Donnerstag, 1. August 2024

Weimarer Wahnsinns-Karussel - 5. August, 12.00 bis 12:30 Uhr aktive Mittagspause

Die Rotationen, mit denen evangelische Kirche und Diakonie Mitteldeutschland am Rad drehen, werden immer schneller. Heute Vormittag haben wir gemeldet: "Streik in Weimar kurzfristig abgesagt". Inzwischen wird etwas mehr bekannt. Die Unterlassungsklage von Kirche, Diakonie und Klinikum Weimar umfasst 1000 Seiten! Das dürfte auch der Grund sein, weshalb das Arbeitsgericht Weimar die Verhandlung - wie berichtet - erst auf einen Termin nach dem geplanten Ausstand angesetzt hat

Anmerkung der Redaktion:
Es wäre vermutlich leicht gewesen, den angekündigten Streik ohne weiteres Abwarten durchzuführen.
Aber zum Einen gebietet es der Respekt vor dem Gericht, dessen Entscheidung abzuwarten - und
zum Anderen: ein so umfangreicher Schriftsatz muss auch zur Sicherheit der Streikenden intensiv geprüft werden. Denn wenn unsere ver.di zum Streik aufruft, dann soll jedes Risiko für die streikbereiten Mitglieder ausgeschlossen bzw. zumindest weitestgehend minimiert werden. Und 1000 Seiten lassen sich auch von den versierten Gewerkschaftsjuristen nicht in so kurzer Zeit prüfen.

Trotzdem: wir lassen nicht locker !

Am 5. August, 12.00 - 12:30 Uhr finden nun eine aktive Mittagspause statt - Protest in angesagt, und zwar nicht nur im Klinikum Weimar !.

Wenn Kirche und Diakonie mit solchen Schriftsätzen belegen, dass ihnen ihr selbst definiertes Selbstbestimmungsrecht wichiger ist als Beteilung und Grundrechte der eigenen Beschäftigten (und sie dafür sogar noch eine Menge Geld für Anwälte verpulvern), dann belegen wir, dass das verfassungsrechtlich geschützte Koalitions- und Selbstbestimmungsrecht der Mitarbeitenden wichtiger ist als die abstruse und übergriffige Geltungssucht einer Organisation, die sich bewusst als "ausserhalb und über der Verfassung stehend" darstellt.

edit:
wie wir der Pressemeldung einer Kanzlei "HEUKING" entnehmen, soll der Streik tatsächlich im Rahmen einer einstweiligen Verfügung untersagt worden sein.
Das Arbeitsgericht Erfurt hat im Ergebnis die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bestätigt, gemäß der „tariftreue“ kirchliche Einrichtungen nicht bestreikt werden dürfen.
woher die Kanzlei diese Behauptung nimmt, ist uns nicht erklärlich. Das Bundesarbeitsgericht hat mit seiner Entscheidung zum "Streik im Dritten Weg" mit keiner Silbe auf irgendeine "tariftreue" verwiesen (wir berichteten). In der Entscheidung 1 AZR 179/11 (Arbeitskampf in kirchlichen Einrichtungen - Dritter Weg) wurde vielmehr eindeutig klar gestellt:
Verfügt eine Religionsgesellschaft über ein am Leitbild der Dienstgemeinschaft ausgerichtetes Arbeitsrechtsregelungsverfahren, bei dem die Dienstnehmerseite und die Dienstgeberseite in einer paritätisch besetzten Kommission die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten gemeinsam aushandeln und einen Konflikt durch den neutralen Vorsitzenden einer Schlichtungskommission lösen (sog. Dritter Weg), dürfen Gewerkschaften nicht zu einem Streik aufrufen. Das gilt jedoch nur, soweit Gewerkschaften in dieses Verfahren organisatorisch eingebunden sind und das Verhandlungsergebnis für die Dienstgeberseite als Mindestarbeitsbedingung verbindlich ist.
An diesen Bedingungen scheitert ein Streikverbot:
1. die beklagte Gewerkschaft ist in das Verfahren der Arbeitsrechtlichen Kommission nicht eingebunden und
2. die Regelungen des "Dritten Weges" sind nach der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. z.B. BAG, Urteil vom 30.10.2019 - Aktenzeichen 6 AZR 465/18) nur "Allgemeine Geschäftsbedingungen". Diesen kann schon durch Gesetz keine Verbindlichkeit erwachsen. Individualrechtliche Vereinbarungen - auch zu Lasten der Beschäftigten - sind vorrangig (§ 305 b BGB). Diese gesetzliche Regelung ist "für alle geltendes Recht" und kann und darf daher durch kirchliche Normen gar nicht abbedungen werden (Schrankenvorbehalt). Der sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts stellte dazu in seinem Leitsatz zu einem Urteil aus 2018 fest (BAG-Urteil vom 24.05.2018 – 6 AZR 308/17):
»Ein kirchlicher Arbeitgeber kann in den durch das staatliche Arbeitsrecht gesetzten Grenzen wirksam Arbeitsverträge abschließen, die keine oder nur eine eingeschränkte Bezugnahme auf kirchliche Arbeitsvertragsregelungen vorsehen.«
In der Begründung heißt es unter anderem:
»[…] Nach ständiger Rechtsprechung handelt es sich bei kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen wie den AVR-DD um Allgemeine Geschäftsbedingungen, welchen mangels normativer Wirkung in privatrechtlichen Arbeitsverhältnissen nur über Bezugnahmeklauseln in Arbeitsverträgen Wirkung verschafft werden kann […] Eine normative Wirkung besteht nicht, weil das säkulare Recht für kirchliche Arbeitsrechtsregelungen keine unmittelbare und zwingende Geltung anordnet. Es fehlt eine etwa § 4 Abs. 1 TVG entsprechende Bestimmung […]«
Ob der kirchliche Arbeitgeber das aktuelle gerade tut - darauf kommt es nicht an. Der kirchliche Arbeitgeber kann jederzeit, schon morgen oder sogar nur innerhalb von Stunden, abweichende Vereinbarungen treffen. Das ist entscheidend.
Und die zum Streik bereiten Mitglieder der Gewerkschaft fordern eine entsprechende abweichende Regelung - durch Abschluss eines Tarifvertrages.

Möglicherweise haben die 1000 Seiten der Kirche und Diakonie - vermutlich aus Kirchensteueraufkommen, Spenden oder zweckgebundenen Zuschüssen finanziert - die Richter beim Arbeitsgericht Weimar leicht verwirrt.

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