Wenn eine katholische Organisation einer Angestellten wegen ihres Kirchenaustritts kündigt, kann das nach einem neuen Gutachten am Europäischen Gerichtshof (EuGH) Diskriminierung sein. Diese Auffassung vertrat die zuständige Generalanwältin Laila Medina in ihren am Donnerstag in Luxemburg vorgelegten Schlussanträgen zu einem Fall aus Deutschland. Es ging um eine Sozialpädagogin, die in einem katholischen Verein für Schwangerschaftsberatung arbeitete. (Az. C-258/24)Etwas ausführlicher wird die Sachlage in der Pressemitteilung Nº 91/2025 des EuGH vom 10. Juli 2025 über den Schlußanträge des Generalanwaltes in der Rechtsache C-258/24 Katholische Schwangerschaftsberatung wieder gegeben:
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Generalanwältin Medina vertrat nun die Ansicht, dass sich die Kündigung in einem solchen Fall nicht rechtfertigen lasse. Eine Kündigung wegen Kirchenaustritts sei nur dann möglich, wenn der Beruf es erfordere, Kirchenmitglied zu sein, und wenn die Arbeitnehmerin öffentlich gegen das Ethos der Kirche handle.Ein Kirchenaustritt allein bedeute noch nicht, dass die Mitarbeiterin die Grundprinzipien und Werte der Kirche nicht weiter befolge und ihre Pflichten nicht mehr erfülle, erklärte die Generalanwältin.
Die europäischen Richterinnen und Richter müssen sich nicht an das juristische Gutachten halten. Sie orientieren sich aber bei ihren Urteilen oft daran. Ein Termin für das Urteil wurde noch nicht bekanntgegeben. Den konkreten Fall muss später das deutsche BAG entscheiden und dabei die Rechtsauffassung des EuGH berücksichtigen.
Generalanwältin Medina: Die Kündigung eines Arbeitnehmers durch eine katholische Organisation wegen seines Austritts aus der katholischen Kirche kann eine Diskriminierung wegen der Religion darstellen
Dies sei der Fall, wenn die Organisation die fragliche Berufstätigkeit nicht von der Zugehörigkeit zur katholischen Kirche abhängig gemacht hat und der Arbeitnehmer nicht offen in einer Weise handelt, die dem Ethos dieser Kirche zuwiderläuft
Die Katholische Schwangerschaftsberatung ist ein Frauen- und Fachverband in der katholischen Kirche in Deutschland. Er berät u. a. Schwangere, insbesondere in Bezug auf Schwangerschaftsabbrüche. Die Beschäftigten des Verbandes müssen zwar nicht katholisch sein, auf sie finden jedoch besondere Beschäftigungsbedingungen der katholischen Kirche Anwendung1. Bei katholischen Arbeitnehmern wird der Austritt aus der katholischen Kirche als schwerwiegender Verstoß gegen die Loyalitätspflicht gegenüber dem Arbeitgeber erachtet und kann eine Kündigung nach sich ziehen. Der Kirchenaustritt gehört nach kanonischem Recht zu den schwersten Vergehen gegen den Glauben und die Einheit der Kirche.
2019 kündigte die Katholische Schwangerschaftsberatung einer ihrer Beraterinnen im Bereich schwangerschaftsbezogener Projekte, weil sie aus der katholischen Kirche ausgetreten war2 und sich weigerte, wieder in sie einzutreten. Zu dieser Zeit bestand das Beratungsteam für Schwangerschaftsabbrüche aus sechs Personen, darunter zwei Mitglieder der evangelischen Kirche.
Die Beraterin hat die Kündigung mit Erfolg vor den unteren deutschen Arbeitsgerichten angefochten. Die Katholische Schwangerschaftsberatung wandte sich daraufhin an das Bundesarbeitsgericht. Dieses fragt sich, ob die Kündigung eine zulässige Ungleichbehandlung darstellt. Es hat daher den Gerichtshof um weitere Hinweise3 zur Auslegung der Richtlinie über Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf4 ersucht, insbesondere zu den darin vorgesehenen Ausnahmeregelungen5 in Bezug auf bestimmte berufliche Anforderungen.
In ihren Schlussanträgen von heute vertritt Generalanwältin Laila Medina die Auffassung, dass die Kündigung eines Arbeitnehmers durch eine religiöse Organisation wegen seiner Entscheidung, aus einer bestimmten Kirche auszutreten, in einem Fall wie dem vorliegenden sich nicht anhand der Richtlinienbestimmung rechtfertigen lasse, die bei beruflichen Tätigkeiten in Kirchen und religiösen Organisationen unter bestimmten Voraussetzungen Ungleichbehandlungen wegen der Religion zulässt6. Die Voraussetzungen dieser Bestimmung seien nicht erfüllt, wenn die Ausübung der beruflichen Tätigkeiten es nicht erfordert, Mitglied der fraglichen Kirche zu sein, und der betreffende Arbeitnehmer nicht öffentlich wahrnehmbar in einer Weise handelt, die dem Ethos dieser Kirche zuwiderläuft.
Eine berufliche Anforderung könne als wesentlich im Sinne dieser Bestimmung anzusehen sein, wenn die Tatsache, dass sich der betreffende Arbeitnehmer nicht zu einer Religion bekennt, ihn aufgrund der Art der beruflichen Tätigkeit und der Umstände ihrer Ausübung sowie unter Berücksichtigung des Ethos der Organisation für die Ausübung dieser Tätigkeit ungeeignet werden lässt.
Eine berufliche Anforderung, die in der kontinuierlichen Zugehörigkeit zu einer Kirche besteht, sei jedoch dann nicht als wesentlich anzusehen, wenn eine als Arbeitgeber handelnde religiöse Organisation die Ausübung einer beruflichen Tätigkeit nicht von dieser Religionszugehörigkeit abhängig macht und die Organisation außerdem Personen mit anderen Religionszugehörigkeiten zur Ausübung eben dieser Tätigkeit beschäftigt. Der Austritt aus der fraglichen Kirche lasse für sich genommen noch nicht die Annahme zu, dass der betreffende Arbeitnehmer nicht beabsichtigt, weiterhin die Grundprinzipien und Werte der betreffenden Kirche zu befolgen, und dass er automatisch aufhören wird, die für ihn aufgrund des Arbeitsverhältnisses geltenden Pflichten zu erfüllen.
Die Generalanwältin betont, dass die Richtlinie über Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf einen angemessenen Ausgleich herstelle zwischen dem Recht der Kirchen auf Autonomie und dem Recht der Arbeitnehmer, nicht wegen ihrer Religion diskriminiert zu werden.
Das Recht von Kirchen auf Autonomie dahin auszulegen, dass es einer religiösen Organisation erlaubt wäre, einem Arbeitnehmer unter diesen besonderen Umständen zu kündigen, liefe darauf hinaus, anzuerkennen, dass über dieses Recht auf Autonomie die Einhaltung der in der Richtlinie genannten Kriterien der gerichtlichen Kontrolle entzogen würde.
Eine derartige Auslegung liefe auch der Religionsfreiheit des Einzelnen zuwider, die ausdrücklich in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union7 gewährleistet werde und der in der Europäischen Menschenrechtskonvention gewährleisteten Religionsfreiheit8 entspreche.
HINWEIS: Die Schlussanträge sind für den Gerichtshof nicht bindend. Aufgabe der Generalanwältin bzw. des Generalanwalts ist es, dem Gerichtshof in völliger Unabhängigkeit einen Entscheidungsvorschlag für die betreffende Rechtssache zu unterbreiten. Die Richterinnen und Richter des Gerichtshofs treten nunmehr in die Beratung ein. Das Urteil wird zu einem späteren Zeitpunkt verkündet.
HINWEIS: Mit einem Vorabentscheidungsersuchen haben die Gerichte der Mitgliedstaaten die Möglichkeit, dem Gerichtshof im Rahmen eines Rechtsstreits, über den sie zu entscheiden haben, Fragen betreffend die Auslegung des Unionsrechts oder die Gültigkeit einer Handlung der Union vorzulegen. Der Gerichtshof entscheidet dabei nicht den beim nationalen Gericht anhängigen Rechtsstreit. Es ist Sache des nationalen Gerichts, über die Rechtssache im Einklang mit der Entscheidung des Gerichtshofs zu entscheiden. Diese Entscheidung des Gerichtshofs bindet in gleicher Weise andere nationale Gerichte, die mit einem ähnlichen Problem befasst werden.
Zur Verwendung durch die Medien bestimmtes nicht amtliches Dokument, das den Gerichtshof nicht bindet.
Der Volltext der Schlussanträge wird am Tag der Verlesung auf der Curia-Website veröffentlicht.
Pressekontakt: Hartmut Ost ✆ +352 4303-3255
Filmaufnahmen von der Verlesung der Schlussanträge sind verfügbar über „Europe by Satellite“ ✆ (+32) 2 2964106.
Nachtrag - weitere Quellen:
Domradio: Diskriminierung wegen Religion?
katholisch.de: EuGH-Generalanwältin sieht Kirchenaustritt nicht als Kündigungsgrund
LTO: Kündigung wegen Kirchenaustritts kann diskriminieren
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