Freitag, 2. Februar 2024

Wieder einmal - Kirchenaustritt als Kündigungsgrund

der SPIEGEL berichtet aktuell:
Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts
Streit wegen Kirchenaustritt geht vor den Europäischen Gerichtshof
Ist der Austritt aus der Kirche ein Kündigungsgrund? Das Bundesarbeitsgericht legt den Fall einer Sozialpädagogin nun dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg vor.

Muss man für einen Job in einem kirchlichen Verein zwingend Mitglied in einer Kirche sein? Diese Frage legt das Bundesarbeitsgericht (BAG) nun dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vor.
Die Luxemburger Richter sollen nun klären, ob einer Schwangerschaftsberaterin der Austritt aus der katholischen Kirche vorgeworfen werden kann, wenn der Arbeitgeber von anderen Beschäftigten die Kirchenmitgliedschaft gar nicht verlangt (Aktenzeichen: 2 AZR 196/22 ).
Die Klägerin war als Sozialpädagogin in einem katholischen Verein für Schwangerschaftsberatung beschäftigt. Von 2013 bis 2019 war sie in Elternzeit und trat unterdessen aus der katholischen Kirche aus. Versuche des kirchlichen Arbeitgebers, sie zum Wiedereintritt zu bewegen *), scheiterten.
Daraufhin kündigte der Verein der Sozialpädagogin fristlos, hilfsweise ordentlich. Durch ihren Kirchenaustritt habe die Sozialpädagogin »schwerwiegend gegen ihre Loyalitätsobliegenheiten verstoßen«. ...
wir wollen das Dauerthema "Diskriminierungsverbot und AGG vrs. Grundordnung" hier nicht schon wieder ausbreiten. Das haben wir zuletzt anlässlich der Kündigung einer aus der Kirche ausgetretenen Hebamme getan.
Aber wir wären nicht mehr der Blog zum kirchlichen (katholischen) Arbeitsrecht, wenn wir diese Meldungen einfach übergehen würden.

Daher hier einige weitere Links zum "aktuellen Fall":
Pressemeldung des Bundesarbeitsgerichts vom 01.02.2024 Nr. 3/24 - Weiteres Vorabentscheidungsverfahren zur Kündigung wegen eines Austritts aus der katholischen Kirche unter Verweis auf Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 1. Februar 2024 – 2 AZR 196/22 (A) – und Vorinstanz: Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 1. März 2022 – 8 Sa 1092/20 –

ÄrzteZeitung: Diskriminierung aus religiösen Gründen? Kündigung nach Kirchenaustritt: Bundesarbeitsgericht ruft europäischen Gerichtshof an
Domradio: EuGH muss sich erneut mit Thema befassen
evangelisch.de: Europäischer Gerichtshof muss Kündigung nach Kirchenaustritt klären
katholisch.de: EuGH entscheidet nun doch über Kündigung nach Kirchenaustritt
Legal Tribune Online: Grund­satz­frage liegt erneut beim Bun­des­ar­beits­ge­richt
Legal Tribune Online: Darf die Kirche einer Mit­ar­bei­terin nach Kir­chen­au­s­tritt kün­digen?

Allgemein zum Thema:
Frankfurter Rundschau: Die katholische Kirche sollte Beschäftigte nicht dazu zwingen dürfen, Mitglied in der Institution sein zu müssen (17-07-2022).
Frankfurter Rundschau: Ende der Sonderrechte der Kirche? Keine extra Vorschriften zur Lebensweise von Angestellten (10-12-2022)
ver.di: Ungleichbehandlung beenden - Arbeitnehmer*innen in kirchlichen Betrieben haben nur eingeschränkten Diskriminierungsschutz (29-08-2023)


Jedenfalls scheint es zumindest wieder einmal so zu sein, dass kirchlicherseits der "Schrankenvorbehalt des für alle geltenden Gesetzes" verletzt wird.
Unter den derzeitigen Umständen kann man einer MAV in einem Kündigungsgrund nur raten, der Kündigung "wegen Kirchenaustritts" zu widersprechen, wenn auch nur geringste Zweifel daran bestehen, dass die Kirchenzugehörigkeit für die ausgeübte Tätigkeit von Bedeutung ist. Wenn die Kirche diese rechtliche Vorgabe "überdehnt", dann überschreitet sie nach dem "Schrankenvorbehalt der für alle geltenden Gesetze" die ihr eingeräumten Befugnisse - und das ist weder durch die Verfassung(en) noch - für die katholische Kirche - durch das Reichskonkordat abgedeckt.

Ergänzend ein kleiner Link in die Statistik: Kirchenaustritte 1992 - 2022 nach Statista.de
(Quelle: Statista.de)
(Quelle: Statista.de)

=> Wird es da nicht Zeit, bei sich - also in der Kirche - selbst nach der Ursache von Kirchenaustritten zu suchen und diese Ursachen zu beseitigen, als Zwang bis hin zu arbeitsrechtlichen Konsequenzen auszuüben?



*) Bei der Gelegenheit - wir können es nicht lassen - ein kleiner Verweis auf das universelle Kirchenrecht
Can. 748 § 2 CIC:
Niemand hat jemals das Recht, Menschen zur Annahme des katholischen Glaubens gegen ihr Gewissen durch Zwang zu bewegen.
Was ist die Kündigungsdrohung der Grundordnung für den Falle eines Kirchenaustritts anderes, als ein so ausdrücklich verbotener Zwang? Oder geht es gar nicht um den katholischen Glauben, sondern nur um eine formale Mitgliedschaft in der Gemeinschaft der Steuerzahler?

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