- Ist es nicht so, dass Gewerkschaft und Kirche ein Verhältnis haben wie Teufel und Weihwasser?
- Ist es nicht so, dass Gewerkschafter um Zutrittsrechte und "Schwarze Bretter" in kirchlichen Einrichtungen kämpfen müssen?
- Geht nicht das Gerücht, mit dem "Übel", vor dem uns der Herr bewahren möge, seien vor allem die Gewerkschaften und ihre Mitglieder gemeint?
"Laborem exercens" und "Entweltlichung" - päpstliche Empfehlungen für Deutschland
Unsere katholische Kirche hat ein Gespür für symbolische Handlungen, für historische Daten und die Kontinuität der Geschichte. Da ist es dann durchaus bemerkenswert, wenn der äusserst feinsinnige "deutsche" Papst Benedikt, der Deutschland als seine Heimat kennt wie kaum ein anderer Papst, in einem September seinen deutschen Landsleuten eine Sozialenzyklika besonders ans Herz legt. Der Monat September hat nämlich für Deutschland und die kath. Soziallehre eine besondere Bedeutung. Am 24. September 1912 wurde eine Sozialenzyklika speziell an die Bischöfe Deutschlands addressiert. Und am 10. September 1933 trat das "Reichskonkordat" in Kraft, mit dem die kath. Kirche die staatlichen Gesetze als Grenzen des eigenen Selbstordnungs- und Selbstverwaltungsrechts vereinbarte.
Am 14. September 2006 erklärte nun Papst Benedikt
... angetrieben, hat die Kirche unter der Führung des Geistes die Antworten auf die Herausforderungen, die im Laufe der Geschichte auftraten, immer neu im Wort Gottes gesucht.Was ist so besonderes an dieser Enzyklika, dass sie Papst Benedikt so prominent als Lösungsempfehlung für die "heutigen Herausforderungen" seiner Heimat "an's Herz gelegt" hat?
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Ich unterstreiche das bei diesem Anlaß, weil gerade heute, am 14. September, der 25. Jahrestag der Veröffentlichung der Enzyklika Laborem exercens ist
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Auf der Basis dieser Grundintuition gab der Papst in der Enzyklika einige Orientierungen, die bis heute (.) aktuell sind. Auf diesen Text, der durchaus prophetischen Wert besitzt, möchte ich auch die Bürger meiner Heimat verweisen, weil ich sicher bin, daß seine praktische Anwendung auch für die heutige gesellschaftliche Situation Deutschlands von großem Nutzen sein kann....
In der Enzyklika LABOREM EXERCENS hat Papst Johannes-Paul II insbesondere auch die Bedeutung der Gewerkschaften gewürdigt (Nr. 20).
"Ihre Aufgabe ist die Verteidigung der existentiellen Interessen der Arbeitnehmer in allen Bereichen, wo ihre Rechte berührt werden. Die historische Erfahrung lehrt, daß Organisationen dieser Art ein unentbehrliches Element des sozialen Lebens darstellen, vor allem in den modernen Industriegesellschaften. Das bedeutet freilich nicht, daß nur Industriearbeiter Vereinigungen dieser Art errichten könnten. Die Angehörigen aller Berufe können sich ihrer zur Sicherung der jeweiligen Rechte bedienen."Der Papst beschrieb dann den gewerkschaftlichen Kampf für die soziale Gerechtigkeit, für die berechtigten Ansprüche der Arbeitenden in den verschiedenen Berufen wie folgt:
"... Dieser »Kampf« muß jedoch als ein normaler Einsatz für ein gerechtes Gut angesehen werden: in diesem Fall für das Wohl, das den Bedürfnissen und Verdiensten der nach Berufen zusammengeschlossenen Arbeitnehmern entspricht. Es ist dies aber kein Kampf gegen andere.Nichts anderes - das möchten wir bemerken - passiert derzeit in der Auseinandersetzung zwischen ver.di und kirchlichen Arbeitgebern.
...
Bei ihrem Einsatz für die berechtigten Forderungen ihrer Mitglieder bedienen sich die Gewerkschaften auch der Methode des Streiks, das heißt der Arbeitsniederlegung als einer Art von Ultimatum, das sich an die zuständigen Organe und vor allem an die Arbeitgeber richtet. Sie wird von der katholischen Soziallehre als eine unter den notwendigen Bedingungen und in den rechten Grenzen erlaubte Methode anerkannt. Auf dieser Grundlage müßte den Arbeitnehmern das Recht auf Streik garantiert werden, ohne daß ihre Teilnahme daran negative Folgen für sie nach sich zieht. Wenn man zugibt, daß der Streik ein erlaubtes Mittel ist, muß man jedoch gleichzeitig hervorheben, daß er in gewissem Sinn ein äußerstes Mittel bleibt. Man darf ihn nicht mißbrauchen, vor allem nicht für politisches Taktieren. Auch darf man nie außer acht lassen, daß die für das Leben und Zusammenleben der Bürger notwendigen Dienstleistungen auf jeden Fall sichergestellt werden müssen, wenn nötig, durch besondere gesetzliche Maßnahmen.
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Und bemerkenswert ist auch, dass die einzelnen Tage des Pastoralbesuches von Papst Benedikt XVI. eigenen Themenkreisen gewidment waren. Die Ansprache an der Universität Regensburg am 12. September 2006 sollte den Dialog mit dem Islam befördern.
Seine Ansprache am 14. September im Dom zu Freising war an die Priester und ständigen Diakone aus Bayern gerichtet.
War seine Rede dann am Flughafen auch an die Laien im kirchlichen Dienst addressiert?
Kardinal Paul Josef Cordes weist in seiner Streitschrift "ENTWELTLICHUNG - Benedikts Vermächtnis und Franziskus' Auftrag" (Herder, 2013, ISBN 978-3-451-21977-1) auf eine weitere Aussage von Papst Benedikt hin. Eine Aussage, die vor allem für deutsche Ohren gedacht war, wie der Mitautor und Theologen Manfred Lütz in einem Interview mit dem "Münchner Merkur" deutlich macht:
"... wenn ein deutscher Papst in Deutschland vor Deutschen auf Deutsch redet, meint er wahrscheinlich nicht Nicaragua..."Unter der Überschrift "Dissonanzen im Konzerthaus - Ein Papst provoziert" führt Kardinal Cordes zur Ansprache von Benedikt XVI. am 25. September 2011 an engagierten Katholiken aus Kirche und Gesellschaft - 99 Jahre nach "Singulari quadam" - aus:
" Wohl selten hat die Rede eines römischen Bischofs in Deutschland solche Wellen geschlagen wie diejenige Papst Benedikts XVI. bei seinem Besuch im Konzerthaus in Freiburg am 25. September 2011. ... Die zentrale Aussage, die der Papst dann noch näher ausführte, lautete. "Um ihre Sendung zu verwirklichen, wird sie (die Kirche) auch immer wieder Distanz zu ihrer Umgebung nehmen müssen, sich gewissermaßen "entweltlichen." Was das heißt und was das nicht heißt, darum soll es in diesem Buch gehen."Und bereits im Vorwort machen die beiden Autoren deutlich, um was es dem deutschen Papst Benedikt bei dieser Ansprache ging - um nichts weniger als die Aufforderung an die kath. Kirche, auf ihre vom Staat zugestandenen arbeitsrechtlichen Privilegien zu verzichten:
"... Wenn die Überzeugung der Mitarbeiter erheblich von diesen Prinzipien abweicht, dann entwickelt sich das Arbeitsrecht zum Instrument einer weltanschaulichen Nötigung, und das akzeptieren weder die einzelnen Betroffenen noch die Gesellschaft als Ganzes.(so wird Benedikt zitiert)
...
gesellschaftlich gelten vor allem arbeitsrechtliche Konsequenzen aus persönlichen Lebensentscheidungen als absolut inakzeptabel. Die öffentliche Empörung in jedem solchen Fall schadet dem Ruf der Kirche aufs Schwerste.
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Inzwischen ist die Situation soweit eskaliert, dass dringend Konsequenzen gezogen werden müssen.
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Entweltlichung ...
... "heißt natürlich nicht, sich aus der Welt zurückzuziehen, sondern das Gegenteil. Eine vom Weltlichen entlastete Kirche vermag gerade auch im sozial-caritativen Berich den Menschen, den Leidenden wie ihren Helfern, die besondere Lebenskraft des christlichen Glaubens zu vermitteln."Aus dem Vorwort der beiden Autoren kann weiter zitiert werden:
...
... Institutionelle Macht über Menschen auszuüben, bei denen von vorneherein klar ist, dass sie sich gar nicht mit der Kirche identifizieren wollen, toleriert die Gesellschaft nicht mehr.Der Koautor - der katholische Theologe und Mediziner Dr. Manfred Lütz - ergänzt dann im zweiten Teil des Buches (S. 109 ff):
...
Ob es der Kirche hierzulande freilich gelingen wird, aus eigener Einsicht und eigenen Kräften eine Wende herbeizuführen, das ist ungewiss. Vielleicht schafft die Kirche den Verzicht auf institutionelle Macht ja nicht aus eigenem Antrieb. Dann bleibt nur die Alternative einer gnädigen Säkularisation von außen. ...
Die katholische Kirche in Deutschland hatte die Freiburger Rede Papst Benedikt XVI. ohne offensichtliche größere Schäden überstanden. Man hatte sie geistreich totgelobt, eifrig totgeschwiegen oder halsbrecherisch uminterpretiert. So hatte man die Bombe entschärft und dafür gesorgt, dass diese Rede außerhalb des Freiburger Konzerthauses keinerlei Wirkung entfalten konnte, und daher passiert als Konsequenz aus dieser letzten großen Rede des deutschen Papstes in Deutschland tatsächlich: nichts!und weiter (S. 113):
...
Aber gerade weil nichts passierte, passiert sehr viel. Weil die Kirche in Deutschland einfach so weitermachte, wie bisher, donnerte nun alle paar Monate irgendein Dachbalken herunger als untrügliches Zeichen dafür, dass die Kirche entweder das Programm Benedikts XVI. schleunigst umzusehen hatte oder mit ansehen musste, wie die oft fassadenhaften und morschen kirchlichen Institutionen nach und nach zusammenstürzten.
...
Selbst wenn sie vor Gericht verlor, wurde der Grundsatz der verfassungsrechtlich gesicherten Freiheit in der Gestaltung ihrer Arbeitsverhältnisse nicht angetastet. Doch das öffentliche Bild der Kirche erlitt schweren Schaden. ...
...Wie kann man als Kirche in einer immer mehr entkirchlichten Gesellschaft weiterhin so viele Arbeitsplätze unterhalten, ohne nicht immer wieder in Konflikte zu geraten und die eigene Glaubwürdigkeit auf Speil zu setzen? Müssen hier nicht endlich Konsequenzen gezogen werden, und vor allem: Könnte nicht der inständige Entweltlichungs-Appell Papst Benedikts XVI. in seiner Freiburger Rede und die in die gleiche Richtung weisenden entschlossenen Impulse von Papst Franziskus Auswege weisen?
...
Wir meinen - ja: mit seinen Hinweisen wollte Papst Benedikt XVI. in seiner ihm eigenen, feinsinnigen Art einen Fingerzeig geben, wie auch die katholische Kirche in Deutschland das kirchliche Arbeitsrecht gestalten sollte. Oder, um es mit Dr. Lütz zu sagen (S. 143):
Das Ganze wäre jedenfalls ein Abgeben von weltlicher Macht, von Arbeitgebermacht, aber zugleich die Chance für eine Neubelebung der Caritas und ein Gewinn an Glaubwürdigkeit. Denn wenn die Caritas die Kirche über die Jahrhunderte getragen hat, dann ist eine Krise der Caritas eine fundamentale Krise der Kirche. Weil die Zukunft der Caritas die Zukunft der Kirche bestimmt, nicht zuletzt deswegen hat Papst Benedikt XVI. seine erste programmatische Enzyklika der Caritas gewidment.Und wir möchten mit einem Zitat von Lütz aus dem bereits angeführten Interview mit dem Münchner Merkur schließen:
...Wer allerdings weiter am ("Kosten-)Wettbewerb der Wege" festhält, und einen gemeinsamen, allgemein verbindlichen Sozialtarifvertrag als Basis für gute Löhne und eine faire Refinanzierung ablehnt, der muss erklären, warum er die damit einhergehenden prekären Löhne billigend in Kauf nimmt.
Das Problem sind übrigens nicht die Bischöfe. Viele von denen stimmen meinen Thesen zu. Aber es gibt eine Funktionärsschicht, die natürlich auch Macht zu verlieren hat und auf Veränderungsvorschläge schon seit Jahren ziemlich ungemütlich reagiert.
...
Ach ja - und um zur Eingangsfrage zurück zu kommen:
Wenn das Verhältnis zwischen Gewerkschaft und Kirche wirklich so ist wie zwischen Beelzebub und Weihwasser - dann frag ich mich immer, warum das Weihwasser so viel Angst vor der gewerkschaftlichen Betätigung in kirchlichen Einrichtungen hat. ....
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