) die Schwächen des Dritten Weges:
Der Antrag wurde nicht erneut behandelt. Mitarbeiterseite kritisiert Dienstgeber-Argumente.

Die Dienstgeberseite der Caritas hatte schon im Vorfeld der Online-Sitzung der Bundeskommission angekündigt, den Antrag zur Allgemeinverbindlicherklärung des „TV Altenpflege“ erneut abzulehnen oder ihn gar nicht erst behandeln zu wollen.
Im Endeffekt steht da also nichts anderes als:
"Wir wollen nicht, und Eure Argumente könnt ihr für Euch behalten - egal was ihr vorbringt, wir werden unsere Haltung nicht ändern."
Auch wenn die eine Seite (hier die Arbeitnehmer) die besseren Argumente auf ihrer Seite weiß - die bloß Ankündigung der Gegenseite, nicht diskutieren zu wollen und selbst bei guten Argumenten erneut abzulehnen (nicht anders kann man die Aussage interpretieren) zeigt die "Arroganz der Macht".

Damit hat die Arbeitgeberseite der Caritas demonstriert, dass die Regelungen des "Dritten Weges" weder die Qualität von Tarifverträgen haben und auch nicht mit diesen vergleichbar oder gar gleichgestellt werden können. Was die Arbeitnehmerseite in den Kommissionen macht, ist "kollektives Betteln" - und wenn die Arbeitgeber ankündigen, nicht zu wollen, dann wird auch noch auf das Betteln verzichtet.

2. Beendigung der Beteiligung des Marburger Bundes (MB) in der Arbeitsrechtlichen Kommission der Caritas:
In der Mitgliederzeitschrift MBZ Nr. 5 / 16.04.2021 erklärte dann auch der MB, dass das System des "Dritten Weges" letztendlich untauglich ist:
... Nach mehr als vier Jahren Mitwirkung fällt die Bestandsaufnahme aus unserer Sicht dann auch eindeutig aus: Das System der kollektiven Rechtsetzung der Caritas führt ... im Vergleich mit dem referenzierten Tarifvertrag TV-Ärzte/VKA zu tendenziell schlechteren Ergebnissen, es ist aufgrund seiner Strukturen langsamer und weniger agil. Vor allen Dingen aber ist es nicht geeignet, eine Dynamik zu entfalten, die notwendig ist, um konfliktäre Situationen zu überwinden und damit ein wirksames Gegengewicht zur Arbeitgeberseite zu bilden.
...
Als Träger der Rechte aus Artikel 9 Abs. 3 des Grundgesetzes können wir nach nunmehr vier Jahren gut und aus erster Hand beurteilen, dass die von der Caritas aufgestellten Regelungen weder eine Gewähr für einen schonenden Ausgleich widerstreitender verfassungsrechtlich geschützter Interessen bieten, noch geeignet sind die weiteren, vom BAG aufgestellten Forderungen zu erfüllen. ...

Das System funktioniert nicht
...
Ergänzend: 
Es gibt eine BAG-Entscheidung vom 10.06.1980 Aktenzeichen: 1 AZR 168/79 (bestätigend zitiert duch Beschluss vom 09. Juli 2020 - 1 BvR 719/19 des BUNDESVERFASSUNGSGERICHTS), die diese Situation eindeutig beschreibt und damit belegt, warum AVR oder andere Regelungen des "Dritten Weges" keinen fairen und tatsächlichen Ausgleich zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern schaffen können.
...
Die grundgesetzlich im Kern gewährleistete Tarifautonomie wird durch das Tarifvertragsgesetz konkretisiert. Durch dieses Gesetz des Bundes wird den Koalitionen das Recht eingeräumt, Normen im rechtstechnischen Sinne zu schaffen und damit u.a. den Inhalt von Arbeitsverhältnissen unmittelbar und zwingend zu gestalten. Das geschieht in der Form kollektiver Verträge, die zwischen einer Gewerkschaft einerseits und einem Arbeitgeber oder Arbeitgeberverband andererseits zustande kommen müssen ....

Tarifverträge sind dazu bestimmt, einen tatsächlichen Machtausgleich zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern zu schaffen. Sie bieten eine materielle Richtigkeitsgewähr. Normalerweise ist also davon auszugehen, daß ihre Regelungen den Interessen beider Seiten gerecht werden und keiner Seite ein unzumutbares Übergewicht vermitteln (BAG 22, 144 (151) = AP Nr. 12 zu § 15 AZO (zu IV 3 der Gründe) m. zahlr. N.). Diese Richtigkeitsgewähr ist der Grund dafür, daß der Gesetzgeber eine Reihe von Schutzvorschriften, die von Arbeitsverträgen und Betriebsvereinbarungen nicht zu Lasten der Arbeitnehmer durchbrochen werden können, tarifdispositiv gestaltet hat. Im Vertrauen auf die Sachnähe und Stärke der Tarifvertragsparteien wird diesen das Recht eingeräumt, vom Gesetz abweichende Regelungen vorzusehen, selbst wenn sie sich nachteilig für die Arbeitnehmer auswirken (§ 13 BUrlG, § 616 Abs. 2 BGB, § 622 Abs. 3 BGB, § 2 Abs. 3 LohnFG, § 17 Abs. 3 BetrAVG, § 48 Abs. 2 ArbGG und § 101 Abs. 1, 2 ArbGG; im Prinzip vergleichbar § 7 AZO). In ähnlicher Weise hat auch das Bundesarbeitsgericht Grundsätze entwickelt -- z.B. über die Befristung von Arbeitsverträgen, die Rückzahlung von Gratifikationen und Vorbehalte in Versorgungszusagen --, die zur Disposition der Tarifvertragsparteien stehen sollen (vgl. für viele: BAG 18, 217 = AP Nr. 54 zu § 611 BGB Gratifikation; AP Nr. 32 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag und zusammenfassend Wiedemann/Stumpf, TVG, 5. Aufl., Einleitung RdNr. 144 ff.). Betriebsvereinbarungen wird die entsprechende Richtigkeitsgewähr und damit auch die Dispositionsfreiheit abgesprochen, weil die Betriebspartner unter dem Gesichtspunkt des Betriebsfriedens vor allem nicht über das Instrument des Arbeitskampfes verfügen (BAG 22, 252 (267) = AP Nr. 142 zu § 242 BGB Ruhegehalt (zu B IV 3 b der Gründe)).
Weder im Tarifvertragsgesetz noch in den verschiedenen tarifdispositiven Schutzgesetzen ist vom Arbeitskampf ausdrücklich die Rede. Der Arbeitskampf wird aber als Institution für die Tarifautonomie vorausgesetzt, weil sonst weder das Zustandekommen noch die inhaltliche Sachgerechtigkeit tariflicher Regelungen gewährleistet wären. Der Arbeitskampf muß in unserem freiheitlichen Tarifvertragssystem als ultima ratio zum Ausgleich sonst nicht lösbarer tariflicher Interessenkonflikte möglich sein (BAG 23, 292 (306) = AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf (zu Teil III A 1 der Gründe)).
Für den Streik ist dies offensichtlich und allgemein anerkannt. Die Gewerkschaften sind auf die Bereitschaft zum Abschluß von Tarifverträgen auf Seiten bestimmter Arbeitgeber oder Arbeitgeberverbände angewiesen. Sie können nicht zu einem anderen Vertragspartner ausweichen, wie es den Marktgesetzen entsprechen würde. Sie können auch nicht voraussetzen, daß die Gegenseite das gleiche Interesse am Abschluß eines Tarifvertrages haben und deshalb verhandlungsbereit sein werde. Nach dem bisherigen Stand der Dinge ist die bestehende Tariflage und u. U. sogar ein tarifloser Zustand für die Arbeitgeber vorteilhafter als für die Arbeitnehmer. In der bisherigen Sozialgeschichte waren die Gewerkschaften fast immer gehalten, eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu fordern und durchzusetzen. Seit Bestehen der Bundesrepublik sind die Produktivität und das Preisniveau ständig gestiegen, so daß den Gewerkschaften die Aufgabe zufiel, die notwendigen Anpassungen zu erreichen. Hingegen konnten die Arbeitgeber als ihre Tarifvertragspartner kein unmittelbares Interesse daran haben, z.B. die Löhne stärker anzuheben, die Arbeitszeit zu verkürzen, die Rationalisierung durch Schutzvorschriften zu erschweren. Bei diesem Interessengegensatz wären Tarifverhandlungen ohne das Recht zum Streik im allgemeinen nicht mehr als "kollektives Betteln" (Blanpain). Soweit Tarifverträge überhaupt zustande kämen, beruhten sie nur auf dem einseitigen Willensentschluß einer Seite und böten daher nicht die Gewähr eines sachgerechten Ausgleichs der beiderseitigen Interessen.
Diese Feststellung läßt sich nicht mit dem Hinweis anzweifeln, daß weitaus die meisten Tarifverträge ohne vorangehende Arbeitskämpfe zustande kommen. Das ist zwar richtig und in der Bundesrepublik Deutschland jedenfalls bislang besonders ausgeprägt, läßt aber keinen Schluß auf die tatsächliche Bedeutung der Streikbefugnis zu. Schon die glaubwürdige Bereitschaft zum Streik zwingt die Arbeitgeberseite dazu, die Schäden eines möglichen Arbeitskampfes mit den wirtschaftlichen Folgen eines Nachgebens zu vergleichen. Schon dadurch entsteht ein Druck, der regelmäßig zur Verhandlungsbereitschaft führt, ohne daß auch nur eine Urabstimmung durchgeführt werden müßte. ....
Heute besteht Einigkeit darüber, daß das Streikrecht einen notwendigen Bestandteil der freiheitlichen Kampf- und Ausgleichsordnung darstellt, die durch Art. 9 Abs. 3 GG im Kern gewährleistet ist (vgl. für viele Badura, Das Arbeitsrecht der Gegenwart, Bd. 15 (1977), S. 17 ff.; Brox Rüthers, Arbeitskampfrecht, 1965, S. 41 ff.; Däubler/Hege, Koalitionsfreiheit, 1976, S. 110 ff.; Rüthers, Streik und Verfassung, 1960, S. 72; Säcker, Das Arbeitsrecht der Gegenwart, Bd. 12 (1974), S. 17 (40 ff.); Scholz, Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, S. 149 f., 354 f.; Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, 1975, S. 182 ff. m.z.N.). Das entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. grundlegend: Beschluß des Großen Senats vom 28. Januar 1955, BAG 1, 291 (295 ff.) = AP Nr. 1 zu Art. 9 GG Arbeitskampf (zu I der Gründe)). Ohne das Druckmittel des Streiks könnte die Tarifautonomie nicht wirksam werden. ...
Fundstellen
BAGE 33, 185-195 (Leitsatz 1-5 und Gründe)
DB 1980, 1274-1275 (Leitsatz 1-5 und Gründe)
BB 1980, Beilage 4, 2 (Leitsatz 1-5 und Gründe)
NJW 1980, 1653 (Leitsatz 4 und Gründe)
WM 1980, 829-840 (Leitsatz 1-5 und Gründe)
ARST 1980, 115-117 (Leitsatz 3-4 und Gründe)
DB 1980, 1694-1696
EzA Art 9 GG Arbeitskampf Nr 36 (Leitsatz 1-5 und Gründe)
ZfSH 1980, 237-239 (Leitsatz 1-5 und Gründe)
JuS 1980, 766-769 (Gründe)
SAE 1980, 273-287 (Leitsatz 1-5 und Gründe)
BetrR 1980, 399-424 (Leitsatz 1-5 und Gründe)
AP Nr 65 zu Art 9 GG Arbeitskampf (Leitsatz 1-5 und Gründe)
EzA Art 9 GG Arbeitskampf Nr 37 (Leitsatz 1-5 und Gründe)
AuB 1982, 58 (Gründe)
USK 8077 (Leitsatz 1-7 und Gründe)

weitere Fundstellen
MDR 1980, 787 (Leitsatz 1-5)
AiB 2002, 354 (Leitsatz 1-2)
AiB 1001, 362 (Kurzwiedergabe)


Dem ist nichts hinzuzufügen.

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