Seit etwa 200 Jahren - es handelt sich um einen dynamischen Prozess mit mehreren einschneidenden Daten *) - ist das Verhältnis von Staat und (katholischer) Kirche neu geregelt. Damals wurden die Grundlagen für das heutige einvernehmliche Staatskirchenrecht geschaffen, dessen historische Interpretation (was wollte der kirchliche Partner) gerade kirchenrechtlich immer noch von besonderer Bedeutung ist.
Was war vorher?
Über das ganze Mittelalter hin waren Bischöfe und Äbte zugleich in staats- und kirchlicher Herrschaftsfunktion tätig. Die Bistümer, Klöster und Stifte waren zugleich staatliche und kirchliche Herrschaftsgebiete. Schon im frühen Mittelalter hatten die frühen Herzöge und Könige mit der Stiftung von Klöstern zugleich weltliche Herrschaften begründet. Und bis zur Säkularisation blieben diese Herrschaften erhalten - bevor sie mit der Säkularisation an die weltlichen Herrscher fielen.
Säkularisation - Ursachen und Folgen:
Ursächlich war vordergründig, dass diese weltlichen Herrscher 1801 im Frieden von Lunéville diverse "linksrheinische Gebiete" an Frankreich abtreten mussten. Als Entschädigung wurden ihnen im Reichsdeputationshauptschluss von 1803 die kirchlichen Reichsstände (die geistlichen Fürstentümer) und die meisten Reichsstädte (in diesem Fall spricht man von Mediatisierung) zugeschlagen. Mit Artikel 35 des Reichsdeputationshauptschlusses wurden die Gebäude und Güter der aufgehobenen Stifte, Abteien und Klöster der Disposition (Verfügungsgewalt) der Landesherren unterstellt. Diese erhielten damit auch die Verfügungsgewalt über das örtliche Kirchenvermögen, das vor allem von den inkorporierten Ortsgemeinden zur Verwaltung an die Klöster gegeben worden war, die sich im Gegenzug verpflichteten, die örtliche Seelsorge zu gewährleisten und die nötigen Gebäude und Seelsorger bereit zu stellen. Erst der "überschießende", für die Seelsorge nicht benötigte Teil der Vermögenserträg konnte von den Klöstern für eigene Zwecke verwendet werden. Mit der Säkularisation traten die weltlichen Herrscher im Rahmen einer Gesamtrechtsnachfolge in diese Pflichten ein. Dies führte zu vielen heute noch bestehenden staatlichen Verpflichtungen, etwa für Gebäude (Baulasten) oder für die Finanzierung von Priestergehältern. Zugleich wurden im Bemühen, den Aufwand für die Seelsorge möglicht gering zu halten, die Pfarreien durch den Staat neu "organisiert". So sollten unnötige und daher entbehrliche Bauwerke wie auch entsprechende Seelsorgestellen eingespart werden.
Eine erste Folge von weltlichen Gebietsveränderungen infolge der Neuordnung durch den Wiener Kongress (1814-1815) war dann, dass die neuen politischen Staaten auch eine "nationale Kirchenstruktur" haben wollten. Gemeinsames Ziel von Kirche und deutschen Staaten war die Angleichung der Kirchenprovinzen an die neuen staatlichen Grenzen, was eine Neuordnung der Bistümer zur Folge hatte. Diese Neuordnung konnte nur durch Rom vorgenommen werden. Zur einvernehmlichen Regelung erfolgten Konkordatsvereinbarungen (in Bayern 1817**), mit denen nicht nur die Neuorganisation der Bistümer sondern die seit der Säkularisation offenen Fragen der Konkordanz zwischen Kirche und Staat neu geregelt werden sollten. In Baden-Württemberg hat dies zur Neugründung der Bistümer Freiburg und Rottenburg geführt, zur Auflassung des traditionsreichen Bistums Konstanz und zu Gebietsveränderungen der Bistümer Fulda, Limburg und Mainz, die dem neuen Bistum Freiburg unterstellt wurden. In Bayern wurden die seit der Antike bestehende kirchliche Grenze am Inn aufgehoben, das zu Salzburg gehörende Bistum Chiemsee aufgelöst und das neue Erzbistum München-Freising (in Nachfolge des Fürstbistums Freising) bis an die Landesgrenzen Bayerns ausgedehnt.
Eine weitere Folge war dann aber auch, dass die früher konfessionell sehr einheitlichen weltlichen Herrschaften plötzlich mit starken konfessionellen Minderheiten im jeweiligen Land zurecht kommen mussten. Das katholische Herrscherhaus der Wittelsbacher im Königreich Bayern - um die protestantischen Gebiete in Franken erweitert - musste zur "Sicherung des inneren Friedens" schon sehr früh (Religionsedikte von 1803 und 1809) die Gleichbehandlung der christlichen Konfessionen (Katholiken, Lutheraner, Reformierte) anerkennen. Das bedeutete die Abkehr vom Grundsatz des Cuius regio, eius religio, auch cuius regio, illius religio, der seit dem Passauer Vertrag (1552) und dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 den Herrschenden erlaubte, die Konfession der Untertanen zu bestimmen.
Neues Staatskirchenrecht
Das Verhältnis vom Staat zu den Kirchen (und nicht mehr nur zu einer Kirche) musste auf eine völlig neue Grundlage gestellt werden. Bayern war hierbei ein "Vorreiter der Entwicklung". Max I. Joseph erließ am 17. Juni 1818 das „Edict über die äußern Rechtsverhältnisse der Einwohner des Königreichs Bayern, in Beziehung auf Religion und kirchliche Gesellschaften“ (Religionsedikt von 1818) als Beilage zur Verfassung und am 7. November 1818 eine „Königliche Erklärung, die II. Verfassungs-Beilage und deren Anhänge betreffend“, in der die bisher geübte Toleranz- und Paritätspolitik bestätigt wurde. Gleichzeitig wurde das Konkordat auch lediglich als einfaches Gesetz verkündet und dem Religionsedikt, das selbst Bestandteil der Verfassung war, als Anhang beigegeben, um die Priorität des Religionsediktes zu verdeutlichen.
Neben umfangreichen organisatorischen und finanziellen Regelungen schuf das Konkordat unter dem Vorrang der staatlichen Verfassung auch die Grundlage für das heute noch im Reichskonkordat und verfassungsrechtlich verankerte Recht der Kirche (und anderer Religionsgemeinschaften) zur Selbstordnung und Selbstverwaltung der eigenen Angelegenheiten. Artikel XII sicherte der Kirche nämlich Freiheit in ihren geistigen Aufgaben und der „Communication (...) in geistlichen Dingen und kirchlichen Angelegenheiten“ mit dem Papst und den Gläubigen zu und erweiterte die Zuständigkeiten der kirchlichen Gerichte wieder auf „geistliche Sachen und insbesondere Ehesachen“. Diese Begrenzung auf die eigenen Angelegenheiten führt zudem zwangsläufig dazu, dass kirchliche Normen für Personen, die der Kirche nicht angehören, keine Rechtswirkung erklangen können. Auch das ist in den Konkordatsvereinbarungen normiert. Eine kirchliche Regelungsbefugnis ist danach nur für die Mitglieder der Kirche selbst zugestanden. Mit dem Konkordat hat die Kirche diese Beschränkung der kirchlichen Handlungsbefugnisse für sich akzeptiert. Dazu kam die wieder zugestandene Verfügungsgewalt für das nach der Säkularisation neu erworbene Kircheneinkommen und das daraus gebildete Kirchenvermögen (wofür den kirchlichen Rechtspersönlichkeiten auch wieder eine staatliche Anerkennung zur Einbindung in das staatliche Rechtsleben bestätigt werden musste).
Diese Angelegenheiten werden auch heute noch als eigene Angelegenheiten der Kirche verstanden. Hier ist alleine der kirchliche Rechtskreis maßgeblich. Dort, wo sich kirchlicher und staatlicher Rechtskreis überschneiden, handelt es sich um keine eigenen Angelegenheiten der Kirche mehr. Der Staat bestimmt zudem durch das "für alle geltende Gesetz" die Grenzen der kirchlichen Selbstverwaltung, so dass die Kirche nicht mehr "Staat im Staate" sein kann sondern - selbstverständlich - auch den staatlichen Normen voll umfänglich unterworfen ist, soweit der Staat nicht ausdrücklich eine Ausnahme zulässt.
Was zunächst nur für die christlichen Religionen gedacht war, wirkt sich heute im säkulären Staat auch auf andere Religionsgemeinschaften aus. Was den beiden großen christlichen Kirchen - Katholiken und Protestanten - zugestanden wird, kann anderen Religionsgemeinschaften wie Orthodoxen Christen, Assyrern, Juden oder Muslimen, Buddhisten oder Hindus, nicht verwehrt werden.
Das gilt umgeklehrt genauso: wer etwa die Geltung der Scharia ablehnt, kann nicht gleichzeitig den christlichen Kirchen ein Recht zur Vorgabe kirchlicher Normen mit vergleichbareren Regelungsinhalten (Anforderungen zum persönlichen Verhalten bis in das Privatleben hinein) zugestehen.
Anmerkungen:
*)
Unter den vielen möglichen Daten haben wir uns für die Tegernseer Erklärung vom 15. September 1821 entschieden. Mit dieser Erklärung hat Bayern das Konkordat von 1817 als bayerisches Gesetz voll umfänglich in Kraft gesetzt - im Rang nach den verfassungsrechtlichen Grundlagen. Damit konnte Bischof Lothar Anselm Freiherr von Gebsattel zum ersten Bischof der neuen Erzdiözese München-Freising geweiht werden und seine Münchner Kathedrale, dem Bistum und seinem vom Staat bereit gestellten Palais in Besitz nehmen.
Die Erklärung erfolgte in Tegernsee - dem säkularisierten Kloster, das sich seit 1817 im persönlichen Besitz von König Maximilian I. Joseph befand und später zu einem Landsitz der Wittelsbacher wurde.
Als bayerischer Blog liegt ein Datum aus Bayern nahe. Andere Daten wären etwa die päpstliche Bulle "De salute animarum" vom 16. Juli 1821 für Preußen (vgl. katholisch.de) oder das auf den 16. August 1821 datierte päpstliche Dokument "Provida solersque" zur Neuordnung der katholischen Kirche im Südwesten Deutschlands gewesen (vgl. katholisch.de).
**)
Das Konkordat von 1817 blieb bis zum Ende der bayerischen Monarchie 1918, nach dem ersten Weltkrieg in Kraft und wurde 1924 in Anpassung an die geänderten politischen Verhältnisse erneuert. Das Bayerische Konkordat aus dem Jahr 1924 löste das Konkordat des Jahres 1817 ab und ist mit Änderungen bis heute in Kraft. Das bayerische Konkordat von 1924 kann wiederum als Vorläufer der Landeskonkordate mit Preußen (1929) und Baden (1932) sowie des heute noch geltenden Reichskonkordats vom 20. Juli 1933 mit z.T. sogar wortidentischen Formulierungen gelten.
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