Freitag, 4. August 2023

§ BAG zur Einstandspflicht - Pensionskasse der Caritas

Die Sommerferien und Urlaubszeit ist die Gelegenheit, zwischendurch die Rechtsprechung aufzuarbeiten und auf die eine oder andere Entscheidung zu verweisen. Heute wollen wir zwei Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichs (BAG) aufgreifen:

Die Frage der Einstandspflicht des kirchlichen Arbeitgebers bei Zahlungsschwierigkeiten einer Betriebsrentenkasse haben wir bereits in unserem Beitrag vom 29. Juli 2020 angesprochen. Es ist erstaunlich, dass kirchliche Arbeitgeber dennoch versuchen, bis in die letzte Instanz den Rechtsweg zu ihren Gunsten auszuschöpfen.
Wir haben in unserem Beitrag "AVR Caritas - Zusatzversorgung Anlage 8 ..." weiter hinterfragt, ob folgendes zulässig ist:
1. Die Caritas-Arbeitgeber verpflichten sich zu einer Beitragszahlung, mit der eine bestimmte Leistung erwirkt werden soll.
2. Für die Leistungsbeschreibung ist auf die Satzung der Zusatzversorgungskasse verwiesen, bei der die jeweiligen Arbeitgeber auch Mitglieder sind - nicht aber eine arbeitsvertragliche Regelung geschaffen.
3. Ansprüche sollen nur gegenüber der jeweiligen Kasse geltend gemacht werden können, ...
Ein Anspruch an die Arbeitgeber soll nicht bestehen.
und diese Regelung als rechtswidrig bezeichnet.

Nun also zu den beiden Entscheidungen des BAG:
Tatbestand:
Die Anlage 1 zu den AVR enthält unter der Überschrift „Vergütungsordnung“ im Abschnitt „Sozialbezüge“ ua. folgende Regelung:
„XIII Zusätzliche Altersversorgung
Der Dienstgeber ist verpflichtet, die Versorgung der Mitarbeiter für Alter und Invalidität gemäß den Bestimmungen der Anlage 8 zu den AVR (Versorgungsordnung) zu veranlassen.“
In der Anlage 8 zu den AVR bestimmt die Versorgungsordnung B (im Folgenden VersO B) im Anschluss an die Versorgungsordnung A auszugsweise Folgendes:
...

Entscheidungsgründe
Die Beklagte (Arbeitgber) hat nach § 1 Abs. 1 Satz 3 BetrAVG für die Leistungskürzungen der Pensionskasse einzustehen.

Die Klage ist in beiden Anträgen begründet. Der Kläger hat gemäß § 1 Abs. 1 Satz 3 BetrAVG einen Anspruch gegen die Beklagte, für die Leistungskürzungen der Pensionskasse einzustehen und die ausbleibenden Leistungen auch in Zukunft auszugleichen.

1. Nach § 1 Abs. 1 Satz 3 BetrAVG steht der Arbeitgeber für die Erfüllung der von ihm zugesagten Leistungen der betrieblichen Altersversorgung auch dann ein, wenn die Durchführung nicht unmittelbar über ihn erfolgt.
...
2. Die Beklagte hat dem Kläger – wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat – Leistungen der betrieblichen Altersversorgung zugesagt, für deren Erfüllung sie nach § 1 Abs. 1 Satz 3 BetrAVG einzustehen hat. Das ergibt eine Auslegung der dynamischen Verweisung in §§ 2, 5 des Dienstvertrags auf die AVR, deren Anlage 1 Abschnitt XIII und Anlage 8 sowie die VersO B.
....
b) Die Beklagte hat dem Kläger keine reine Beitragszusage erteilt, sondern ihm Leistungen der betrieblichen Altersversorgung zugesagt, die über eine Pensionskasse iSv. § 1b Abs. 3 BetrAVG – die ursprünglich sog. Selbsthilfe – durchgeführt werden sollten.
aa) Der Dienstvertrag unterliegt – wie die Beklagte zutreffend geltend macht – als von der Arbeitgeberin vorformulierte einseitig gestellte Vertragsbedingung der Auslegung nach den Grundsätzen für Allgemeine Geschäftsbedingungen (vgl. BAG 10. November 2021 – 10 AZR 257/20 – Rn. 60).
bb) Allgemeine Geschäftsbedingungen sind – ausgehend vom Vertragswortlaut – nach ihrem objektiven Inhalt und typischem Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von rechtsunkundigen, verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen sind (st. Rspr., BAG 17. Januar 2023 – 3 AZR 220/22 – Rn. 23).
...
dd) ...
(1) Kirchliche Arbeitsrechtsregelungen sind Allgemeine Geschäftsbedingungen, welchen mangels normativer Wirkung in privatrechtlichen Arbeitsverhältnissen nur über Bezugnahmeklauseln in Arbeitsverträgen Wirkung verschafft werden kann. Sie unterliegen der Kontrolle nach den §§ 305 ff. BGB (BAG 22. Juli 2010 – 6 AZR 847/07 – Rn. 24, BAGE 135, 163).
...
4. Die von der Beklagten eingewandten verfassungsrechtlichen Erwägungen führen zu keiner abweichenden Auslegung von § 5 des Dienstvertrags und der in Bezug genommenen Anlage 8 zu den AVR. Auslegungszweifel bestehen nicht. Die Anwendung von § 1 Abs. 1 Satz 3 BetrAVG begegnet ebenfalls keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
a) Der Einwand der Beklagten, sie werde entgegen Art. 12 Abs. 1 GG ohne Grundlage unzumutbar doppelt belastet, ist unbegründet. Vielmehr besteht eine valide vertragliche Anknüpfung. Sie beruht auf der vertraglichen Inbezugnahme der Anlage 8 zu den AVR.
b) Ohne Erfolg macht die Beklagte ferner geltend, sie sei den AVR alternativ- bzw. schutzlos ausgesetzt und insoweit in ihrem Recht aus Art. 12 Abs. 1 GG betroffen. Eine Verpflichtung, die AVR in den Arbeitsverhältnissen mit ihren Mitarbeitern zur Anwendung zu bringen, ergibt sich nicht aus staatlichem, sondern allenfalls aus kirchlich verfasstem Recht. Das Selbstbestimmungsrecht erfasst die Erstreckung des sog. Dritten Wegs auf die Arbeitnehmer karitativer oder diakonischer Einrichtungen. Dieses Wirken als Ausdruck des christlichen Bekenntnisses gehört nach kirchlichem Selbstverständnis zu den eigenen Angelegenheiten iSd. Art. 140 GG iVm. Art. 137 Abs. 3 WRV (BAG 20. November 2012 – 1 AZR 179/11 – Rn. 101 mwN, BAGE 143, 354).
Die Arbeitsvertragsparteien übertragen die Regelung der Arbeitsbedingungen der Arbeitsrechtlichen Kommission im Übrigen nicht im Vertrauen auf die Redlichkeit und das ausgewogene Urteil eines Dritten, sondern im Vertrauen auf die Ausgewogenheit des Verhandlungsergebnisses; die Arbeitsrechtliche Kommission steht außerhalb der konkreten Vertragsbeziehung der Parteien und regelt für eine Vielzahl von Arbeitsverhältnissen den Inhalt der Rechtsbeziehungen, die über die vertragliche Bezugnahmeklausel für das konkrete Arbeitsverhältnis wirksam werden (BAG 22. Juli 2010 – 6 AZR 847/07 – Rn. 27, BAGE 135, 163). Die Beklagte ist diesen Regelungen nicht ausgeliefert, sondern wird über die Dienstgeberseite paritätisch in der Kommission vertreten.
...
5. Die Beklagte hat den Kläger zur Zusatzversorgungs- bzw. Pensionskasse angemeldet. Die aus der Anmeldung und der Versorgungszusage resultierende Leistungspflicht ist Teil des Versorgungsversprechens geworden (vgl. BAG 3. Juni 2020 – 3 AZR 166/19 – Rn. 40).
6. Die Beklagte ist damit gemäß § 1 Abs. 1 Satz 3 BetrAVG verpflichtet, gegenüber dem Kläger für die Leistungsherabsetzung durch die Pensionskasse einzustehen.
a) Der Arbeitgeber haftet bei Ansprüchen gegen die Pensionskasse zwar nicht unmittelbar (BAG 13. Juli 2021 – 3 AZR 298/20 – Rn. 21 ff.). Senkt jedoch die Pensionskasse die gegen sie gerichteten Ansprüche ab, muss er unmittelbar einstehen. Die von § 1 Abs. 1 Satz 3 BetrAVG angeordnete Einstandspflicht begründet keine Gesamtschuld zwischen dem externen Versorgungsträger einerseits und dem die Versorgungszusage erteilenden Arbeitgeber andererseits, sondern allein die Pflicht des Arbeitgebers, für die Erfüllung der Versorgungszusage einzustehen (BAG 13. Juli 2021 – 3 AZR 298/20 – Rn. 20). Ein Arbeitnehmer macht diesen Anspruch gegen den Arbeitgeber schlüssig geltend, wenn die Pensionskasse eine entsprechende Absenkung ihrer Leistungen mitgeteilt und/oder vorgenommen hat und der Arbeitgeber der Berechtigung der Leistungskürzung nicht substantiiert entgegentritt.
b) Das ist hier der Fall. Zwischen den Parteien steht nicht im Streit, dass die Leistungskürzung nach den Regeln der Pensionskasse zulässig und wirksam erfolgt ist.
7. Der Kläger hat jedenfalls seit dem 25. Juli 2020 – wie vom Arbeitsgericht ausgesprochen – Anspruch auf Prozesszinsen (§§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB). ...
1. Entscheidung: 3 AZR 176/22 vom 14.03.2023
2. Entscheidung: 3 AZR 197/22 vom 14.03.2023

Das BAG gibt uns im Ergebnis also im Wesentlichen Recht. Allerdings können wir eine schmerzhafte Textierung nicht übersehen.
Unter der oben zitierten Nr. 4 erläutert das BAG nicht nur, dass die AVR-Regelungen wie Tarifverträge auszulegen sind. Damit können wir leben - denn AVR und Tarifverträge regeln jeweils allgemein die Arbeitsvertragsgrundlagen, die in einem Arbeitsverhältnis angewendet werden sollen. Sie sind insofern vergleichbar.
Problematisch erscheint uns aber, dass Allgemeine Geschäftsbedingungen und Tarifverträge anscheinend auch materiell als gleichwertig angesehen werden. Das sind sie nicht. Und ob ein Verhandlungsergebnis wirklich ausgewogen ist bzw. so zustande kommt, kann mit guten Argumenten hinterfragt werden.
Die katholische Kirchen kann sich auch nicht - wie das BAG meint - auf das kirchliche Selbstverständnis berufen, wenn Tarifverträge verweigert werden. Da steht die eigene Soziallehre, das päpstliche Lehramt und letztendlich auch das universelle Kirchenrecht dagegen. Und weil das alles auf theologischer Grundlage aufbaut kann es auch keine theologische Grundlage für einen "Dritten Weg" und die Verweigerung von Tarifverträgen geben.
Erst recht sind Arbeitsverträge insbesondere mit Nichtkatholiken keine "eigene Angelegenheit iSd. Art. 140 GG iVm. Art. 137 Abs. 3 WRV" (und Art. 1 Abs. 2 RKonk). Hier zitiert das BAG aber ausdrücklich das "kirchliche Selbstverständnis", also nur die Auffassung kirchlicher Vertreter - worin man mehr als eine vorsichtige Distanzierung von diesem Anspruch erkennen könnte.
Darüber hinaus verwendet das BAG wieder einmal den verunglückten Begriff der "Selbstbestimmung", während die einschlägigen Rechtsnormen lediglich von "Selbstordnung und Selbstverwaltung" innerhalb der "Schranken der für alle geltenden Gesetze" sprechen.

Und genau diesen Schrankenvorbehalt halten die Kirchen mit der Beanspruchung einer "negativen Koalitionsfreiheit" auch ein. Es ist jedermann und jeder Religionsgemeinschaft unbenommen, mit einer Gewerkschaft zu kooperieren - oder das zu verweigern. Damit können aber auch alle "weltlichen Arbeitgeber" nach dem Vorbild der kirchlichen "Dritten Wege" selbst arbeitsrechtliche Kommissionen bilden, und den Abschluss von Tarifverträgen verweigern. Deren "Verhandlungsergebnisse" wären nach den Ausführungen das BAG dann genauso "ausgewogen" wie die "ausgewogenen" Ergebnisse der kirchlichen Gremien.
Bei einem "weltlichen Arbeitgeber" besteht unzweifelhaft die Möglichkeit, diesen dann mit Arbeitskampfmaßnahmen - bis hin zum Erzwingungsstreik - zum Abschluss eines Tarifvertrages zu zwingen. Das muss dann für kirchliche Arbeitgeber genau so auch gelten. Denn dass das Streikrecht auch in kirchlichen Einrichtungen beim "Dritten Weg" besteht, haben sowohl das BAG wie auch das Bundesverfassungsgericht schon vor Jahren deutlich gemacht. Die dort genannten Voraussetzungen für eine Friedenspflicht liegen bei keinem der "Dritten Wege" vor. Daher gilt nach wie vor, was das BAG bereits 1980 festgestellt hat:
„Tarifverhandlungen ohne das Recht zum Streik sind nicht mehr als kollektives Betteln.“
Aber vielleicht hat das BAG die Ausführungen in Nr. 4 ja benötigt um deutlich zu machen, dass - selbst wenn man die kirchliche Interpretation der Gleichwertigkeit zugrunde legt, also nach dem kirchlichen Verständnis des "Dritten Weges" - eine Leistungspflicht für die Betriebsrente (Zusatzversorgung) und nicht nur eine Beitragspflicht besteht. Das ist dann jedenfalls das Ergebnis der in Nr. 5 folgenden Ausführungen. Und mit den Formulierungen zum "kirchlichen Selbstverständnis" deutet sich schon eine Distanzierung dieser Sicht an.

Nicht angesprochen ist auch die Frage, ob die Arbeitgeber, die nun mit ihrer Einstandspflicht für die Misswirtschaft der Pensionskasse der Caritas gerade stehen müssen, einen Regress- oder Schadensersatzanspruch gegenüber Dritten haben könnten. Denn fraglich ist schon, ob die kirchliche Aufsicht über diese Pensionskasse auch ordnungsgemäß ausgeübt worden ist. Das wäre dann wirklich eine Frage, die seitens der betroffenen Arbeitgeber gegenüber den Aufsichtspflichtigen zu klären wäre.

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