Mittwoch, 30. August 2023

Ver.di Publik: Diskriminierung per Gesetz

mit einem Beitrag in der aktuellen Ausgabe 05/2023 mach die Mitgliederzeitschrift unserer ver.di auf die Auswirkungen des spezifisch deutschen kirchlichen Arbeitsrechts und auf die laufende Unterschriftssammlung zur Petition (siehe hier die rechte Seite) aufmerksam:
KIRCHLICHES ARBEITSRECHT — Für die 1,8 Millionen Beschäftigten der Kirchen und ihrer Wohlfahrtsverbände gelten noch immer einschränkende gesetzliche Sonderregeln
Man darf erwarten, dass die Petition im September auch beim Bundeskongress 2023 von ver.di angesprochen wird.
Kirchen beanspruchen eine Sonderstellung im Arbeitsrecht. ver.di fordert: Schluss damit! Gute Arbeitsbedingungen und Streikrecht auch für Beschäftigte in kirchlichen Betrieben!
Ver,di betrachtet natürlich die großen kirchlichen Gemeinschaften zusammen. Als "Caritas-Blog" dürfen wir auch Aspekte der katholischen Kirche und der eigenen katholischen Soziallehre ansprechen. Und da fragen wir uns natürlich, wieso sich die deutschen Bischöfe so vehement gegen das päpstliche Lehramt und das universelle Kirchenrecht stemmen. Z.B. bei der Mitbestimmung und Tarifverträgen (Mater et magistra) oder auch beim Sreikrecht (Katechismus 2435) und der Betätigungsfreiheit von Gewerkschaften generell (Laborem exercens).
Glaubwürdigkeit zur eigenen Lehre sieht anders aus.

Dienstag, 29. August 2023

§ BAG: Kündigung auch bei Hetze in kleinen Chatgruppen

Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass Äußerungen in kleinen Chatgruppen von Beschäftigten eines Unternehmens zu einer außerordentlichen Kündigung führen können.
Ein Arbeitnehmer, der sich in einer aus sieben Mitgliedern bestehenden privaten Chatgruppe in stark beleidigender, rassistischer, sexistischer und zu Gewalt aufstachelnder Weise über Vorgesetzte und andere Kollegen äußert, kann sich gegen eine dies zum Anlass nehmende außerordentliche Kündigung seines Arbeitsverhältnisses nur im Ausnahmefall auf eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung berufen.
Auch bei kleinen Whatsapp-Gruppen von befreundeten KollegInnen könne in der Regel nicht darauf vertraut werden, dass die geposteten Inhalte nicht nach außen gelangen. Insbesondere bei beleidigenden und menschenverachtenden Äußerungen über Betriebsangehörige sei mit einem Bekanntwerden gegenüber Dritten zu rechnen. 
berichten:
Pressemitteilung 33/23 des Bundesarbeitsgerichts vom 24.08.2022 zum Urteil vom 24. August 2023 – 2 AZR 17/23 –
FAZ ("Kündigung nach Whatsapp-Hetze gegen Kollegen möglich"), Legal Tribune Online (LTO "Auch in WhatsApp-Gruppen darf man den Chef nicht beleidigen"), SPIEGEL ("Pöbeln in WhatsApp-Gruppe ist Kündigungsgrund") und Süddeutsche Zeitung ("In privaten Whatsapp-Chats ist längst nicht alles erlaubt") sowie die taz ("Kündigung wegen Hetze im Chat") und die ZEIT ("Beleidigungen in geschlossenen Chats können Kündigungsgrund sein")

Der Rechtspolitischer Korrespondent Jost Müller-Neuhof (Jurist, hat im Verfassungsrecht promoviert) kommentiert (tagesesspiegel.de)
Das BAG-Urteil geht mit solchem Verhalten ... streng ins Gericht. Das ist in sittlicher Hinsicht überaus korrekt. Es könnte aber den Eindruck verstärken, dass es für Ressentiments keinerlei Rückzugsort gibt. Nicht einmal mehr das private Gespräch.
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Montag, 28. August 2023

§ ArbG Lübeck: Kündigungsschutzklage eines Kirchenmusikers nach verpasster Trauerfeier erfolgreich

manchmal gibt es doch Besonderheiten des Arbeitsrechts in der Kirche - etwa, wenn es um die kirchenspzifischen Berufe geht. Dazu gehört der Beruf der Mesner oder auch der Kirchenmusiker, die liturgische Hilfsfunktionen wahrnehmen. Aber auch da landen dann Kündigungsschutzklagen vor den staatlichen Gerichten. Das ist ein deutliches Zeichen dafür, dass auch bei arbeitsrechtlichen Problemen in diesen Berufen nicht um kircheneigene Angelegenheiten geht, infolge der Rechtswahl des kirchlichen Arbeitgebers für die Privatautonomie des staatlichen Arbeitsrechts - wie das Bundesverfassungsgericht schon 1984 im ersten Leitsatz festgestellt hat.
Ein etwas kurioser Fall einer Kündigung landete nun vor dem Arbeitsgericht Lübeck (Urteil vom 15.6.2023 - 1 Ca 323 öD/23, PM vom 16.8.2023). Es ging um einen wohl etwas "verpeilten" Kirchenmusiker, einen Künstler halt, der
bei einer Kirchengemeinde seit mehr als 25 Jahren beschäftigt ist. Aufgrund seiner langjährigen Beschäftigung ist er ordentlich unkündbar. Im Dezember 2022 sagte der Kläger gegenüber dem Gemeindebüro verbindlich die musikalische Begleitung einer vier Tage später stattfindenden Trauerfeier zu. Noch am gleichen Tage sprach der zuständige Pastor die für die Trauerfeier vorgesehene Liederauswahl auf den Anrufbeantworter des Klägers. Dieser erschien aber nicht zur Trauerfeier und war auch telefonisch nicht erreichbar. Einer Bitte des Pastors um Rückruf kam er auch nicht nach. Drei Tage später entschuldigte sich der Kläger per E-Mail und begründete sein Fehlen mit einem seit Tagen anhaltenden Dauereinsatz für ein Kindermusical.
Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage stattgegeben:
Das fahrlässige Übersehen der Trauerfeier, die fehlende Erreichbarkeit und das Verhalten im Nachhinein seien zwar gravierende Vertragsverstöße, reichten aber ohne eine vorherige thematisch einschlägige Abmahnung nicht zum Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung aus.
(kommentiert von Prof. Dr. Markus Stoffels in der Beck-Community, veröffentlicht am 21.08.2023)

Freitag, 25. August 2023

§ BVerwG: Fürsorgepflichtverletzung erfordert bei geltend gemachtem "Mobbing" Gesamtschau von Einzelmaßnahmen

Das Thema "Mobbing" ist auch und gerade im kirchlichen Bereich ein "Dauerbrenner". Das Bundesverwaltungsgericht hat nun im Urteil vom 28. März 2023 - BVerwG 2 C 6.21 - nicht nur eine Definition getroffen, was unter Mobbing zu verstehen ist:
Die Besonderheit der als "Mobbing" bezeichneten Rechtsverletzung liegt gerade darin, dass die Zusammenschau mehrerer Einzelakte zur Annahme einer Fürsorgepflichtverletzung führen kann, auch wenn die jeweiligen Einzelmaßnahmen für sich betrachtet nicht zu beanstanden oder jedenfalls nicht von ausreichender Intensität sind.
sondern auch deutlich gemacht, wie der Arbeitgeber aus seiner Fürsorgepflicht damit umzugehen hat - und dass ggf. ein Schadensersatz durch den Arbeitgeber zu leisten ist.
Die Pressemitteilung Nr. 24/2023 vom 28.03.2023 des BVerwG ist lesenswert,

Dienstag, 22. August 2023

§ nochmal BAG zur Vergütung - Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten - keine Schlechterstellung von Minijobbern gegenüber Vollzeit-Beschäftigten

Die Ungleichbehandlung von Teilzeitbeschäftigten (= Diskriminierung) beschäftigt immer noch die Fachmedien. Nun befasst sich auch die Anwältin Vanessa Taleyman im Expertenforum Arbeitsrecht (#EFAR) mit einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 18.01.2023 - 5 AZR 108/22 - wir berichteten schon am 19. Januar). Danach dürfen geringfügig Beschäftigte (Minijobber) grundsätzlich für die gleiche Arbeit nicht schlechter bezahlt werden als Vollzeit-Beschäftigte. Konkret ging es um einen nebenberuflichen Rettungsassistenten.
Die Ungleichbehandlung zwischen den (gleich qualifizierten) teil- und vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern ist nach Auffassung des Gerichts auch nicht – anders als die Beklagte behauptet hat – sachlich gerechtfertigt. Das BAG wies darauf hin, dass kein sachlicher Zusammenhang zwischen der erhöhten Planungssicherheit und der besseren Bezahlung zu erkennen sei. Auch hat das Gericht in Bestätigung seiner bisherigen Rechtsprechung (siehe etwa BAG, Urt. v. 25.04.2007 – 6 AZR 746/06; v. 28.03.1996 – 6 AZR 501/95) herausgestellt, dass die besondere steuer- und sozialversicherungsrechtliche Behandlung von Minijobbern nicht als sachlicher Grund für eine geringere Bezahlung angeführt werden könne. Diese verfolge öffentlich-rechtliche und teilweise auch arbeitsmarktpolitische Zwecke – rechtfertige jedoch keineswegs unterschiedliche Arbeitsentlohnung.

Freitag, 18. August 2023

§ BVerwG: Soziale Medien mit Kommentarfunktion können mitbestimmungspflichtige Überwachungseinrichtungen sein

Ab und an liefert ja auch das Bundesverwaltungsgericht - die MAVO und das MVG sind eher den Personalvertretungsgesetzen als dem Betriebsverfassungsgesetz nachgebildet - interessante Urteile, die schon aufgrund der inhaltlich gleichen Formulierungen für den jeweiligen Sachverhalt auf den Kirchenbereich übertragbar sind.
Eine solche Entscheidung liegt nun vor:

In § 36 Abs. 1 Nr. 9 MAVO ist geregelt, dass die
Einführung und Anwendung technischer Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter zu überwachen
der Zustimmung der MAV bedarf.
Seit Jahren ist es unstrittig, dass der Wortlaut "dazu bestimmt" rechtlich als "dazu geeignet" gelesen und verstanden werden muss. Mit der Pressemitteilung Nr. 34/2023 vom 04.05.2023 weist nun das Bundesverwaltungsgericht auf eine Entscheidung im Kontext mit sozialen Medien hin:
Betreibt eine Stelle der öffentlichen Verwaltung in sozialen Medien eigene Seiten oder Kanäle, kann wegen der für alle Nutzer bestehenden Möglichkeit, dort eingestellte Beiträge zu kommentieren, eine technische Einrichtung zur Überwachung des Verhaltens und der Leistung von Beschäftigten vorliegen, deren Einrichtung oder Anwendung der Mitbestimmung des Personalrats unterliegt. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.

...
Nach der einschlägigen Regelung des Bundespersonalvertretungsgesetzes (BPersVG) hat der Personalrat mitzubestimmen bei der Einrichtung und Anwendung technischer Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Beschäftigten zu überwachen (§ 75 Abs. 3 Nr. 17 BPersVG in der bis zum 14. Juni 2021 und inhaltsgleich nunmehr § 80 Abs. 1 Nr. 21 BPersVG in der seither geltenden Fassung). Dieses Mitbestimmungsrecht dient dem Schutz der Persönlichkeit der Beschäftigten am Arbeitsplatz und soll gewährleisten, dass Beschäftigte nicht durch eine technische Einrichtung eine ständige Überwachung befürchten müssen und dadurch unter einen Überwachungsdruck geraten. Dieser Schutzzweck gebietet es entgegen der Ansicht des Oberverwaltungsgerichts, bereits das Speichern von Nutzerkommentaren mit verhaltens- oder leistungsbezogenen Angaben als selbstständige (Überwachungs-)Leistung einer technischen Einrichtung anzusehen. Denn es birgt grundsätzlich die Gefahr in sich, dass die Dienststelle diese Daten auch auswertet, wodurch ein Überwachungsdruck bei den Beschäftigten erzeugt werden kann. Das Speichern der in Rede stehenden Kommentare kann zudem zur Überwachung der Beschäftigten "bestimmt" sein. Für ein solches Bestimmtsein reicht es aus, dass die Datenspeicherung objektiv zur Überwachung geeignet ist.
Ob das der Fall ist, hängt beim Betreiben der in Rede stehenden sozialen Medien wegen der ungewissen, nur möglichen Eingabe entsprechender Verhaltens- oder Leistungsdaten durch Dritte in tatsächlicher Hinsicht davon ab, ob bei objektiver Betrachtung im konkreten Fall eine nach Maßgabe des Schutzzwecks des Mitbestimmungstatbestandes hinreichende Wahrscheinlichkeit für das Einstellen entsprechender Nutzerkommentare gegeben ist.
...

BVerwG 5 P 16.21 - Beschluss vom 04. Mai 2023
Die Entscheidung ist schon aufgrund der wörtlichen Identität der einschlägigen Regelung 1:1 auf die Anwendung der MAVO übertragbar. Dafür spricht nicht nur die Interpretation der identischen Regelungen. Dafür spricht auch, dass die bischöflichen Gesetzgeber mit der wortgetreuen Übernahme der einschlägigen Regelungen offensichtlich auch eine identische Regelung mit identischen Rschtsfolgen schaffen wollten.

Montag, 14. August 2023

Mehr Gehalt, eine Woche weniger Arbeit – so viel bringt Ihnen ein Tarifvertrag

Mit dieser Überschrift berichte die konservatie WELT bereits im April des Jahres über eine Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung.
Die Tarifbindung ist in den vergangenen Jahren eingebrochen. Eine Studie zeigt nun, wie sehr Beschäftigte davon profitieren. Nicht nur die Gewerkschaften trommeln für mehr Bindung – auch Arbeitsminister Heil will mit einem neuen Gesetz nachhelfen.
Wir verweisen erst heute auf diese immer noch aktuelle Untersuchung, denn seit April hat sich am Ergebnis dieser Studie sicher nichts geändert. Ganz im Gegenteil: die Entwicklung der Lebenshaltungskosten bestätigen die Aussage der Studie:
„In Zeiten stark steigender Lebenshaltungskosten verfügen Beschäftigte in tarifgebundenen Betrieben deswegen eher über ein kleines finanzielles Polster“, schreiben die Studienautoren Malte Lübker und Thorsten Schulten.
Kein Wunder, dass sich die Arbeitgeber gegen eine Verpflichtung zum Abschluss von Tarifverträgen wehren, wie nun ebenfalls die WELT vermeldet:
"Tarifverträge schließt man – oder man nimmt sich sein Recht auf eine alternative Gestaltung der betrieblichen Realitäten. Das eine ist ebenso zu respektieren wie das andere“, sagt Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger.

Im Kirchenbereich belegt insbesondere die Diakonie, dass die Petition "Gleiches Recht für kirchlich Beschäftigte" auch einen konkreten finanziellen Aspekt hat. Wir haben mehrfach und immer wieder insbesondere über die Ergebnisse des "Dritten Weges" bei der Diakonie berichtet, so am 11. Juni 2014 oder erst vor wenigen Wochen zum Thema "Inflationsausgleichsprämie".
Tatsächlich zieht das Lohndumping insbesondere kirchlicher Einrichtungen das Lohngefüge der ganzen Sozialbranche "nach unten". Denn nach wie vor haben die Billigheimer, also die Günstigstbieter, einen maßgeblichen Einfluß auf die Höhe der Refinanzierung staatlicher Leistungen.

Freitag, 11. August 2023

§ BAG: Datenschutz darf kein Täterschutz sein

Mit dieser Bestätigung der ständigen Rechtsprechung der Arbeitsgerichte hat nun auch das Bundesarbeitsgericht (BAG) feststellt:
In einem Kündigungsschutzprozess besteht grundsätzlich kein Verwertungsverbot in Bezug auf solche Aufzeichnungen aus einer offenen Videoüberwachung, die vorsätzlich vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers belegen sollen. ...
...
Dabei spielt es keine Rolle, ob die Überwachung in jeder Hinsicht den Vorgaben des Bundesdatenschutzgesetzes bzw. der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) entsprach. Selbst wenn dies nicht der Fall gewesen sein sollte, wäre eine Verarbeitung der betreffenden personenbezogenen Daten des Klägers durch die Gerichte für Arbeitssachen nach der DSGVO nicht ausgeschlossen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Datenerhebung wie hier offen erfolgt und vorsätzlich vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers in Rede steht.
...
Quelle: Pressemitteilung Nr. 31/23 des Bundesarbeitsgerichts vom 29.06.2023 zum Urteil vom 29. Juni 2023 – 2 AZR 296/22 – "Offene Videoüberwachung - kein Verwertungsverbot bei vorsätzlichem vertragswidrigem Verhalten des Arbeitnehmers"

Pressebericht FAZ vom 29.07.2023: "Wann Arbeitsgerichte Überwachungsvideos verwerten dürfen"

Montag, 7. August 2023

Betriebliche Mitbestimmung als Grundrechtsverwirklichung - aber nicht in der Kirche?

Unter dieser Überschrift gehen Bernhard Baumann-Czichon und Nora Wölfl (Fachanwältin für Arbeitsrecht) der Frage nach, ob der Gesetzgebungsprozess der Herbstsynode 2023 der Evangelischen Kirche den gebotenen Mindestanforderungen entspricht. Die Ausführungen lassen sich grundsätzlich auch auf die katholische Kirche übertragen:
Wenn (soziale) Unternehmen mit bis zu über 30.000 Beschäftigten von der Anwendung staatlichen Rechts befreit werden, dann bedarf das einer besonderen Rechtfertigung. Der bloße Hinweis auf das in Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 WRV verankerte Recht der Kirchen, ihre inneren Angelegenheiten selbst zu regeln, reicht da nicht aus. Die Kirchen werden im Verhältnis zu ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nur dort von staatlichen Standards abweichen können, wo sie aus ihrem religiösen Ethos abgeleitet darlegen können, dass eine Abweichung gerechtfertigt, wesentlich und verhältnsmäßig ist. Dies ist der Maßstab, anhand dessen der EuGH und das BAG prüfen, ob kirchliche Arbeitgeber die Zugehörigkeit zur Kirche verlangen können. Betriebliche Mitbestimmung dient - so das Bundesverfassungsgericht - der Verwirklichung des Grundrechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit im Betrieb. ...
(Quelle: Arbeitsrecht + Kirche, Ausgabe 2/2023 S. 49 ff).

Wir meinen:
1. lesens- und bedenkenswert und
2. ob das religiöse Ethos der katholischen Kirche angesichts der theologisch begründeten katholischen Soziallehre (zur Mitbestimmung vgl. "Mater et magistra") eine Abweichung vom staatlichen Recht erlaubt, kann hinterfragt werden.

Freitag, 4. August 2023

§ BAG zur Einstandspflicht - Pensionskasse der Caritas

Die Sommerferien und Urlaubszeit ist die Gelegenheit, zwischendurch die Rechtsprechung aufzuarbeiten und auf die eine oder andere Entscheidung zu verweisen. Heute wollen wir zwei Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichs (BAG) aufgreifen:

Die Frage der Einstandspflicht des kirchlichen Arbeitgebers bei Zahlungsschwierigkeiten einer Betriebsrentenkasse haben wir bereits in unserem Beitrag vom 29. Juli 2020 angesprochen. Es ist erstaunlich, dass kirchliche Arbeitgeber dennoch versuchen, bis in die letzte Instanz den Rechtsweg zu ihren Gunsten auszuschöpfen.
Wir haben in unserem Beitrag "AVR Caritas - Zusatzversorgung Anlage 8 ..." weiter hinterfragt, ob folgendes zulässig ist:
1. Die Caritas-Arbeitgeber verpflichten sich zu einer Beitragszahlung, mit der eine bestimmte Leistung erwirkt werden soll.
2. Für die Leistungsbeschreibung ist auf die Satzung der Zusatzversorgungskasse verwiesen, bei der die jeweiligen Arbeitgeber auch Mitglieder sind - nicht aber eine arbeitsvertragliche Regelung geschaffen.
3. Ansprüche sollen nur gegenüber der jeweiligen Kasse geltend gemacht werden können, ...
Ein Anspruch an die Arbeitgeber soll nicht bestehen.
und diese Regelung als rechtswidrig bezeichnet.

Nun also zu den beiden Entscheidungen des BAG:
Tatbestand:
Die Anlage 1 zu den AVR enthält unter der Überschrift „Vergütungsordnung“ im Abschnitt „Sozialbezüge“ ua. folgende Regelung:
„XIII Zusätzliche Altersversorgung
Der Dienstgeber ist verpflichtet, die Versorgung der Mitarbeiter für Alter und Invalidität gemäß den Bestimmungen der Anlage 8 zu den AVR (Versorgungsordnung) zu veranlassen.“
In der Anlage 8 zu den AVR bestimmt die Versorgungsordnung B (im Folgenden VersO B) im Anschluss an die Versorgungsordnung A auszugsweise Folgendes:
...

Entscheidungsgründe
Die Beklagte (Arbeitgber) hat nach § 1 Abs. 1 Satz 3 BetrAVG für die Leistungskürzungen der Pensionskasse einzustehen.