Jahrelanger Streit um
Kirchlichkeit des Allgäu-Stifts beendet!
ver.di fordert
Streikrecht für kirchliche Beschäftigte!
Kempten, den 18. 07. 2012
Bei der
Eröffnungsveranstaltung der ver.di-Aktionswoche „Streikrecht ist Grundrecht“ am
vergangenen Montag im Kemptener Gewerkschaftshaus verkündete Jutta Aumüller von
ver.di-Allgäu die Nachricht, dass die jahrelange Auseinandersetzung, ob der
Pflegeheimbetreiber Allgäu Stift eine kirchliche Einrichtung ist oder nicht,
beendet ist. Wie bereits mehrfach berichtet, wollte ver.di in den Einrichtungen
des Allgäu Stifts Betriebsräte wählen. Geschäftsführer Dr. Prestel verweigerte
dies stets mit der Begründung, dass sie eine kirchliche Einrichtung seien und
somit kein Betriebsrat gewählt werden kann und die Beschäftigten auch nicht unter
das weltliche Recht mit Einflussnahme der Gewerkschaften fallen würden. Die Übernahme der kirchlichen
Ordnungen, die Mitarbeitervertretungsordnung als auch die kirchlichen
Arbeitsvertragsrichtlinien für die Mitarbeiter, verweigerte Dr. Prestel
ebenfalls und schuf eigene Ordnungen für seine Häuser und entzog sich somit
sowohl dem kirchlichen als auch dem weltlichen Recht.
Die
Arbeitsgemeinschaft der Mitarbeitervertretungen der Diözese Augsburg strengte
beim kirchlichen Arbeitsgerichtshof ein Verfahren zur Klärung an. Im Februar
2012 erging im Namen der Deutschen Bischofskonferenz – dem höchsten kirchlichen
Gericht – ein Urteil, wonach festgestellt wurde, dass das Allgäu Stift keine
kirchliche Einrichtung ist, weil es sich nicht unter die Gesetzgebungsbefugnis
des Diözesanbischofs begibt. Die selbstgeschaffenen Ordnungen sind rechtswidrig
und können nicht die Geltung des Betriebsverfassungsgesetzes verdrängen.
Aumüller erleichtert:
„Mit diesem Urteil ist der Streit geklärt und es können in den Einrichtungen
des Allgäu Stifts Betriebsräte gewählt werden und auch für die Beschäftigten
Tarifverträge verhandelt werden“.
Um Tarifverträge geht
es bei der ver.di-Aktionswoche Kirchen in der Zeit vom 16. bis 20. Juli
2012. Lorenz Ganterer vom
ver.di-Landesbezirk Bayern referierte bei der Eröffnung der Aktionswoche und
stellte fest, dass für viele
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland Tarifverträge die Grundlage
für ihre Arbeits- und Einkommensbedingungen sind. In Einrichtungen der
katholischen und evangelischen Kirche sowie der Caritas und der Diakonie gilt
für die Beschäftigten ein eigenes kirchliches Arbeitsrecht. Arbeitsentgelt, Arbeitszeit,
Urlaub usw. wird nicht durch einen Tarifvertrag geregelt, sondern durch eigene
Arbeitsvertragsrichtlinien.
Die
Arbeitsvertragsrichtlinien der kirchlichen Einrichtungen kommen nach dem so
genannten „Dritten Weg“ zustande. Dieses spezielle Arbeitsrechtsmodell der Kirchen
leitet sich ab aus einer Interpretation des Artikel 140 Grundgesetz. Er
garantiert den Kirchen, ihre eigenen Angelegenheiten selbst verwalten zu
dürfen. Konkret heißt das: Die Arbeitsvertragsrichtlinien werden in Arbeitsrechtlichen
Kommissionen (ARK) verhandelt. Diese sind in der Regel paritätisch besetzt – zu
gleichen Teilen von Arbeitnehmer/innen und Arbeitgebervertretern. Doch die
Arbeitnehmerseite ist in diesen Gremien immer rechtlich schlechter gestellt:
Wer Mitglieder für die Kommission benennen darf, regelt das jeweilige Kirchenrecht
vor Ort – ohne Einfluss der Arbeitnehmerseite. Die Beschlüsse der ARK sind nur
für die Beschäftigten mit entsprechenden Arbeitsverträgen bindend – die
Arbeitgeber können jedoch mit Arbeitnehmer/innen auch andere Verträge
schließen. Zudem sind die Arbeitnehmer/innen nicht in der Lage, sich gegen
einen Beschluss effektiv zur Wehr zu setzen – Streik ist nicht erlaubt.
Die kirchlichen
Arbeitgeber in Deutschland wenden sich mit ihrer Haltung auch gegen Rom.
Papst Johannes Paul
II stellte in seiner Sozialenzyklika (1. Mai 1991) fest, dass die (katholische)
Kirche keine eigenen Modelle zum Ausgleich von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen
anzubieten habe.
Er schrieb schon
1981: „Bei ihrem Einsatz für die berechtigten Forderungen ihrer Mitglieder
bedienen sich die Gewerkschaften auch des Mittels des Streiks, das heißt der
Arbeitsniederlegung, die sie als eine Art von Ultima Ratio bezeichnen, mit der
sie sich an die zuständigen Stellen und vor allem an die Arbeitgeber richten.
Diese Verfahrensweise wird von der katholischen Soziallehre als unter den
notwendigen Bedingungen und in den rechtlichen Grenzen erlaubt anerkannt.“
Auf die
Neuausrichtung der Finanzierung, die Einführung von Wettbewerb und
Kostenkonkurrenz, haben viele kirchliche Einrichtungen damit reagiert, wie
gewöhnliche, betriebswirtschaftlich gesteuerte Wirtschaftsunternehmen zu
agieren. Der Kostendruck wurde, wie bei anderen Arbeitgeber, auch an die
Arbeitnehmer/innen weitergegeben, Ausgründungen, Leiharbeit, Flucht aus den –
kircheneigenen – Lohnregelungswerken haben Einzug gehalten. Dies haben sich die
Beschäftigten immer häufiger nicht gefallen lassen.
Seit 2008 kam es
deswegen bundesweit mehrfach zu Konflikten, um die Unterbietung des
Branchen-Tarifniveaus zu verhindern. Dabei riefen Gewerkschaften auch zum
Streik auf. Die kirchlichen Arbeitgeber haben daraufhin 2009 erstmals eine
Klage mit dem Ziel eingereicht, ein Streikverbot kirchlicher Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen
durch die Arbeitsgerichtsbarkeit feststellen zu lassen.
Inzwischen ist die
Frage des Streikrechts beim Bundesarbeitsgericht gelandet. Am 20. November 2012
wird das Bundesarbeitsgericht über das Streikrecht in kirchlichen Einrichtungen
ein Urteil fällen.
Seit Monaten machen
bundesweit Beschäftigte in kirchlichen Einrichtungen bzw. in kirchlichen
Wohlfahrtsverbänden ihren Unmut Luft: Sie kämpfen für ihre Grundrechte: Auch
für sie muss das Tarifvertragsgesetz und damit der Artikel 9 des Grundgesetzes
gelten.
Aumüller und Ganterer
sind gespannt, wann im Allgäu die ersten Tarifverhandlungen mit einem
kirchlichen Arbeitgeber aufgenommen werden.
Jutta Aumüller
Gewerkschaftssekretärin
ver.di-Bezirk Allgäu,
Hirnbeinstr. 3.87435 Kempten
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